Es war noch nicht ganz 7 Uhr morgens, als es an Nanaes Zimmertür klopfte. Nanae hatte schlecht geschlafen und lag bereits wach. Sie starrte in die Dunkelheit und lauschte dem Schnurren des Katers auf dem Kissen. Sie richtete sich langsam auf und machte ein grunzendes Geräusch in Richtung der Tür. Diese öffnete sich leise und die pudrigweißen Haare ihrer Großmutter tauchten im Türspalt auf.
„Bist du wach, Liebes?"
Nanae zog sich die Decke über den Kopf. Sie wollte nie wieder wach sein, sondern sich für immer unter dem warmen Himmel ihres Bettes verkriechen. Sie spürte, wie sich die Matratze verlagerte, als ihre Großmutter sich neben sie setzte. Eine ganze Weile lang schwieg sie, saß nur da. Nanae spürte ihr sanftes Atmen. Schließlich zog sie sich die Decke vom Kopf.
„Muss ich echt ins Internat?"
Die alte Dame nickte im Dunkeln, Nanae erahnte nur ihren weißen Schopf. Sie legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Und ich schätze mal, du bist ihrer Meinung und denkst, ich hätte es verdient?"
„Ich will nicht sagen, dass ich sehr erfreut über deinen Ausbruch war, denn das war ich nicht. Es war sehr ungebührlich. Andererseits war ich stets stolz darauf, dass du immer ehrlich bist und zu deiner Meinung stehst, egal wie unbequem sie sein mag. Wie vorgestern bei deiner Mutter."
„Und wenn du das so toll findest, warum unterstützt du sie dann? Ich dachte, du hältst Internate für irgendwelche Brutstätten der Eitelkeit?"
Die alte Dame nickte. „Ja. Unsere Familie war schon immer wohlhabend..."
„Reich, meinst du?"
Ein leises Lachen. „Ja, dann reich. Mein Großvater war sehr bedacht, dass wir Kinder eine ausgezeichnete Schulausbildung erhielten. Das bedeutete in meinem Fall, dass ich auf seinen Rat hin von meinen Eltern seit meinem 10. Lebensjahr in einer Paukfabrik mit angeschlossenen Internat unter militärischem Drill mit einhundert anderen Mädchen eingekerkert wurde. Uns wurde beinahe alles verboten, was Spaß machte, die Lehrer wussten nicht, wie man lachte oder mit Kindern umging und es gab harte Strafen, wenn man gegen die Regeln verstieß. Und trotzdem fühlten sich etliche der Mädchen, als wären sie, nur weil sie auf diese Schule gingen, etwas Besseres als alle anderen und benahmen sich auch so." Ihre Großmutter schnaufte.
„Als ich älter wurde, schickten meine Eltern mich auf eine Höhere-Töchter-Schule, in denen man lernte, sich wie eine Dame zu benehmen. Ich meine, wir hatten 1958 und englische junge Damen aus gutem Hause hatten keine andere Bestimmung als gut zu heiraten und in der Mutterrolle aufzugehen. Und auch auf dieser Schule wurde man immer wieder mit dem Standesdenken der verwöhnten Mädchen konfrontiert. Aus diesem Grund verstehst du sicher, dass ich dich nie auf einem Internat haben wollte, schon gar nicht auf einer Mädchenschule. Dort geht es zu wie in einem Krähennest. Man sticht sich gegenseitig die Augen aus!"
Nanae strich sich durch die Haare.
„Und was hat deine Meinung geändert? Habe ich wirklich so einen großen Fehler gemacht? Ok, ich hätte das nicht unbedingt vor den Fürsts sagen sollen, aber Mama ist wirklich ein furchtbarer Snob. Und das mit Castiel..."
Eine warme Hand legte sich auf ihre Schulter.
„Ich habe bei deiner Mutter den Fehler gemacht, mich in ihre Liebesdinge einzumischen. Das tue ich bei dir nicht. Wenn du den Jungen magst, ist das dein Ding. Du musst deine eigenen Fehler machen." Die Hand streichelte sie sanft.
„Und da sowohl ich als auch deine Mutter nichts über den Jungen wissen, war es unpassend, was sie über ihn sagte. Es ist ein Zeichen von Größe, andere vorurteilslos hinzunehmen wie sie sind. Alles andere ist kleingeistig und arrogant."
Nanae lachte leise. „Man, ich wusste gar nicht, dass du so sülzen kannst."
„Ja, das bringt das Alter so mit sich."
„Also? Warum soll ich jetzt doch ins Internat? Soll ich mich bei ihr entschuldigen? Behaupten, dass ich bereue, was ich gesagt habe? Castiel in den Wind schießen und mit irgendeinem langweiligen Spießertyp wie Noah abhängen und später eine total langweilige Ehe mit nem Loser, der viel Geld verdient, eingehen?"
„Nein, nein, nein und nein. Ich halte das Internat für eine lehrreiche Auszeit für dich. In einem solchen Mikrokosmos lernt man, sich durchzuboxen. Das macht stark. Und etwas Abstand zu Beth ist bestimmt auch ganz erholsam für euch beide. Ihr seid eben sehr verschieden. Du bist die Art Mädchen geworden, wie sie deine Mutter immer eingeschüchtert haben. Du bist vielleicht mehr wie ich und du hast alle Möglichkeiten, die ich nicht hatte. Und ich möchte, dass du sie nutzt, wenn du das willst. Auch wenn das ein, wie sagt man heute, Bad Boy als fester Freund sein muss."
Nanae und ihre Großmutter lachten einen Augenblick und schwiegen dann eine Weile.
„Muss ich den Rest meiner Schulzeit dort bleiben? Was ist mit Yuuki? Mit meinen Freunden?"
„Im Gegensatz zu Beth mag ich deine Freundin, sie ist reizend und sehr gut erzogen. Deine Anmeldung gilt fürs Erste für den Rest des Schuljahres. Mit etwas Glück hat sich deine Mutter dann wieder beruhigt."
„Und zu den Bällen muss ich natürlich trotzdem kommen?"
Ihre Großmutter lachte, dass das Bett vibrierte. „Zu deinem Debütantinnenball wirst du garantiert kommen. Und um deine Teilnahme am Winterball bitte ich dich."
„Nagut."
„Und bist du nicht mit Nathaniel verabredet auf dem Ball?"
„Ja. Mama freut sich bestimmt darüber. Er ist ihr lieber als jeder andere."
„Er ist nett."
„Ich weiß. Er ist einer meiner besten Freunde. Mehr nicht."
Ihre Großmutter stand auf und glättete ihr Nachthemd unter dem Morgenmantel.
„Steh auf, wenn du nicht mehr schlafen kannst. Deine Mutter wird bald aufstehen. Sie will mitfahren in das Internat und ich vielleicht auch. Ich kenne das Institut nicht, ich bin neugierig."
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Kirschblüten im Winter [AS]
أدب الهواةNanae und Castiel könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie kommt aus reichem Hause. Er bestreitet sein Leben allein. Und dennoch finden sie zueinander - ein paar Stunden in der Woche. Doch ist es Liebe?