Böses Erwachen

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Das erste, was Till Wessley wahrnam, als er langsam wieder zu Bewusstsein kam, war der unverkennbare Geruch nach Krankenhaus, Desinfektionsmittel.
Die Reaktion seines schlaftrunkenen Bewusstseins war zunächst bloß schlichte Verwunderung, doch gleich darauf folgte die unausweichliche Erkenntnis darüber, was tatsächlich geschehen war. Welch grausame Szene sich direkt vor seinen Augen abgespielt hatte.

Der Schweiß brach ihm aus und Till riss voller Panik die Augen auf nur um die Lider, begleitet von einem protestierenden Stöhnen, sofort wieder fest aufeinander zu pressen.
Scharfes, gleizend helles Licht war ihm ihn die Augen gestochen und er spürte immer noch den pochenden Schmerz in seinem Schädel, als er, diesmal vorsichtiger, einen zweiten Versuch wagte und nur ein Auge einen Spalt breit öffnete.
Das Licht kam von oben. Aus einer sirrenden, langen Röhre, welche direkt über ihm an der Decke entlang verlief.
Komisch, seit wann schaltete man einem schlafenden Patienten direkt über dem Bett eine strahlende Lampe an?
Ein ungutes Gefühl beschlich ihn und als er die Decke direkt über seinem Kopf noch etwas genauer betrachtete und die glühenden Punkte auf seinen Augenlidern langsam verblassten, breitete sich dieses Gefühl bis hin zu dem letzten Winkel seines Körpers aus und machte einer beklemmenden Angst Platz, die ihn augenblicklich erzittern ließ.
Wo zur Hölle war er hier gelandet?

Das Sirren der Röhre über ihm und seine hektischen Gedanken wurden jäh von einem kaum hörbaren, knarrzenden Geräusch unterbrochen und Till hielt den Atem an.
Es war aus seiner unmittelbaren Nähe gekommen. Um genau zu sein von dem Fußende des Bettes, in das wer auch immer ihn verfrachtet hatte.
Der Schweiß rann ihm mittlerweile in dicken, gänsehauterregenden Tropfen den Nacken herunter und er schluckte schwer als sein Blick langsam an seinem eigenen Körper herab glitt und an einem ausgetretenen Turnschuh hängen blieb, der ungefähr auf der Höhe seiner Schienbeine auf der weißen Bettdecke ruhte.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein unerwarteter Schlag ins Gesicht.
Er war nicht alleine.

Till hätte am liebsten laut aufgeschrien, doch er konnte sich im letzten Moment noch zurückhalten, in dem er fest beide Hände auf den eigenen Mund presste und in das Gesicht dieses Fremden starrte.
Till konnte es einfach nicht verhindern. Eine seiner Augenbrauen zog sich langsam in die Höhe und er legte etwas verständnislos den Kopf schief.

Dieser Typ, wer auch immer er sein mochte, sah alles andere als furchteinflößend aus.
Am Ende seines Bettes hockte ein schmaler, hoch gewachsener junger Mann, der sich auf einem ungemütlich aussehenden, weißen Stuhl zusammengerollte hatte und das eine Bein so ausgestreckt hatte, dass sein Fuß auf Tills Bett ruhte.
Die Haut dieses Mannes war blass, die geschlossenen Augen Till zugewandt und von einem dunkelbraunen, ganz und gar nicht gesund aussehenden, Schatten gezeichnet, sowie von zahllosen, tiefschwarzen Wimpern umringt, die die selbe Farbe hatten wie das pechschwarze Haar, welches in alle möglichen Richtungen vom Kopf des Mannes abstand. Der Mund war schmal und leicht geöffnet, die Wangen eingefallen und ebenfalls kreideweiß. Das einzige, was wirklich beunruhigend an diesem, ganz offensichtlich schlafenden Typen war, war die Tatsache, dass er einen weißen Kittel trug, der ihm zwar fast schon von der einen schmalen Schulter gerutscht war, allerdings an manchen Stellen mit winzigen Blutspritzern bedeckt war und noch einer Flüssigkeit, die eine dunklere, fast schon metallische Verfärbung hatte.

Wo war er hier nur gelandet?
Und was hatte dieser komische Typ hier zu tun?
War er vielleicht doch Arzt und Till in einem etwas ungewöhnlichen, aber dennoch sicheren Krankenhaus?

Und da fiel es ihm wieder ein, das Mädchen. Das mittlerweile tote Mädchen. Er schauderte, zwang sich aber dennoch zur Ruhe.
Ihr Finger in seinem Magen, das ganze Blut, die anschließende Ohnmacht.

Ganz langsam schob Till die dünne Bettdecke zur Seite und starrte auf seinen Bauch. Er trug kein Shirt mehr und so sah man sofort die winzige, hauchdünne Narbe in dem grellen Licht der Röhre über ihm, die sich etwas oberhalb seines Bauchnabels über seine zitternde Haut zog. Sie war noch nicht einmal drei Zentimeter lang und schon vollkommen verheilt.
Tills Blick flog zurück zu dem pennenden Typ im Kittel, dann zurück zu seiner, ganz offensichtlich mit vier Fachkenntnis verarzteten, Wunde, dann wieder zurück zu dem Typ.
Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit traf Till eine Entscheidung. Entschlossen richtete er sich auf und stellte erstaunt fest, dass ihm kaum etwas fehlte. Da war nur ein eigenartiger, dumpfer Schwindel, der aus seinem Hirn selbst zu kommen schien und das dauerhafte Zittern und Schlottern seines eigenen Körpers, aber sonst fehlte ihm absolut gar nichts.
Er streifte möglichst geräuschlos die Decke zur Seite und schwang seine Beine aus dem Bett, wobei er peinlichst genau darauf achtete, ja nicht den Fuß des Schlafenden zu berühren, dann richtete er sich auf und schaute sich in dem kleinen, hell erleuchteten Zimmer um.

Viel gab es da nicht zu sehen, denn an Möbelstücken waren da eigentlich nur das Bett, aus dem er gerade gestiegen war, der klapprige Stuhl auf dem der Typ seelenruhig döste und ein riesiger, weißer Schreibtisch am anderen Ende des Raumes.
Auf Zehenspitzen schlich Till zu dem Tisch, immer den Mann in der Ecke im Auge behaltend, und schaute sich neugierig um.
Die metallene Oberfläche war fast vollkommen bedeckt von Dingen, die wie medizinische Instrumente aussahen und von denen Till lieber die Finger ließ, aber ein Teil, was hier partout nicht hin zu gehören schien, erregte sofort seine volle Aufmerksamkeit.
Schimmernd und glitzernd im gleizenden Licht zwischen all dem anderen Zeug lag da der Anhänger mit diesem komischen Symbol, den Till so fest umklammert gehalten hatte, als der Mörder des Mädchens ihn auf dem Boden fand. Dasselbe Symbol, welches eben dieser Mörder auch an einer Kette um den Hals getragen hatte.

Wie auf Kommando griff Till nach dem Metall und ließ es in der Hosentasche seiner Jeans verschwinden, die er gott sei dank immer noch trug, dann fiel sein Blick auf eine schwarze Sweatshirt Jacke, die an einem einzelnen Haken an der Tür hing und schätzungsweise dem anderen Mann gehörte.
Till zögerte nur kurz, dann griff er beherzt danach und warf sich den Stoff über den nackten Oberkörper.
Jetzt oder nie.
Sein Herz klopfte bis zum Hals als Till die Hand an die Klinke legte und nach über zehn Jahren sprach er tatsächlich ein stummes Gebet in den Himmel, dann drückte er zu und... die Tür ließ sich mühelos öffnen.
Noch ein letztes Mal wandte der Junge sich um und warf einen unsicheren Blick zurück auf den schlafenden Typ im weißen Kittel, der ihm vermutlich das Leben gerettet hatte, dann trat er einen Schritt nach vorne und die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss.

Im selben Augenblick riss Christopher Herik Berebler die Augen auf.

After Death, Das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt