14. Die Feier der Volljährigkeit

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Mrs. Ashmore senior trat aus dem Ballsaal und atmete erleichtert auf. Es war jetzt schon so warm in dem Saal, sie würde noch die Anweisung geben, die Klimaanlagen einzuschalten. Allein die geöffneten Türen und Fenster brachten nichts, da kein direkter Durchzug herrschen konnte. Und sie wollte nicht, das die Gäste oder die Mädchen sich unwohl fühlen mussten, weil sie zu sehr schwitzten. Sie ging ein paar Schritte durch die gepflegte Gartenanlage zu einem bestimmten Punkt an einem Brunnen, versteckt von niedrigen Hecken. Es war bereits dunkel und der Mond erhellte das Gelände mit silbernem Licht. So war es ihr nicht zu schwer, die Gestalt auszumachen, die sich mit dem Rücken an eine Säule lehnte und das linke Bein angewinkelt hatte. Ein rotes Glühen und ein würziger Geruch verrieten ihr, dass der Fremde eine Zigarette rauchte. Langsam und gemessen ging sie auf die Person zu.
„Sind Sie Castiel Poulain?"
Der junge Mann drückte die Zigarette unter seinem Schuh aus und wandte sich der Dame zu. Er machte sich nicht die Mühe, seinen Hut abzunehmen, was es der alten Dame allerdings nicht unmöglich machte, sein Gesicht zu erkennen.
Vor ihr stand ein ausgesprochen hübscher Mann mit dunkelroten Haaren, die ihm beinahe auf die Schultern fielen. Seine blasse Haut leuchtete im Mondlicht und ließ die dunklen Augen noch intensiver werden.
„Dann sind Sie Nanas Großmutter?" Seine Stimme war stark und selbstbewusst, er hatte keine Spur von Schüchternheit an sich.
„Sie haben mir das hier geschickt?" Er zog die Einladung aus der Tasche, in der ein kleiner Zettel gesteckt hatte, auf dem dieser Treffpunkt stand, und hielt sie hoch wie eine Spielkarte, zwischen Zeige- und Mittelfinger. Die alte Dame bemerkte, das die Hände des Jungen schlank und gepflegt waren.
„Ganz recht."
„Darf ich fragen, warum? Nana hat mir immer wieder versichert, man würde mich in Ihrer Familie nicht dulden..."
Die alte Dame nickte bedauernd. „Daran trage ich die Schuld. Ich habe den Samen für Nanaes Unglück gesät, als sie selbst noch gar nicht geboren war. Das bedauere ich. Es lag nicht in meiner Absicht, meine Enkelin unglücklich zu machen. Oder Sie."
Castiel nahm den Hut ab und strich die Haare aus den Augen. Er bemerkte nicht, dass die alte Dame lächelte, weil ihre Enkelin ihr erzählt hatte, das sie diese Geste an ihm besonders liebte.
„Ist vielleicht unhöflich, aber könnten Sie das Siezen bei mir lassen? Ich steh da nicht so drauf."
„Also gut, dann Du."
„Ich nehme an, Nana weiß nicht, dass ich hier bin... Wie kommen Sie darauf, dass sie mich überhaupt sehen will?"
Die alte Dame schüttelte leicht den Kopf. „Nein, du bist meine Geburtstagsüberraschung für sie."
Castiel warf der Frau einen Blick zu, der sie erkennen ließ, das nicht nur ihre Enkelin gelitten hatte und das der Junge offenbar furchtbare Angst vor ihrer Reaktion hatte. Sie lächelte ihn an.
Nanae hatte erzählt, dass dieser Rotschopf an der Schule gefürchtet wurde, dass die Lehrer ihn hassten, weil er so unberechenbar und unvorhersehbar war und das kaum jemand mit ihm auskam, weil er stur und bockig sein konnte wie nichts. Aber sie sah ein einsames Kind im Körper eines Mannes, das Angst hatte, nicht geliebt zu werden.
„Hättest du miterlebt, wie oft Nanae allein in den zwei Tagen geweint hat, die sie wieder zuhause ist, würdest du nicht zweifeln, dass sie dich sehen will."
Castiel wandte der Frau den Rücken zu. „Das muss nichts heißen... ich habe sie zu oft zum Weinen gebracht... und gebracht hat es nichts..."
Er erzählte ihr von seinem Plan, Nanae näher zu Nathaniel zu treiben. Die Großmutter war verblüfft, wie vernünftig sich seine Erklärung anhörte. Vielleicht war dieser Junge erwachsener als andere in seinem Alter.
Und Nanae hatte die ganze Zeit geglaubt, sie würde ihm einfach nichts bedeuten!
Sie ging auf ihn zu und legte ihm ihre Hand auf die Schulter, was nicht leicht war, da er über einen Kopf größer war als sie und sicherlich gerade mal die Hälfte wog.
„Mach dir nicht soviele Gedanken. Für heute abend bist du mein persönlicher Gast und niemand wird dich behelligen... allerdings solltest du dich bedeckt halten, bis die Zeremonie beendet ist. Sieht sie dich vorher, könnte es sein, dass sie wegläuft oder was auch immer gerade in ihrem Kopf vorgeht."
Castiel nickte und lächelte die sympathische Frau leicht an. Sie roch angenehm und erinnerte ihn an seine eigene Oma, die starb, als er 12 war.
Er fand seine rotzige Art wieder, als er sagte: „Keine Sorge, für coole Auftritte bin ich berühmt!"
Die Großmutter lächelte. Sie mochte den Jungen und sie würde auch Beth davon überzeugen, dass Nanae sich mit ihm nicht in die Nesseln gesetzt hatte... und selbst wenn, sie war jung und verliebt. Das sollte man sie genießen lassen.
Sie nickte abschließend und gebot ihm, ihr zu folgen. Der Ball sollte in Kürze eröffnet werden und sie als Gastgeberin musste anwesend sein. Castiel setzte den Hut wieder auf und zog ihn sich ins Gesicht. Mit gesenktem Kopf ging er ihr nach und setzte sich an einen Tisch in einer Ecke, zu dem sie ihn schickte. Er lehnte sich zurück und wartete teils gelangweilt, teils gespannt auf das Spektakel.
Wann hätte er sonst jemals bei einer solchen Veranstaltung dabei sein können? Er hatte bereits die Abschlussparty zum Realschulabschluss geschmissen und hatte eigentlich auch nicht vor, zur Abi-Feier zu gehen. Außer Nana würde mit ihm hingehen. Er bemerkte mit geschürzten Lippen, wie die feinen Pinkel in ihren teuren Garderoben in den Saal plätscherten, die Damen sahen fast alle so aus, als hätten sie ein Häufchen Mist unter der Nase, so verkniffene und arrogante Gesichter machten sie. Eine hielt sich für schöner als die andere und jede lästerte mit einer Vertrauten über das Outfit der anderen. Castiel belauschte diskret und ungewollt eine Unterhaltung am Nebentisch, in der es ausschließlich darum ging, warum aus welchen Gründen nur die eigene Tochter die Schönste auf dem Ball sein konnte. Castiel hüstelte, um ein Lachen zu verbergen.
War das hier eine Veranstaltung zur Volljährigkeit der Debütanten oder ein Schönheitswettbewerb? Er nippte an einem Wasserglas. Wenn es nach ihm ginge, wüsste er eh, wer das Ding gewinnen würde...
Der Saal füllte sich und die Tische wurden ringsherum besetzt. Kellner in Uniformen begannen, Champagner zu den Gästen zu bringen. Castiel sah sich um und erkannte etliche Gesichter, die öfter mal in der Zeitung waren. So einen lokalen Autohändler, der vor einem Monat eine neue Filiale eröffnet hatte und sich eine Villa am Stadtrand hatte bauen lassen, über die sich einige Naturschützer aufgeregt hatten. Und der große Schlaksige mit den nach hinten gegelten Haaren und der winzigen Brille war der Bürgermeister.
Nathaniel Fürst der Erste. Klugscheißers Papi.
Erschrocken zog Castiel den Kopf ein. Wenn der Bürgermeister hier war, bedeutete das, auch Amber musste da sein. Sie hatte schließlich im Februar Geburtstag, hatte es überall in der Schule herum posaunt und sich feiern lassen. Er konnte es unter keinen Umständen gebrauchen, dass sie ihn hier sah. Das Gesicht noch etwas mehr hinter seinem Hut verborgen, wanderte sein Blick wieder durch die Menge. Ihm wurde warm, als er eine vertraute grau-schwarze Haarmähne entdeckte.
Verdammt... das konnte doch nicht wahr sein, was machten die alle hier?
Erbost über sein Unglück starrte er seinem besten Freund hinterher. Er hatte ganz vergessen, das Lysander und Leigh auch zu solchen Veranstaltungen eingeladen wurden, stellvertretend für ihre schwerbeschäftigten und noch schwerer reichen Unternehmereltern.
Noch tiefer konnte er den Hut nicht ins Gesicht ziehen, dann sah er gar nichts mehr. Vor sich hin brummelnd nippte er erneut an seinem Glas und zuckte zusammen, als ein Kellner ihn fragte, ob er ein Glas Champagner wollte.
„Nein, verzupf dich." murmelte er nur.
Der Kellner wirkte pikiert und wandte sich ab. Castiel vergrub das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Und Nanaes Großmutter!? Was sollte das hier werden? Er spürte mit jeder Faser seines Körpers, das er hier nicht hergehörte und lieber in einer Rock-Kneipe bei einer Flasche Bier sitzen wollte.
Sein Blick ging zur Bühne, die sich wie ein kurzer Laufsteg ein wenig in den Saal hineinwölbte und eine Treppe am vorderen Ende hatte, über die die Mädchen nach ihrem Aufruf zu ihren Plätzen gelangen konnten. Der Vorhang hinter dem Rednerpult bewegte sich und immer wieder mal lugte ein fein frisierter Mädchenkopf dahinter hervor, um sich rasch und kichernd wieder zurückzuziehen. Castiel fing an zu schwitzen... er hatte Angst.

Kirschblüten im Winter [AS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt