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Die Wellen brachen sich an seinen Beinen und kleine Schatten flogen über den Sand, die von den hoch kreisenden Möwen stammten.

Die Luft war salzig und frisch, das Nass um seine Füße noch etwas kühl. Er war sich jedoch sicher, dass die Wassertemperatur noch steigen würde. Vier Wochen Urlaub in Südfrankreich. Das war doch eine schöne Aussicht. Er konnte seine Augen gar nicht von dem blauen Ozean abwenden. Wie gefesselt stand er da. Die Sonne stand schon ziemlich tief. Sommerferien waren eindeutig das beste, was es gab.

Plötzlich zog jemand an seinem Ärmel. Seine jüngere Schwester stand hinter ihm und grinste fröhlich.

„Jen! Was gibt's?" Jen war die Abkürzung für ihren längeren Name, Jennifer. Sie mochte es nicht wenn man sie mit ihrem vollen Namen ansprach. Deswegen hieß sie schon lange Jen.

„Wir wollen gleich Abendessen gehen. Aber Mama will heute nicht mehr in die Stadt. Deshalb gehen wir im Restaurant des Hotels essen." Auch ihr Blick ruhte auf dem Horizont.

„Ich komme." Ein letztes mal schaute er über das Meer. „Ein unglaublicher Anblick." Er sprach eher zu sich selbst als zu seiner Schwester. Die beiden wandten sich um und gingen die Holztreppe hinauf zu dem hell erleuchteten, sterilen vier Sterne Hotel.

Weil sein Vater es so wollte, tauschte er sein ausgewaschenes T-Shirt und die alten Shorts gegen einen eintönigen Anzug. Er hasste diese Dinger. Er fühlte sich spießig und aufgesetzt. So wie sein Vater aussah. Und leider auch war. Seine Erinnerungen an die Kindheit waren nicht nur positiv. Sein Vater war fast nur auf Geschäftsreisen gewesen. Wenn er dann mal da war, mussten sie alle in piekfeine Restaurants gehen und mit ihrem Lebensstatus angeben. Jedes Jahr ein neues fettes Auto und überteuerte Einrichtungsgegenstände. Das einzig gute waren die jährlichen Ausflüge in den Sommerferien. Und diese verbrachten sie auch nur in immer den selben Hotels. Sie sahen alle gleich aus, egal ob in Spanien, Griechenland oder Frankreich.

Er traf sich in der Lobby mit seiner Schwester, die ein süßes Sommer grünes Kleidchen trug. Ihre langen hellblonden Haare hatte sie nie frisiert. Wer sollte das auch schon für sie machen?! Louis wusste, dass er direkt daran scheitern würde. Zusammen liefen sie in das schon gut gefüllte Restaurant.

Das Essen wurde, wie erwartet, zuerst sehr öde und endete in einem Fiasko. Anfangs sagte niemand etwas. Die Stille war auch zu schön gewesen.

„Louis, wie läuft es eigentlich in der Schule?" Sein Vater blickte über den zu großen Tisch zu ihm hinüber.

„Vater, wir haben vor fünf Tagen die Zeugnisse bekommen." Er hielt seinen Blick starr auf seinen Teller gerichtet und stocherte in dem teuren Essen herum. "Natürlich kannst du dich nicht mehr erinnern." Er warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Er hatte es vergessen. Seinem Vater war nichts wichtiger als seine Anwaltskanzlei. Das einzige was ihm irgendwie wichtig war, war, dass seine Kinder gute Noten hatten um irgendwann seine Firma zu übernehmen.

„Ach, stimmt. Ich habe in letzter Zeit so viel zu tun." Sein Vater warf einen gespielt entschuldigenden Blick in die Runde. War ja klar, dass er sich wieder herausreden würde.

„Wie immer eben.", meinte Louis nur und steckte sich eine Kartoffel in den Mund, damit er nicht noch etwas Unüberlegtes hinter her warf.

„Louis. Du musst die Arbeit deines Vaters mehr wertschätzen! Ohne ihn würden wir nicht hier sitzen." Seine Mutter hielt wie immer zu ihm. Früher hatte sie sich noch für die Leben ihrer Kinder interessiert. Heute war alles an das sie dachte die neue Gucci Kollektion und die Vorbereitungen, die noch für ihre „Freundinnen-Party" zu treffen waren.

„Ich habe eine fünf in Französisch und und eine vier in Chemie. Beim Rest stehe ich zwei oder drei." Louis musste schmunzeln, weil er ganz genau wusste, was jetzt kam.

„Eine fünf? Und in Chemie eine vier? Louis, die Schule ist wichtig. Du begreifst auch gar nichts. Ohne Abitur kannst du nichts erreichen!" Sein Vater wurde langsam feuerrot im Gesicht. Louis' acht jährige Schwester rutschte etwas tiefer in ihren Sitz. Sie fürchtete sich vor den plötzlichen Wutausbrüchen ihres Vaters.

„Bist du eigentlich noch ganz dicht? Du wirst die Kanzlei weiterführen, die ich mühevoll aufgebaut habe und bist trotzdem faul? Auch wenn wir dir schon Nachhilfelehrer organisiert haben?" Wenn Blicke töten könnten... Die Stimme seines Vaters stieg konstant an und überschlug sich sogar ein paar mal. Louis' Mutter schaute verärgert zwischen den beiden her. Vermutlich waren ihr Louis' Schulnoten egal. Sie mochte es nur nicht, wenn die falsche Aufmerksamkeit erregt wurde. Bewundert wurde sie gerne, doch die anderen Menschen im Restaurant waren in diesem Moment sicherlich nicht an ihrem teuren Kleid interessiert.

„Wenn du wirklich mein Vater wärst, würdest du mir helfen und keine bezahlten, fremden Menschen. Außerdem wollte ich noch nie deine Firma weiterführen. Ich wollte schon immer Sport oder Mathematik studieren aber du wolltest mir ja nicht zuhören." Seine Stimme war ruhig. Doch seine Beherrschung war langsam am Ende. „Guten Appetit noch. Mir ist der Hunger vergangen." Mit diesen Worten und einem wütenden Blick in Richtung seines Vaters verließ er den Raum. Die leise Piano Musik verschwand hinter ihm und die erfrischend kühle Abendluft schlug ihm entgegen. Wütend stapfte er durch den abgekühlten Sand. Er war froh, dass er seinem Vater mal die Meinung gegeigt hatte. Das letzte mal war auch schon lange genug her gewesen.

Plötzlich dachte er an seine kleine Schwester Jen. Er hätte sie nicht alleine dort lassen sollen. Er hatte grade beschlossen, umzudrehen und sie da raus zu holen, als er von links eine Stimme hörte.

„Wie siehst du denn aus?" Die Stimme triefte nur so vor Verachtung und Belustigung.

Er drehte sich um und sah einen Schatten in den Dünen sitzen. „Wer ist da?" Er hatte momentan wirklich keine Lust auf... ja auf was eigentlich? Auf alles vermutlich.

Der Schatten ignorierte seine Frage. „Dieser Anzug sieht wirklich schrecklich aus. Warum läufst du so herum?" Das fragte er sich auch gerade.

„Da haben wir schon mal was gemeinsam. Ich hasse ihn auch." Er ging langsam auf den Schatten zu. Die Silhouette ließ auf ein junges Mädchen schließen.

„Warum trägst du ihn dann?" Der Schatten sprang auf und näherte sich ihm auch. Langsam konnte Louis das Mädchen erkennen. Es war relativ groß und schlank. Er schätzte es auf 16 Jahre, also war es in seinem Alter. Die hellbraunen Haare fielen ihr unordentlich ins Gesicht und die ungewöhnlich grauen Augen musterten ihn misstrauisch. Ihre Kleidung wirkte schmuddelig und dreckig. Die Hose war viel zu groß, sodass das Mädchen die Hosenbeine einige male umschlagen musste, und ihr T-Shirt wiederum etwas zu klein.

„Warum ich ihn trage? Das ist eine lange Geschichte." Louis versuchte es mit einem kleinen Lächeln. Komischerweise fiel die Anspannung in dem Gesicht des Mädchens sofort ab und sie ließ sich zurück in den Sand fallen.

„Ich heiße Louis. Wie ist dein Name?", fragte er, während er sich neben sie setzte.

„Mein Name." Sie stocherte mit ihren Füßen im Sand herum und lächelte. "Ich glaube, ich weiß ihn nicht mehr.", sagte das Mädchen mit einer merkwürdig amüsierten Stimme. Sie hob den Kopf und ihre grauen Augen schienen plötzlich nicht mehr so hart zu sein.

„Wie? Du kannst doch deinen Namen nicht vergessen." Louis konnte ihr Verhalten nicht verstehen. So benahm sich doch niemand. Hatte sie Drogen genommen? Doch wie ein Junkie wirkte sie wirklich nicht. Sie war aufgeweckt, nicht weg getreten.

„Ich denke, das geht viel schneller als du denkst. Wenn man andere Sorgen hat und niemand deinen Namen hören will, ist er ziemlich schnell verschwunden. Glaub mir." Sie richtete ihre Augen wieder auf das leise rauschende Meer.

„Ja, ich glaube dir.", war das einzige, was Louis erwiderte. Er wusste nicht genau, was das Mädchen meinte, aber er hatte ja vier Wochen, um es heraus zu finden!

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