Nathaniel lehnte sich an seinen Stuhl. Mit Nanae schien die weihnachtliche Stimmung verschwunden zu sein. Seine Eltern bemühten sich, so zügig wie möglich das Essen zu beenden, ohne unhöflich zu sein. Ihnen war die Laune und Lust auf ein feierliches Beisammensein vergangen, nachdem sie Zeuge eines Mutter-Tochter-Disputs geworden waren.
Würden sie auch so überzogen reagieren, würde ihre Amber einen Jungen mögen, der nicht aus ihrem sozialen Umfeld kam? Das schien allerdings sehr unwahrscheinlich zu sein, denn ihre Eltern wussten, wie opportun sie war. Amber tat nichts, ohne dabei an sich zu denken. Ein Junge ohne Geld käme für sie niemals als fester Freund infrage. Ob Amber einen Jungen allerdings nur ein- oder zweimal aus anderen Gründen traf, wollten sie im Grunde gar nicht wissen. Das eventuelle Sexleben ihrer Kinder war unerfreulich für sie, die Nathaniel und Amber immer noch im Sandkasten spielen sahen.
Nanae Ashmore schien ganz anders als Amber zu sein. Die Fürsts kannten das Mädchen schon seit der Grundschulzeit und sie hatte sich offenbar zu einem andersdenkenden Freigeist entwickelt, der trotz des eigenen Reichtums auf dem Teppich geblieben war und soziale Barrieren zu überwinden wusste. Auch für die erste zarte Liebe zu einem Jungen aus der Arbeiterschicht. Und sie nahm offenbar kein Blatt vor den Mund.
Irene, die Mutter von Nathaniel und Amber, ließ vor Schreck die Gabel fallen, als Nanae Amber anschrie, diese würde liebend gern für diesen Poulain-Jungen die Beine breit machen. Sie kannte die Poulains, eine derbe kleine Frau mit kurzen Haaren und ein schmächtiger Franzose mit Schnurrbart und Baskenmütze. Hart arbeitende Leute. Sie glaubte kaum, dass deren Sohn ein solcher Nichtsnutz sein sollte. Andererseits hörte man im Elternrat viele Beschwerden über Castiel Poulains Verhalten anderen gegenüber. Er schlug sich, rauchte auf dem Schulhof, schwänzte, gab unverschämte Antworten auf die Fragen der Lehrer. Gleichzeitig war er sauber und gepflegt, hatte gute Noten und galt bei den Lehrern zwar als frech, aber auch als sehr intelligent.
Irene grübelte weiter. Für einen Jungen, dessen Eltern berufsmäßig kaum zuhause waren, hätte er viel schlimmer sein können. Sie entschied, dass sie nicht mit Nanaes Mutter übereinstimmte, dass der Junge Abschaum war.
Nathaniel legte sein Besteck beiseite. Nanae hatte also wirklich was mit Cas am Laufen?! Amber hatte, auf ihre schmutzige, gemeine Art, also Recht. Und Castiels Verhalten auf der Klassenfahrt war also Sorge und Eifersucht? Er hatte sich wie ein Berserker aufgeführt, als Nanae vom Sprungturm gefallen war. Nathaniel schluckte. Hatte er zuviel in ihr Verhalten hineininterpretiert, weil sie sich so gut verstanden hatten? Der Abend hatte so schön angefangen. Er spürte Nanaes weiche Lippen noch immer, die nun wahrscheinlich Castiel küssen durfte. Nathaniel trank einen Schluck Punsch. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Castiel, der so feinfühlig wie ein Holzfäller zu den anderen in der Schule war, überhaupt wusste, wie man mit einem Mädchen umging. Allerdings mochten Mädchen Arschlöcher. Er seufzte innerlich.Einige Minuten später ließ Herr Fürst verlauten, dass man sich nun auf den Heimweg begeben wollte, um den Abend noch etwas mit Weihnachtsprogramm ausklingen zu lassen. Nathaniel schnaubte leise. Sein Vater würde sich ins Arbeitszimmer verziehen, Amber und seine Mutter Designerkleider im Internet anschauen und er würde wahrscheinlich alleine vor dem Fernseher sitzen. Die Ashmores mochten keine Bilderbuchfamilie sein, aber seine war es auch nicht.
Die ältere Mrs. Ashmore begleitete die Gäste in die kleine Eingangshalle und verabschiedete sich herzlich von den Fürsts und Nathaniel. Ihm kam es so vor, als würde sie Amber absichtlich etwas links liegen lassen. Immerhin hatte diese mit ihrem Gestänkere den ganzen Abend verdorben. Mit einem Seufzen schloss sie die Tür.
„Beth!" rief sie nach ihrer Tochter, die mit dem Handy in der Hand auftauchte.
„Dieses Kind!" schimpfte sie.
„Sie hat ihr Handy abgeschaltet. Ich kann sie nicht erreichen. Entweder ist sie zu dieser Yuuki oder bei diesem Jungen! Gott, was habe ich nur falsch gemacht?!"
Mrs. Ashmore setzte sich auf einen gepolsterten Stuhl.
„Sie folgt nur dem, was du auch getan hast in dem Alter. Du warst so alt wie sie, als du ihren Vater kennengelernt hast."
„Aber das war doch was ganz anderes!" rief Beth.
„War es das? Ich habe auch versucht, dir hinterher zu telefonieren, weil ich nicht wollte, dass du dich mit Mario triffst. Je mehr ich gegen ihn gesagt habe, desto mehr wolltest du ihn und mit 20 hattest du die Zwillinge und warst verheiratet."
„Was willst du damit sagen? Das Nanae so unvorsichtig ist und den Kerl an sich heran lässt?!"
„Das hat sie sicher. Und wenn du nicht so sehr damit beschäftigt wärst, eine feine Dame zu sein und mehr auf deine Instinkte als Mutter hören würdest, wäre dir aufgefallen, wie erwachsen sie geworden und wie sehr sie aufgeblüht ist." Nanaes Mutter Beth öffnete bestürzt den Mund. Nanae, ihre kleine Tochter, sollte intimen Kontakt zu diesem Jungen gehabt haben?
„Aber sie ist doch noch ein Kind!" rief sie.
Mrs. Ashmore stand auf. „Nein, das ist sie eben nicht mehr! Sie ist 17, beinahe 18 Jahre alt, eine junge Frau, die sich von dir nicht aufhalten lassen wird." Sie wandte sich der Treppe zu.
„Mach die Augen auf und genieße die Zeit, die sie noch hier lebt, bevor sie in die Welt hinaus zieht. Ich ziehe mich zurück. Gute Nacht."
Beth sah ihrer Mutter nach. Sie wollte nicht, dass Nanae den gleichen Fehler machte wie sie. Sie wollte nicht, dass sie sich nach vielleicht einen Jahr Beziehung von dem erstbesten Jungen schwängern ließ. Sie, Beth, liebte ihre Babys von dem Moment an, als sie erfuhr, dass sie schwanger war, aber Nanae sollte erst ein Leben haben, bevor sie eine Familie bekam. Sie sollte studieren, reisen, malen, sich austoben, bevor sie sich mit einem anständigen Mann niederließ und Kinder bekam. Beth setzte sich auf den Stuhl, den ihre Mutter freigemacht hatte. Um ihren Sohn machte sie sich kaum Sorgen, er war schüchtern, ruhig und vernünftig. Nanae aber kam nach ihrem Vater, war dickköpfig, stur und willensstark. Hätten sie und Mario vor 20 Jahren nicht die Kinder bekommen und hätte das nicht eine Heirat unvermeidbar gemacht, wäre die Liebe zwischen ihnen vielleicht nicht abgekühlt und sie hätten sich nicht getrennt. Sie gab es nicht gern zu, aber Mario hatte hart gearbeitet, um ihr, der reichen Erbin, gerecht zu werden und er war gut in allem, was er tat. Sie verstand, warum Nanae ihn liebte. Ein Teil von ihr tat es schließlich auch noch immer. Wäre es nicht eine Idee, sie zu ihm nach Paris zu schicken, um sie von dem Jungen fernzuhalten?
Nein!
Damit würde sie Mario gegenüber eingestehen, dass sie mit ihrer Tochter nicht zurecht kam. Sie stand auf und ging an die Kommode im Esszimmer. Die Haushälterin hatte bereits klar Schiff gemacht und Noah war verschwunden. Sie zog das oberste Fach auf und griff nach einer Broschüre, die sie unter die Servietten gelegt hatte. Sie lächelte.
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Kirschblüten im Winter [AS]
FanfictionNanae und Castiel könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie kommt aus reichem Hause. Er bestreitet sein Leben allein. Und dennoch finden sie zueinander - ein paar Stunden in der Woche. Doch ist es Liebe?