Kapitel 15

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„Amy, was sollen wir jetzt machen?", flüsterte sie und lachte laut los, damit es nicht auffiel. Wie in Zeitlupe wendete ich den Blick von Sean ab und schaute Mar mit großen Augen an.

Verdammt, wir mussten sofort weg. Aber schleunigst. Mein Herz raste und ich konnte kaum tippen, während ich Marleen schrieb:

Wir müssen gehen, sofort.

Ich wusste nicht, ob ich jetzt losschreien oder heulen sollte. Beides schien mir jedoch dumm.

Sicher? Mom und Dad? kam von Marleen zurück.

Ich wartete ein bisschen und tat so, als würde ich in der Karte rumstöbern. Dann schrieb ich ihr zurück:

Wenn wir raus gehen, folgt er uns. Eltern aus dem Schneider.

Wir mussten wirklich gehen. Auch wenn ich den Tag eigentlich mit meinen Eltern verbringen wollte, blieb uns nichts anderes übrig. Wenn wir wollten, dass unseren Eltern nichts passiert, mussten wir jetzt raus gehen.

„Mom, Dad", fing ich an. Was, wenn er uns nicht folgt und genau das will? Nein. Wir würden schon sehen, wenn er aufstehen würde.

„Wir müssen gehen." Die Worte blieben mir fast im Hals stecken.

„Was? Ist das euer Ernst?", fragte Anna. Mar nickte.

„Aber wir sind extra so weit gefahren! Was ist denn so dringend?", wollte nun Mom wissen.

Mars Eltern redeten auf sie ein und sie versuchte sie zu beruhigen, ich hingegen saß nur still da und starrte Mom ins Gesicht. Ich hoffte, dass sie es verstehen würde. Schon viel zu oft hatte ich sie angelogen. Zu meinem Erleichtern nickte Mom kurz und umarmte mich. Dann umarmte ich noch schnell Dad und die Eltern meiner besten Freundin. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich sie jetzt nicht mehr sehen würde. Wahrscheinlich noch viel länger, aber wir konnten uns jetzt nicht stundenlang verabschieden und Zeit verschwenden. Denn die Zeit raste, genau wie mein Herz und mein Puls.

Hektisch standen wir auf und liefen ohne einen Blick in diese Richtung nach draußen. Aus dem Augenwinkel glaubte ich jedoch ein höhnisches Grinsen zu sehen, oder aber ich halluzinierte einfach vor Angst. Eher das Zweite. Mit schnellen Schritten liefen wir in Richtung Mars Auto.

„Renn!", sagte Marleen, während sie kurz nach hinten schaute. Ich wagte einen Blick nach hinten und da sah ich ihn: Ganz lässig gekleidet und mit einem Grinsen auf dem Gesicht lief er gerade aus der Eisdiele raus. Ach du Scheiße. Ich rannte noch schneller, schaute immer wieder zurück, und er rannte jetzt auch. Natürlich würde er uns kriegen, er war viel schneller.

Endlich am Auto angekommen schrie Marleen unter Tränen und trat gegen einen Reifen.

„WAS IST?", fragte ich und rüttelte an der Autotür.

„DER REIFEN! ER HAT IHN AUFGESTOCHEN!" Verdammt!

Mein Herz setzte für einen Moment aus. Wir werden hier nicht wegkommen. Wir werden nicht wegkommen. Also gab es nur eine Lösung: Wir mussten um unser Leben rennen.

Ich fluchte durch die Gegend und rannte um das Auto herum, nahm ihre Hand. Dann rannte ich einfach mit ihr weiter. Keine Ahnung wohin wir rannten, einfach weg. Meine Beine schmerzten, und schlagartig fühlte ich mich wie in der Nacht des Überfalls. Die Bilder tauchten vor mir auf, das Leuchten der Alarmanlage. Und die Schüsse, die wir gehört hatten.

Ich presste die Lippen zusammen und hielt mir die Ohren zu, um mich auf das Wegrennen zu konzentrieren. Meine Beine waren schon taub.

„Na los, hier rein!", sagte Mar und zog mich in ein altes heruntergekommenes Gebäude. Ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm. Die Sache war nur, dass es kein Film, sondern Realität war. Mit klopfendem Herzen versteckten wir uns hinter einem Berg voller Holz. Mar umklammerte meinen Arm. Wenn wir das überleben werden, werde ich wahrscheinlich einen blauen Fleck dort haben.

GlücksscherbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt