Valyr blickte leer vor sich hin. Sein Körper erfreute sich erneut bester Gesundheit, doch der Zustand seiner Seele entsprach dem Gegenteil. Er hatte sein Leben lang Schmerzen ertragen müssen, doch was dieser Vampir mit ihm angestellt hatte, ging über den Begriff ‚Schmerz' hinaus. Er spielte mit Valyrs Geist, mit der Andeutung von Schmerzen, die in Valyrs Kopf erst Gestalt annahmen, und dann von Annen tausendmal schlimmer in die Tat umgesetzt wurden. Er erzitterte.
Nein, er konnte das nicht noch einmal durchstehen. Er hatte viel zu oft die Möglichkeit in Betracht gezogen, Annen einfach zu sagen, wo das Rudel hinzog, und sich töten zu lassen. Doch irgendetwas hatte ihn zurückgehalten. Etwas, oder jemand.
Er schüttelte unwirsch den Kopf.
Es gab nichts, das er tun konnte, bevor er nicht mit Adrian gesprochen hatte. Entweder der Vampir hatte noch einen letzten Ausweg, oder Valyr würde sich noch am selben Tag gegen die Silberstäbe drücken, bis das Gift seinem Leben ein Ende setzte. Er seufzte und blickte weiter in die Leere.
Adrian hatte erst im Nachhinein mitbekommen, dass sein Vater den Wolf gar nicht betäubt hatte. Das hatte er nicht erwartet. Nun stand er vor dem Zimmer seines Vaters und war dabei, dem Leben das er kannte ein Ende zu setzen.
Mit einem letzten Seufzen klopfte er an der Tür.
„Komm herein, mein Sohn."
Adrian fragte sich erst gar nicht, woher Annen wusste, dass er es war, der vor der Türe stand, und betrat das Zimmer.
„Guten Abend, Vater. Ich wollte mit dir über den Wolf reden."
„Komm, setz dich. Worüber möchtest du reden?"
„Ich weiß, dass du deine Behandlungen sonst immer alleine durchführst, aber da ich es war, durch den diese erst notwendig wurden, habe ich mich gefragt, ob ich nicht das nächste Mal beiwohnen oder möglicherweise sogar mitwirken darf, um meinen Namen reinzuwaschen. Ich habe dir auch etwas mitgebracht, als kleine Aufmerksamkeit."
Er zog eine Flasche überaus teuren, überaus seltenen Single Malts hervor. Er wusste, dass sein Vater trotz aller Macht eine Schwäche für dieses Getränk hatte.
Sein Vater schnalzte beim Anblick anerkennend mit der Zunge.
„Versuchst du mich etwa zu bestechen, Adrian? Du weißt, es ist einer meiner Grundsätze, immer alleine zu arbeiten."
„Das weiß ich Vater, aber ich dachte, da ich dein Sohn bin, könntest du dieses eine Mal eine Ausnahme machen."
„Es scheint dir wirklich wichtig zu sein, diesen Schandfleck von dir abzuwaschen, das sehe ich. Und du scheinst überzeugt davon, dass das Mitwirken in der Folter des Wolfes dir dabei hilft. Dennoch, ich arbeite allein. Es tut mir Leid mein Sohn, du wirst dich anders neu profilieren müssen."
Adrian ließ den Kopf sinken.
„Ich sehe du lässt dich nicht umstimmen, Vater. Lädst du mich wenigstens auf einen Drink ein?"
Annen betrachtete zufrieden die Flasche und lachte.
„Natürlich, natürlich, lass uns diese Schönheit öffnen."
Er holte zwei Scotch-Gläser hervor und machte sich daran, die Flasche zu öffnen. Er goss ihnen beiden großzügig ein und reichte Adrian eines der Gläser.
„Ich bin froh, dass du nicht weiter auf deiner Idee beharrt hast, mein Sohn. Manchmal ist es das Beste, seine Niederlage einzugestehen. Zum Wohl."
„Zum Wohl", erwiderte Adrian. Sein Vater nahm einen Schluck und schloss genießerisch die Augen.
„Sehr gut gelungen, dieser Jahrgang, wirklich, sehr gut. Eine ausgezeichnete Wahl."
Adrian nickte und führte das Glas zum Mund. Im letzten Moment hielt er inne.
„Sag, Vater, wann denkst du hast du den Wolf gebrochen?"
Annen nahm einen weiteren Schluck, bevor er antwortete.
„Heute werde ich ihn erneut zu mir holen, ich denke dann hat sich diese Angelegenheit erledigt."
Adrian nickte.
„Würdest du mich, sobald wir wissen wo sich die Wölfe aufhalten, erneut als Truppenführer in Betracht ziehen?"
Annen betrachtete Adrian nachdenklich. Adrian füllte das leere Glas noch einmal auf, was Annen nickend zur Kenntnis nahm.
„Ich denke, das sollte möglich sein. Doch dieses Mal darfst du dir keine Ausrutscher erlauben. Ich bin schließlich..."
Er hielt inne.
„Ich bin schließlich..."
Mit trüben Augen kippte Annen vornüber. Adrian seufzte auf und stellte sein unberührtes Glas ab. Das hatte länger gedauert, als er erwartet hatte. Er hatte dem Scotch so viel Betäubungsmittel beigemischt, dass ein Schluck eine kleine Herde Elefanten niedergeworfen hätte. Er hatte verdammt tief in die Trickkiste greifen müssen, um diese Mengen des äußerst seltenen, geschmacks- und geruchsneutralen Betäubungsmittels aufzutreiben. Mit einem weiteren Seufzer machte er sich auf die Suche nach dem Zellenschlüssel. Er hatte gesehen, wie sein Vater ihn an einer Kette befestigt hatte, die er dann um seinen Hals trug. Zögerlich entkleidete er seinen Vater so weit, bis er die Kette gefunden hatte. Er hatte sich soeben einen überaus mächtigen Feind gemacht.
Valyr blickte ins Leere. Es war dunkel geworden, doch seine Ohren blieben aufmerksam, und so vernahm er die leisen Schritte, die sich seiner Zelle näherten. Inzwischen war er in der Lage, Adrians geschmeidige Schritte von denen anderer Vampire zu unterscheiden. Er trat an die Gitter heran.
„Ich hoffe du bringst gute Nachrichten", meinte er nur.
„Mehr oder weniger. Ich hole dich hier raus."
Adrian hielt eine Kette nach oben an der ein Schlüssel baumelte.
„Das sind fantastische Nachrichten, was meintest du mit mehr oder weniger?"
„Ich werde mir dir fliehen müssen."
Valyr schwieg auf diese Eröffnung und beobachtete, wie Adrian die Zellentür aufschloss.
„Ich vertraue dir", meinte Adrian, als Valyr aus der Zelle herausgetreten war, und riss ihm noch im selben Moment das Halsband vom Hals.
Valyr starrte den Vampir an.
Die Tatsache war, vor ihm stand ein Vampir, der erbitterte Feind der Wölfe. Und Valyr war ein Wolf.
Er traf seine Entscheidung binnen Sekunden. Seine Haut verschob sich, und seine Gestalt wechselte in die des Wolfes.
Adrian starrte ihn einige Sekunden an, in denen sie sich beide nicht bewegten.
Dann lief Valyr los, und nach kurzem Zögern folgte ihm auch Adrian. Auch als Valyr begann zu laufen konnte der Vampir noch mithalten. Valyrs Wolfssinne führten die beiden sicher an allen Vampiren vorbei, die sie entdecken könnten. Er ließ sich von seinen Instinkten leiten, und schon bald hatten sie es sicher aus der Festung geschafft. Als Valyr beschloss, dass sie weit genug von den Vampiren entfernt waren, verwandelte er sich zurück.
Adrian trat zu ihm.
„Du hast mich nicht angegriffen."
Valyr zuckte nur mit den Schultern.
„Du hast mir geholfen", erwiderte er dann.
Adrian lachte.
„Ein Wolf und ein Vampir, gemeinsam auf der Flucht. Klingt beinahe wie ein schlechter Liebesroman."
Valyr erwiderte das Lachen für einen Moment, dann wurde sein Blick wieder ernst.
„Was machen wir jetzt?"
Adrian schüttelte hilflos den Kopf.
„Ich weiß es nicht."
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Against His Nature [manXman] #CWC
FantasyPlatz 3 im Creative Writing Contest (CWC), vielen Dank für den Support aller Leser! ACHTUNG: Diese Geschichte enthält explizite Darstellungen von Sex und/oder Gewalt. Außerdem enthält die Geschichte homoerotische Inhalte. Rated R. ----------------- ...