Kapitel 7

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Ich stehe mitten in der Nacht auf - Radau vor dem Haus. Leise schleiche ich mich an ein Fenster im Flur. In der Garagenauffahrt steht ein blauer Pick-Up und davor ein Duzend Jugendliche, die Geschlechter sind ausgeglichen. Mason steht mit verschränkten Armen vor einem großen Jungen, mit langen schwarzen Haaren und diskutiert. Mein Cousin ist offensichtlich verärgert. Gedänpft durch das Fenster höre ich ihre Stimmen: "Nein, ganz ehrlich, ich muss morgen früh raus. Nicht heute." "Komm schon, Mason.", versucht der Typ meinen Cousin zu irgendetwas zu überreden, doch Mason schüttelt verhemmt den Kopf. Mein Blick wandert über die gesammelten Leute. Mehrere Leute sind schon merklich angetrunken, Beziehungsweise betrunken und schwanken auf der Ladefläche des Autos herum. "Alter, wann bist du zu so einem Langweiler geworden." Die Stimme ihres offensichtlichen Anführers ist klar und deutlich. Der hat eindeutig noch keinen Alkohol intus, was aber wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit ist, bis der auch einen kippt, weil Masons Gesichtsausdruck nun noch verschlossener wird und langsam in Richtung Haus zurückweicht. Auf der Ladefläche reisst ein Junge gerade eine neue Packung Dosenbier auf und ich frage mich unwillkürlich, woher sie das Bier haben, wenn in Amerika die Richtlinien noch strenger sind als in Deutschland und dort ist es schon schwer irgendetwas Alkoholisches zu bekommen.

Ich habe genug gesehen und warte vor seiner Zimmertür auf Mason. "Was ist da draußen los?", frage ich leise. Er winkt mich nur mit in sein Zimmer und bedeutet mir dann mich zu setzen. "Vor einem Jahr war ich bei denen in der Clique.", beginnt er. "Wir haben alles gemacht, ohne Grenzen. Sind in Spirituosenläden eingebrochen und haben Schnaps geklaut und den anschließend getrunken." Ich setze meine neutrale Mine auf. Dass er das alles gemacht, finde ich nicht gut, aber er will offensichtlich mit den anderen nichts mehr zu tun haben. Mason holt noch einmal Luft und anders als ich gedacht habe, kommt noch mehr. "Alles was ihr euch in Europa unter der amerikanischen Jugend vorstellt, haben wir gemacht. Irgendwer hatte immer irgendetwas dabei und dann kam es am Ende eines Abends manchmal vor, dass man das gesamte Drogen-ABC durch hatte." Mein Cousin schluckt. "An anderen Tagen hatten wir Unmengen von besoffenen und schon im Koma liegenden Freunden" Das Wort 'Freunde' spricht er abfällig aus. "Und mussten die dann immer irgendwo unterbringen. Meistens sind sie aufgewacht und konnten sich an den Großteil nicht mehr erinnern." Er fährt sich durch die Haare. "Irgendwann wurde es mir zu viel. Klar, ab und zu getrunken oder geraucht hab ich schon, aber nie das wirkliche harte Zeug genommen. Also bin ich ausgestiegen, habe mir Hilfe bei der Schul-Drogen-Hilfe geholt und hatte mit denen kaum was zu tun. Nur manchmal kommen sie vorbei, weil ich meistens derjenige war, der ihnen den Stoff besorgt hat." Ich bin erstaunt - und beeindruckt. Dass Mason das alles geheimgehalten hat. Sowas wäre sogar bis an die europäische Verwandtschaft durchgesickert. "Mein Cousin, ein kleiner Drogendealer." Mason senkt beschämt den Kopf. "Wieso hast du mir das Ganze überhaupt erzählt?", frage ich und fahre mir durch die Haare. "Ich weiß es nicht." Er zuckt hilflos mit den Schultern. "Bitte verpfeife mich nicht bei Emma und John. "Werde ich nicht.", murmle ich. "Jeder hat seine Geheimnisse und das ist deines." Mason schaut mich neugierig an, aber ich schüttle den Kopf. "Nee, sorry, aber ich bin müde. Vielleicht ein anderes Mal." Dann gehe ich aus seinem Zimmer.

Der Schultag geht verhältnismäßig schnell vorbei. Schon ist Mittag, ich sitze bei Lucas, Mason und Riley und esse das diesmal halbwegs gelungene Gericht aus Spanisch Kochen - was daran liegen könnte, dass Lucas gekocht hat und ich ihm assistiert habe. "Heute. Football.", kündigt Mason an. "Viel Spaß.", wünsche ich ihm und frage mich unwillkürlich, ob seine Teamkameraden von den Eskapaden mit Alkohol und so weiter, wissen. Wahrscheinlich eher nicht, denn man sieht ihm den Konsum nicht an. Ich nicke Lucas zu. "Lecker." Meine anerkennende Stimme lässt ihn lächeln. "Besser als dein verbranntes Zeug gestern?", fragt er. Ich nicke. Die Pause ist viel zu schnell vorbei. Ich bin gar nicht mehr dazu gekommen, in meine Bücher zu schauen, wie ich es vorhatte.

"Wohin musst du?", fragt Lucas mich. Ich habe mir den Raum eingeprägt. "Zur HuHA, wie du.", erinnere ich ihn. Er sieht so aus, als würde es ihm gerade wieder einfallen. Wir gehen also gemeinsam zu Raum 201, wo das Treffen stattfinden soll. Tatsächlich sitzt Riley schon auf einem Stuhl, hat die Füße auf den Tisch gelegt und kritzelt auf ihrem Collegeblock herum. Ein Junge und ein Mädchen unterhalten sich leise und ein Lehrer sitzt am Pult und liest Zeitung. "Hallo.", begrüßt er uns, als wir eintreten. "Schön dass du wieder da bist Lucas." Der setzt sich auf eine Fensterbank und ich flätze mich neben ihn, denn allein rumhocken, ohne Beschäftigung, kann ich nicht. Wir sind zehn Minuten zu früh, also warten wir, und tatsächlich gesellen sich noch zwei weitere Jungen und ein Mädchen zu uns. Dann schaut der Lehrer auf die Uhr, einmal in die Runde und schließt dann die Tür. Er greift nach einer Liste und beginnt unsere Namen aufzurufen. Zufrieden nickt er mit dem Kopf, als alle sich als anwesend entpuppt haben, dann bittet er uns, sich vorzustellen. Er beginnt mit sich: "Herzlich Willkommen alle zusammen. Ich freue mich so viele neue Gesichter in unserem alten Bekanntenkreis zu sehen." Er nickt Riley, Lucas und einem Mädchen mit pinken Haaren zu. "Ich bin Leo Smith und während wir hier in der HuHA unter uns sind, könnt ihr mich gerne duzen und Leo nennen. Ich selber bin Heterosexuell, setze mich aber für die Recht von der Regenbogenfaktion ein." Er lächelt bei diesen Worten, was zeigt, dass seine Aussage keinenfalls als Beleidigung zu verstehen ist. Dann gibt er das Wort an einen Jungen mit hellblonden Haaren weiter. Insgesamt wirkt er relativ hell - wie ein Engel. "Ich heiße Harvey, bin fünfzehn Jahre alt und bin bisexuell." Das geht immer weiter so. Eine Nathalie - das Mädchen mit den pinken Haaren, Lucas, Riley (die für einen Moment auf die Toilette verschwunden ist), ich, Quinn, Jonathan, Mona, Ben. Als ich an der Reihe bin, stocke ich kurz. "Ich bin Jannik, sechzehn Jahre alt und schwul." Es kommt mir erstaunlich leicht über die Lippen. "Und woher kommst du?", fragt Leo interessiert. "Aus Deutschland." Er nickt und damit ist die erste Sitzung auch schon vorbei. Leo teilt uns an der Tür Zettel aus, auf denen ein Ausflug angekündigt wird und eine Einverständiserklärung drauf steht.

John unterschreibt den Wisch, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, denn ich weiß einfach nicht, wie Masons Eltern auf mein Schwulsein reagieren würden. Ich rufe meine Eltern und bitte um das Geld, ohne zu erwähnen für was es ist,  dass sie mir schließlich auch geben. "Für schulische Aktivitäten doch gerne.", sagt meine Mutter und lacht ins Telefon. Eine ganze Woche ohne Schule. Nur HuHA. Die nächste Woche schon. Aufgeregt knibble ich an meiner Nagelhaut herum. 'Damit wir nicht viel von der Schule verpassen', steht auf dem Blatt und ich freue mich schon.

Gegen Abend sitze ich mit Lucas im Garten und lasse ihn ein Kinderlied spielen. "Sehr gut.", lobe ich. "Wieso hast du mir nichts davon erzählst?", bricht Luke dann sein langes Schweigen. Er hat die ganze Zeit kaum was gesagt oder hinterfragt. "Was denn?", frage ich und lege das Notenheft beiseite. "Dass du schwul bist.", sagt er. "Was hätte ich denn sagen sollen?" Ich fahre mir durch die Haare - aufgebracht. "Hallo, ich bin Jannik, siebzehn Jahre alt und bin der Cousin von Mason. Ach ja, noch was, ich bin schwul." Ratlos zuckt Lucas mit den Schultern und sein Gesicht nimmt einen leicht verzweifelten Ausdruck an. "Vielleicht irgendein Hinweis, oder so." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Was stellt er sich unter 'irgendein Hinweis' vor? "Du hättest ja auch was sagen können.", murmle ich, dann nehme ich im die Gitarre aus der Hand und beginne zu spielen. 'I know I never got her name; or time to find out anything; I love her just the same; now I ride a different road; and sang a different song; I love her 'til my last breaths gone; like a river, made of silver; everyone came running to see; I was shot down, in cold blood, by an angel in blue jeans; ...' Lucas singt leise mit. Was mich am meisten erschreckt, ist, dass ich die Situation kein bisschen einschätzen kann. Sie fühlt sich so anders an, als alles was ich je gefühlt habe.

Mein Weg zu dir (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt