12. Vorbereitung auf den großen Tag

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Die Ferienwoche verging wie im Flug. Nanae verbrachte die meiste Zeit im Bett. Am Morgen nach dem Winterball wachte sie mit hohem Fieber und einem entzündeten Hals auf. Offenbar war es doch nicht die beste Idee gewesen, nur im Kleid draußen im Garten zu sitzen. Ihre Großmutter hatte sie gepflegt, während ihre Mutter in Sorge war, dass sie sich anstecken oder Nanae den Schulstart im Internat verpassen könnte. Nanae erfuhr von ihrer Oma, das Nathaniel einen Krankenbesuch machen wollte, sie ihn jedoch nicht reingelassen hatte, damit er sich nicht ansteckte. Nanae verbrachte die Tage meistens schlafend oder an die Decke starrend. Sie vermied es, an irgendetwas zu denken, denn sonst würde sie nur wieder zu heulen anfangen. Ihre Großmutter hatte ihrer Mutter nichts davon gesagt, was in der Nacht des Balles geschehen war und dass sich Nanae mit „dem Jungen" getroffen hatte. Beth würde nur wieder unter Beweis stellen, wie unsensibel sie zuweilen sein konnte. Wahrscheinlich würde sie sich dazu beglückwünschen, dass die Angelegenheit mit dem unerwünschten Verehrer erledigt sei, ohne daran zu denken, dass sie die Gefühle ihrer Tochter verletzte, die den Jungen lieb hatte. Ihre Oma war es auch, die Nanaes Tasche für das Internat packte und im Gegensatz zu ihrer Mutter all das einpackte, was Nanae auch selbst ausgesucht hätte. Sie legte auch das Tagebuch, ohne es aufzuschlagen, wortlos in den Koffer.
Am Abend vor dem ersten Schultag stieg Nanae apathisch und desinteressiert in den Wagen, nachdem sie sich verabschiedet hatte. Sie wollte nach wie vor ihre Ruhe haben und mit niemandem reden. Sie schlief ein, kaum dass sie im Wagen saß. Da im Internat eh niemand auf sie wartete, ging sie allein auf ihr Zimmer und verkroch sich unter der Bettdecke. Wie konnte ein Herz, das man ihr rausgerissen hatte, nur so entsetzlich weh tun?
Sie weinte sich in den Schlaf.

Nathaniel warf die Tür hinter sich ins Schloss. Er war sauer. Amber hatte mal wieder den ganzen Verkehr aufgehalten und ihretwegen musste er nun rennen, um noch vor dem ersten Klingeln in der Schule zu sein. Sie machte sich keine Platte, sie fuhr mit dem Vater und musste auch nicht so früh da sein wie er. Trotzdem rannte sie frühs als erste ins Bad und blockierte es so lange, dass es für Nathaniel knapp wurde. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch und schulterte den Rucksack. Zügig schritt er aus und erreichte das helle Gebäude tatsächlich einige Minuten, bevor das erste Klingeln am Morgen ertönte. Er schloss die Tür zu seinem Zimmer auf und legte seine Jacke ab. Er schwitzte und verfluchte Amber ein weiteres Mal. Mit einem Taschentuch wischte er sich die Stirn ab. Für heute standen keine Schulsprecher-Aufgaben auf dem Plan und so ging er mit seinem Rucksack wieder auf den Hof, um sich noch etwas abzukühlen vor der Stunde. Als er an der Turnhalle vorbeikam, fiel sein Blick auf den rothaarigen Castiel, der eine Zigarette rauchte und Löcher in die Luft starrte. Sofort flammte vor seinem geistigen Auge die weinende Nanae wieder auf und die Wut war schlagartig wieder da. Er ließ seinen Rucksack auf der Stelle fallen, an der er stand, ballte die Hände zu Fäusten und schritt zügig auf Castiel zu. Noch bevor der etwas sagen oder reagieren konnte, schlug Nathaniel ihm ins Gesicht, sodass er zu Boden ging.
„Bist du total bescheuert?" brüllte Castiel und hielt sich die Hand vor die Nase. Blut sickerte durch seine Finger.
„Wer hier bescheuert ist, frage ich dich, du dämlicher Idiot! Was hast du letztes Wochenende mit Nanae gemacht?"
Castiel richtete sich wieder auf, wobei er sich an die Mauer der Sporthalle lehnte. „Nichts."
„Nach nichts sah das nicht aus. Sie hat geheult, nachdem sie dich getroffen hatte!"
„Ist doch nicht mein Problem, wenn sie mit 'ner Abfuhr nicht umgehen kann."
Nathaniel ballte die Hände erneut zu Fäusten. Castiel registrierte es und grinste durch seine blutverschmierten Finger.
„Hast du heut nacht von Kraft geträumt, Klugscheißer, oder was ist in dich gefahren?"
„Du bist widerlich. Der ekelhafteste Mensch, den ich kenne! Nanae könnte jeden haben, doch sie hat sich für so einen Mistkerl wie dich entschieden. Und du behandelst sie wie Dreck. Ich habe es immer gesagt, du hast ihre Liebe nicht verdient!"
Castiel wischte sich das Blut an seiner Jacke ab und schritt auf Nathaniel zu.
„Jetzt hör mir mal zu, Klugscheißer. Anstatt mich hier dämlich von der Seite anzumachen, solltest du deine Chance nutzen, sie zu bekommen, denn das ist es doch, was du willst, oder? Glaubst du allen Ernstes, mir ist nicht bewusst, dass ich nicht gut genug für sie bin? Ich bin es nicht, den ihre verdammte Mutter mit Kusshand in ihre Familie aufnehmen würde, sondern du. Vielleicht bin ich ein Idiot, aber ich habe ihr das angetan, damit es ihr leichter fällt, ihr Interesse für dich zu entdecken... denn offenbar bist du ein guter Freund und sie mag dich. Sonst hätte sie dich am Wochenende kaum geküsst, oder?"
Castiel suchte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch und wischte sich die Nase ab.
Nathaniel stand verdattert da. Castiel hatte Nanae das Herz gebrochen, damit er sie haben konnte? Das war...
„Das ist krank! Nach allem, was mir die letzten Wochen bei dir aufgefallen ist, magst du Nanae und das sogar ziemlich. Du hast meine Schwester beinahe verprügelt nach der Bilder-Aktion und jetzt willst du mir weismachen, du willst sie nicht?"
Castiel nahm seinen Rucksack hoch und schubste Nathaniel beiseite.
„Du bist der Letzte, dem ich irgendwas über meine Meinung zu Nana erzählen werde, also verzupf dich, bevor ich dir mal eine mitgebe."
Der rothaarige Junge ging auf das Schulgebäude zu und Nathaniel sah ihm zweifelnd hinterher. Der Schweinehund in ihm freute sich, dass Castiel Platz gemacht hatte für ihn, aber der Freund in ihm wollte nur, das Nanae glücklich werden konnte mit dem Jungen, den sie wollte. Er hob seinen vereinsamten Rucksack wieder auf und folgte Castiel. Was war es nur, das Mädchen so an diesem Rüpel faszinierte? Er schüttelte den Kopf.

Kirschblüten im Winter [AS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt