Kapitel 2

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Durch die Dunkelheit in der seine Sinne gefangen waren drang ein silberner Schimmer. Dann ein pechschwarzer Vorhang, der das Silber verdeckte. Valyrs Lider flackerten, doch sein Geist wollte noch nicht aus der Dunkelheit treten. Er hörte gedämpfte Geräusche, die er nicht identifizieren konnte, dann sog ihn die Leere erneut in ihre Umarmung.

Als Valyr das nächste Mal erwachte, kehrte auch sein Geist zurück. Und mit ihm kam der Schmerz. Er lag bäuchlings auf einer halbwegs weichen Unterlage, doch sein Rücken schien in Flammen zu stehen.

Er stöhnte, und neben ihm bewegte sich etwas. Nein, jemand. Eine junge Frau, blass und schön. Sie beugte sich leicht über Valyr.

„Bleib ruhig und dir wird nichts geschehen, Wolf."

Valyr erinnerte sich an die vergangenen Geschehnisse, und starrte die Frau an. Kein Geruch. Ein Vampir.

Sein Instinkt drängte ihn zum Wandel, doch er trug noch immer den Ring der Pein. Er knurrte die Frau an und versuchte sich aufzurichten, doch seine Arme und Beine waren gebunden, und der Schmerz in seinem Körper wütete umso mehr, je mehr er sich gegen die Fesseln wehrte.

Von der Seite des Raumes erklang ein Lachen.

„Sieh an, unser Hündchen ist aufgewacht. Und es knurrt sogar."

Der Mann, der herantrat, hatte langes tiefschwarzes Haar, und silber-blaue Augen, die leuchteten wie die Sterne am Firmament. Sein Mund war zu einem spöttischen Lächeln verzogen. Auch er war geruchslos. Valyr wollte etwas sagen, doch seine Stimme brach.

Er räusperte sich.

„Wo bin ich hier?"

Der Vampir ging neben Valyr in die Hocke und musterte ihn.

„Denkst du, du bist in der Position Fragen zu stellen, Wolf?"

Valyr knurrte nur als Antwort.

„Oh-ho", lachte der Vampir. „Ich erzähle dir einmal schnell, wie das Ganze hier ablaufen wird. Ich stelle die Fragen, und du antwortest. Wenn ich zufrieden bin mit den Auskünften, die ich von dir bekommen habe, darfst du vielleicht leben." Er grinste. „Oder zumindest schmerzlos sterben", fügte er dann trocken hinzu.

„Ich werde dir einen Scheißdreck erzählen", knurrte Valyr.

„Das werden wir sehen", meinte der Vampir lächelnd. „Aber zuerst müssen die Wunden heilen, die dir zugefügt wurden. Und da ich nicht der geduldigste bin, werde ich zulassen, dass du dich verwandelst. Natürlich in einem speziell dafür vorbereiteten Käfig. Dann werden wir warten, bis deine Wunden verheilt sind. Und dann werden wir dich erneut mit diesen Fesseln binden, die deine Wolfsnatur unterdrücken. Wir hört sich das an?"

Valyr knurrte nur als Antwort. Anscheinend wussten die Vampire nichts vom Ring der Pein.

„Ach übrigens", meinte der Mann beiläufig, als vier Vampirkrieger Valyrs Fesseln übernahmen und ihn auf die Beine stellten. „Mein Name ist Adrian Nightingale. Und du tust besser daran, auf mich zu hören, Wolf."

Die Vampire zogen ihn vorwärts, doch Valyr war zu schwach um mehr als wenige Schritte zu tun. Er fühlte sich schwindelig und vor seinen Augen drehte sich alles. Er fiel auf die Knie. Seine Wärter machten kurzen Prozess und zogen ihn einfach weiter. Zum Glück war der Weg kurz und der Bodenbelag glatter Stein, und Valyr überstand ihm so gut wie unbeschadet. Er musste kurz ohnmächtig gewesen sein, denn als er erneut die Augen aufschlug, befand er sich in einem zimmergroßen Gitterkäfig. Die Überreste seines Hemdes waren verschwunden, und er trug nichts als seine Hosen und den Ring der Pein. Unter Schmerzen richtete er sich in eine sitzende Position auf und betrachtete seine Umgebung. Der Raum war bis auf den Käfig leer. Nur der Vampir, der sich als Adrian vorgestellt hatte, stand vor den Gittern.

„Worauf wartest du, verwandle dich", meinte er ungeduldig.

Statt einer Antwort legte sich Valyr mit dem Bauch auf den Boden und bettete den Kopf so gut es ging auf seinen Armen.

„Schreit nicht dein ganzer Körper danach, dich in einen Wolf zu verwandeln? Wieder das Fell zu tragen, und den Schmerzen zu entkommen?"

Der Mann hatte Recht, doch Valyr schnaubte nur.

„Ich werde mich nicht verwandeln."

Adrian schwieg für einen Moment und musterte Valyr abschätzend.

„Wirst nicht oder kannst nicht?"

Valyr dreht den Kopf zur Seite. Konnte dieser Vampir vielleicht erahnen, was es wirklich mit dem Halsband auf sich hatte?

„Ich hatte mich das schon zuvor gefragt. Du warst abseits an einen Baum gebunden. Zuerst habe ich mir nichts dabei gedacht. Doch nun... Dieses Halsband, das du trägst. Meine Vampir-Kumpane berichteten mir, sie verbrannten sich die Hände an purem Silber, als sie versuchten, das Band abzunehmen. Doch Silber ist nicht nur für uns giftig. Für euch hat es noch schlimmere Auswirkungen, nicht selten auch tödliche. Weswegen also sollte ein Wolf ein Halsband tragen, das mit Silber an seinem Hals fixiert ist, wenn er nicht dazu gezwungen wurde?"

Er machte eine Pause.

„Vielleicht... Vielleicht trägt dieser Wolf das Halsband gar nicht aus modischen oder gar freien Stücken. Vielleicht ist es Teil einer Bestrafung, die mit Peitschenhieben auf den nackten Rücken einhergeht."

Der Vampir lächelte.

„Wenn ich Recht habe – und ich irre mich selten – dann kannst du mir, selbst wenn ich jetzt diesen Käfig betrete, nicht das Geringste antun."

Der Mann machte sich an dem Schloss der Käfigtür zu schaffen, dann stand er auch schon vor Valyr. Valyr knurrte, doch dabei blieb es.

„Dachte ich mir", versetzte Adrian, und zog ihn auf die Füße. Mit zusammengekniffenen Augen blickte Valyr den Vampir an. Dieser legte eine Hand um Valyrs Kehle. Mit einem hässlichen Zischen seiner Haut bei Kontakt mit dem Silber riss er ihm das Band vom Hals. Valyr spürte nur den Luftzug von Adrian, als er die Zelle in Vampirgeschwindigkeit verließ und wieder abschloss. Der Ring der Pein fiel zu Boden. Ohne Adrian als Stütze fiel Valyr zurück zu Boden. Ein Beben zog durch seinen Körper, als sein Instinkt und seine Natur den Wechsel in Gang setzten. Valyr knurrte in seiner Menschenstimme, doch als sich nach und nach seine Knochen neu zusammensetzen, seine Haut sich streckte und zusammenzog und sein Fell wuchs, ging es über in das Knurren eines Wolfes.

In seiner Wolfsgestalt hatte Valyr ein weiß-graues Fell, das beinahe seidig schimmerte. Sein Körper war wohl proportioniert, doch im Vergleich zu den anderen Wölfen war er etwas zu klein und schmal. Dafür war er schneller und wendiger als die meisten anderen Wölfe des Rudels, doch niemand hätte ihn je dafür gelobt. Als seine Verwandlung beendet war, setzte der Heilungsprozess ein. Valyrs Knurren wurde von einem erbärmlichen Jaulen abgelöst, als sich die Wunden auf seinem Rücken zu schließen begannen. Der Heilungsprozess würde zwar ein bis zwei Tage dauern, doch es ging zehnmal so schnell wie in Menschengestalt. Bereits jetzt schoss Energie durch seinen Körper, und jede Sehne, jeder Muskel sehnte sich danach, zu rennen. Valyr begann in dem Käfig auf und ab zu laufen. Er spürte die silbernen Augen des Vampirs auf sich. Wenn er nur aus diesem Käfig hinauskönnte, würde er den Mistkerl in Stücke reißen.

Er war erst kurze Zeit in Wolfsgestalt, doch der Wolf zeigte schon seine Auswirkungen. Je länger Valyr Wolf blieb, desto mehr verlangte es ihn danach zu Jagen und Beute zu reißen. Seine Menschlichkeit würde nach und nach von dem Wolf verschlungen werden, bis er ganz Bestie war. Bei manchen Wölfen dauerte dieser Prozess Monate, bei anderen ging es schneller. Valyr war immer einer der Wölfe gewesen, die den Ruf der Bestie schon sehr früh nach der Verwandlung vernahmen. Deswegen blieb er selten lange in seiner Tiergestalt. Er fürchtete darum, sein eigentliches Wesen zu verlieren. Doch zuerst mussten seine Wunden heilen. Wie es dann weiterging, konnte Valyr noch nicht sagen, denn er konnte nicht zulassen, dass der Vampir ihn wieder band und Valyr erneut zu einem hilflosen Menschen machte.

Für den Moment genoss Valyr das Zusammenspiel seiner Muskeln und die Sensibilisierung seiner Sinne. Er konnte verschiedene Geräusche hören, die von weit her stammten, die er jedoch nicht zuordnen konnte. Er roch Vampirblut, das diesen komischen, leicht modrigen Geruch hatte. Vermutlich von den Verwundeten ihres Kampfes mit den Wölfen. Vampire heilten schnell, doch auch ihre Wunden brauchten Zeit. Er spürte am Prickeln auf seiner Haut, dass es bald regnen würde.

Doch, Valyr genoss es, ein Wolf zu sein. Zumindest so lange, wie er noch menschliche Sinne hatte, die diese Dinge wertschätzen konnten.

Against His Nature [manXman] #CWCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt