Es war Freitag. Alle freuten sich auf die Osterferien und zwei Wochen Freiheit von der Schule. Yuuki saß wie auf Kohlen. Sie hatte nur noch heute, um diesem Mistkerl die Meinung zu geigen. Nanae war so verzweifelt gewesen, dass sie am liebsten zu ihr gefahren wäre. Wenn Yuuki diesen Arsch in die Finger bekam, würde sie ihm den verdammten Karottenkopf von den Schultern reißen. Sie hatte einen Brief eingesteckt, in dem Nanae zu beschreiben versuchte, wie es ihr ging und was sie für diesen Idioten fühlte. Den würde sie ihm in die Haare schmieren und zwar so lange, bis er sich entschuldigte. Es konnte nicht sein, dass er sich erst wie ein eifersüchtiger Platzhirsch aufführte und sie dann wegen eines Kusses mit Nathaniel einfach abservierte. Nanae wollte schließlich nichts von dem Schulsprecher.
Nach dem Unterricht gab sie Ken ihre Tasche mit und machte sich auf den Weg zu Castiels Stammplatz. Und natürlich stand er dort, lässig angelehnt, eine Fluppe im Mund und wie immer in den Himmel stierend, als gäbe es irgendein elementares Problem, das nur er zu lösen vermochte.
Sie baute sich vor ihm auf und da sie fast zwei Köpfe kleiner war als er, bemerkte er sie erst, nachdem sie sich räusperte.
Er machte eine unbewusste Bewegung, als hätte er sich erschrocken.
„Was willst du denn schon wieder, Zwerg?"
„Nichts... ich will mir dir reden... Nanae sagte nämlich, das könnte man mit dir eigentlich ganz gut."
Castiel sah sie nicht an.
„Ich hab da mal ein paar Fragen. Warum hast du dich auf der Klassenfahrt so aufgeführt, als sie vom Turm gefallen ist? Und warum hast ausgerechnet du ihr geholfen, die Kette ihres Vaters im Schnee wiederzufinden? Das passt alles nicht zu dir..."
„Ich war eben da. Mein Gott... warum laberst du mich zu? Wir hatten was laufen, das weiß doch nun jeder. Und bei der Kette hat sie mich gefragt..."
„Genau!" Yuuki hob den Finger. „Sie hat dich gefragt, ob du ihr hilfst. Aber das tust du nie. Du machst nie, worum man dich bittet... aber bei Nanae schon. Warum?"
Castiels dunkelbraune Augen funkelten. „Keine Ahnung."
„Weil du sie magst... immernoch. Jetzt vielleicht mehr als vorher... ich kenne dich nicht gut und will es eigentlich auch nicht, aber ich habe Augen im Kopf und dich seit Nanaes Weggang genau beobachtet."
„Vielleicht hättest du ein Foto machen sollen, dann hättest du Zeit gespart!" warf Castiel trotzig dazwischen.
Yuuki wischte den dummen Spruch mit einer Handbewegung beiseite.
„Ich habe dich noch nie mit guter Laune erlebt, aber die letzten Wochen hast du deinen eigenen Rekord in mieser Laune gebrochen. Du hast kleine Mädchen zusammengebrüllt, weil sie zu laut geatmet haben und sogar unsere Referendarin mit deinem Verhalten zum Heulen gebracht... Als Nanae da war, wirktest du wesentlich entspannter..."
Castiel grinste süffisant. „Kannst du dir nicht denken, warum? Nana und ich haben immer nur ein paar Stunden zusammen verbracht und dabei bestimmt nicht Karten gespielt."
Yuuki schüttelte den Kopf. Der machte sie wahnsinnig.
„Mal ehrlich. Bedeutet sie dir was oder war sie ein Spielzeug für deine Triebe?" Sie sah ihn eindringlich und bittend an. Castiel hasste es, wenn Mädchen so guckten. So als würden sie gleich weinen... er mochte keine weinenden Mädchen, das machte ihn schwach.
Er wandte den Kopf ab und ballte die Hände zu Fäusten. Er sah mindestens so verletzlich aus wie Nanae sich am Telefon und in ihren Briefen angehört hatte, dachte Yuuki.
„Yuuki... ich weiß nicht, was ich sagen soll..." murmelte er. Er sank in die Knie und vergrub den Kopf in seinen Händen.
Yuuki sah überrascht auf ihn herab. Was war denn nun mit ihm los?
Sie hockte sich vor ihn und griff nach seinem Händen. Das zwang ihn, aufzuschauen und Yuuki stellte leicht entsetzt fest, dass seine Augen feucht waren.
„Ich habe alles kaputt gemacht... ich wollte, das bei ihr endlich Frieden herrscht, mit ihrer Mutter und so... sie wirkte immer so unglücklich, weil ihre Mutter nichts von uns wissen durfte... und ich dachte eben, dass Nathaniel besser für sie wäre... deswegen war ich so gemein... sie mag ihn doch... mit ihm ist sie besser dran..."
Castiel hatte langsam gesprochen und sehr leise, doch Yuuki hatte das starke Zittern in seiner Stimme dennoch bemerkt. Er hatte das Gesicht wieder hinter seinen Händen versteckt und atmete schwer.
„Du wolltest sie in Nathaniels Arme treiben, obwohl du sie haben willst?"
Castiel stand auf, seine Wangen waren gerötet.
„Sieh mich doch an! Wie hoch glaubst du, stehen meine Chancen, Nanas Freund sein zu dürfen? Ihre Mutter hält mich für Abschaum, obwohl sie mich nie im Leben gesehen hat. Nur weil ich keinen großen Namen oder ein großes Vermögen habe... Nein, es ist besser so... für uns beide, denn ich kann das nicht mehr. Dieses Versteckspiel... niemandem sagen können, was Sache ist. Ich hätte das niemals anfangen dürfen... was war ich bloß für ein Idiot!" Er wandte sich von Yuuki ab und murmelte: „Aber ich wollte sie so sehr..."
Yuuki schüttelte leicht überfordert den Kopf.
„Nanae hat gesagt, dass du angefangen hast, sie treffen zu wollen. Aber sie dachte, es ginge dir nur um ein bisschen Spaß im Bett und so."
Castiel lachte. „Das habe ich mir die ganze Zeit einzureden versucht... Aber je länger sie weg ist, desto mehr wird mir klar, dass es ganz andere Gründe hatte, warum ich sie damals einfach küssen musste... Verdammt!"
„Du liebst sie...?"
„Seit der achten Klasse, als ich sitzengeblieben bin und zu euch kam... Gott, ich bin so am Arsch..."
„Warum hast du nie was gesagt? Du hattest doch immer und immer wieder die Gelegenheit, es ihr zu gestehen?!"
„ICH WEISS ES NICHT!" Castiel schlug mit der Faust gegen die Mauer der Turnhalle. Seine Knöchel platzten auf. „Vielleicht, weil ich nicht so tough bin, wie alle es denken? Kommt es dir nicht in den Sinn, das ich vielleicht Schiss hatte, sie würde mir sagen, ICH sei für sie nur ein bisschen Spaß im Bett?"
„Nein, ehrlich gesagt kam mir dieser Gedanke nicht... ich habe dich immer für furchtlos gehalten..."
Castiel lachte spöttisch. „Klar, ich habe ja auch kein Herz und bin aus Stein."
Yuuki setzte sich auf einen Mauerrest.
„Mann, da bin ich jetzt platt. Es kommt mir vor, als stünde hier vor mir ein neuer Mensch."
„Und wenn du irgendjemandem davon erzählst, werde ich dafür sorgen, dass du hier keine Freude mehr hast..." brummte Castiel und Yuuki grinste.
„Nein, offenbar bist du noch genau derselbe."
„Was willst du jetzt mit den ganzen Infos?" Castiel setzte sich auf seine Hacken.
„Erstmal will ich dir sagen, dass du mir jetzt um einiges sympathischer bist. Und dann, das Nanae niemals etwas von Nathaniel wollte. Mit dem Kuss in dieser Nacht hatte er sie trösten wollen, weil sie dachte, du hättest kein Interesse mehr an ihr... Scheißkerl! Ach und das hier wollte ich dir geben... er ist von Nanae an mich, aber sie schreibt über dich. Ich dachte, du möchtest vielleicht wissen, wie ihre Gefühle für dich aussehen..." Sie reichte ihm den Briefbogen und er steckte ihn ein. Er würde sich sicher nicht hier die Blöße geben, ihn vor Yuuki zu lesen.
Die stand auf, als Ken im Sichtfeld erschien und lief auf ihn zu. Castiel faltete das Blatt Papier auseinander und was er da las, stach ihm in die Brust.
Was hatte er ihr nur angetan? Wie konnte er so dumm sein und nicht bemerken, wie sehr sie ihn liebte? War er durch das Alleinsein und die Nichtbeachtung durch seine Eltern denn wirklich schon so abgestumpft, dass er das nicht mitbekam? Er stopfte den Brief in die Jackentasche.
„YUUKI!" rief er und die kleine Japanerin kam noch einmal auf ihn zu.
„Ich habe anonym eine Einladung zu diesem Schikimiki-Ball der Ashmores am 1. April bekommen. Was soll ich machen?"
Yuuki guckte ihn verdutzt an. Nanae hatte nicht erwähnt, das sie eine Einladung vergeben hätte, also kam die nicht von ihr.
„Ich würde sagen, du leihst dir einen Anzug und gehst hin. Vielleicht kannst du wieder gut machen, was du verbockt hast!"
Castiel nickte und blickte wieder einmal in den Himmel.
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Kirschblüten im Winter [AS]
FanfictionNanae und Castiel könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie kommt aus reichem Hause. Er bestreitet sein Leben allein. Und dennoch finden sie zueinander - ein paar Stunden in der Woche. Doch ist es Liebe?