Der Marktplatz war immer noch gut gefüllt. Morgens und mittags war es sehr voll gewesen doch zwischenzeitlich hatten sie nicht viel verkaufen können. Glücklicherweise kam in der Dämmerung noch das höhere Volk. Adlige, Kaiser und sogar der König besuchten an diesem besonderen Tag die Stadt Poitiers.
Mit seinen 10.000 Einwohnern war es eine eher größere Stadt. Auf jeden Fall die größte in ihrer Nähe. Aveline und ihre Familie wohnten in einem sehr kleinen Dorf, das zirka 20 Kilometer von Poitiers entfernt lag. Normalerweise verkauften sie ihre Ware nicht in den größeren Städten, doch die Ankunft des Thronfolgers Philipp von Valois war eine Ausnahme. Die Bürger Frankreichs hielten viel von der angesehenen Familie, die im Jahre 1328 über das Land herrschte.
Aveline hatte jedoch andere Sorgen. Sie war zuständig für die Warenverkäufe und auch wenn Hochsaison war, hatten sie tendenziell wenig verkauft. Sie hatte die Werte oft nachgerechnet doch es war immer eine zu geringe Endsumme herausgekommen. Ihre beiden jüngeren Brüder und ihre Mutter waren zu Hause geblieben.
Aveline war die einzige, die ein paar Jahre zur Schule gegangen war. Doch nach einer Weile waren auch diese Kosten zu hoch geworden und seitdem half sie jeden Tag auf dem Bauernhof ihrer Eltern mit. Trotzdem war sie die begabteste im Berechnen der Zahlen und bekam somit die 'ehrenhafte' Aufgabe, die Einnahmen zu dokumentieren. Zumindest empfand ihre Mutter es als 'ehrenhaft'.
Die letzten wärmenden Sonnenstrahlen tauchten den gepflasterten Platz in ein warmes Licht. Der Juni ging seinem Ende zu und die Tage waren lang und sonnig. Kleine Kinder spielten lachend und quiekend fangen, stießen die Erwachsenen zur Seite und achteten nicht auf die wüsten Beschimpfungen. Erst als ihre Eltern eingriffen beruhigten sie sich langsam und ließen sich schließlich durch die verwinkelten Gassen zurück nach Hause führen.
Ein beständiges, gemütliches Summen erfüllte den friedlichen Abend. Nach einem Tag auf dem Markt hatten sich die vielen Geräusche in Avelines Kopf eingeprägt. Preisende Händler, tratschende Großmütter und schreiende Kinder. Viele der Warentische waren nur flüchtig aus einigen Holzbrettern zusammen gebaut worden und hingen etwas schief auf den Holzpfeilern, die die 'Theke' hielten.
Bunte, appetitliche Farben wohin das Auge reichte. Erdbeeren, Aprikosen und Kirschen stachen aus den verschiedenen Haufen hervor. Außerdem gab es Stände mit sommerlichem Gemüse, frischem Brot, Kräutern, Getreidesäcken, Fleisch und Strohkörben. Der Metzger der Stadt baute seine Warenkörbe schon wieder ab. Gutes frisches Fleisch war in der letzten Zeit rar und somit auch sehr begehrenswert geworden. Sein Stand wurde eigentlich jedes mal als erstes geschlossen, wenn sie da waren.
„Aveline. Bedien den Kunden!" Ihr Vater legte ihr eine Hand auf die Schulter und sie nickte schnell. „Was wünschen sie?" Der ältere Herr deutete auf die Johannisbeeren und Heidelbeeren, die sie in ihrem Garten züchteten. Er reichte ihr einen kleinen Korb und sie füllte ihn bis zum Rand auf, bis der Mann sagte, das würde genügen. Sie reichte ihn ihm über die Theke und er legte ihr einige silberne Münzen in die Hand. Oft tauschten die Menschen die Güter gegen andere Nahrungsmittel, doch seit einer Weile auch immer öfter gegen Gold oder Silber. Sie rechnete den Wert im Kopf schnell um und war sich sicher, ein gutes Geschäft gemacht zu haben.
Der Kunde bedankte sich und verschwand in der Menschenmenge. So ging es den ganzen Abend weiter. Der Tag wollte einfach kein Ende nehmen.
Einige Stunden später war die kleine Theke vor ihnen um einiges leerer. Zufrieden lächelte Aveline. Sie hatte befürchtet, ihre Familie würde noch mehr Schulden machen, doch die Adligen hatten noch viel Obst gekauft. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab.
„Ein recht erfolgreicher Tag, nicht wahr Aveline?" Sie drehte sich um und lächelte. Talon, ihr bester Freund aus Kindertagen hatte an der anderen Seite des Standes gearbeitet. Jetzt stand er vor ihr und grinste sie an. Genau wir früher.
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Short StoryEin Versuch zu denken, fühlen und sehen in fremdem Kopf. Aus anderer Perspektive. Ein Momente Fänger. Eine Sammlung einiger Geschichten, Inspirations Schüben und alten verstaubten Ideen, die nicht zu Ende geführt wurden. - [Cover von mir!] [Unreg...