Kapitel 28

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AMYS SICHT || Als William uns abgeholt hatte und wir uns zu den Gästen setzten, wurde ich hin und wieder schief angeschaut. Warum auch nicht? Ich war hier total fehl am Platz. Diese Feier war für die Familie.

In unserer Abwesenheit hatte sich die Haushälterin um den Kuchen und den Kaffee gekümmert. Ich entschuldigte mich kurz bei Nathan, um mir ein Stück von dem Kuchen zu holen. Mir kam das ganze falsch vor. Kaffee und Kuchen nach einer Beerdigung? Offenbar war so etwas Tradition.

Während ich meinen Teller belud, tauchte plötzlich Nathans Großmutter neben mir auf.

„Na, mein Kind, wie fandest du die Trauerfeier?", fragte sie mich. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, weil sie ihrer Tochter einfach so ähnlich sah.

„Sie war sehr ... ergreifend", lächelte ich gezwungen. Meine Kopfhaut tat langsam weh, denn der Pferdeschwanz war zu straff.

„Fand ich auch. Aber das was der Trauerredner gesagt hat, war ja vollkommene Scheiße, oder?"

Ich riss den Mund auf. „Äh ..."

Sie lachte, und ich stimmte in ihr Lachen mit ein, weil sie solch eine Ausdrucksweise hatte. Ihr Lachen war so herzlich, doch auch bei ihr merkte man, dass sie nur den Schmerz überspielte.

„Naja, also ich fand den Satz, dass sie jetzt an einem besseren Ort ist, lächerlich. Der beste Ort für sie wäre hier", murmelte ich verlegen.

„Da hast du Recht."

„Ihre Tochter war bildschön", platzte es aus mir heraus. Dafür bekam ich wieder ein herzhaftes Lächeln geschenkt.

„Oh, danke, mein Kind. Aber du bist auch bildschön." Ich bedankte mich mit rotem Kopf.

Sie strich noch kurz über meinen Arm, dann lief sie wieder zu ihrem Platz zurück.

Erleichtert atmete ich aus. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich hoffte nur, dass die Gäste bald weg sein würden. Schnell hastete ich mit meinen Kuchen wieder zu meinem Platz und versuchte, die nächsten paar Stunden nicht zu kollabieren. Nates Grams wollte unbedingt Fotos von ihm und mir machen, weil wir ja beide so toll aussahen. Noch ein paar Bilder mit Scott, Noah und ihr und dann war ich auch schon wieder abgelenkt.


Die Gäste waren endlich weg. Nathan zeigte mir, wo oben das Badezimmer war, damit ich mich oben fertig machen konnte. Die Beerdigung hatte eine Stunde gedauert, die Gäste waren sehr lange da gewesen, ungefähr fünf qualvolle Stunden. Um 17 Uhr hatten wir dann geholfen, aufzuräumen, was bei der großen Gästeanzahl mindestens eine Stunde gedauert hatte. Noah und Nathan stritten sich darüber, was mit Nathalies Sachen gemacht werden sollte. Noah wollte sie behalten, als Erinnerung, doch mein Freund wollte nicht so schmerzhaft erinnert werden. Am Ende – nach einer ewig langen Diskussion – entschieden sie sich dafür, die Kleidung zu spenden und nur ihre Heiligtümer aufzubewahren. Ich war überrascht, als ich herausfand, dass sie Bücher geliebt und eine ganze Bibliothek gehabt hatte.

„Was ist denn mit dir los?", grinste Nathan, als sie über diese Bibliothek redeten. Ich hatte offenbar viel zu laut Luft geholt.

„Ich äh ... Ich liebe auch Romane, deshalb. Und ich wollte schon immer eine Bibliothek haben", erklärte ich schüchtern.

„Du kannst gerne mal reinschauen und ein paar Bücher, die dir gefallen, ausleihen oder auch ganz behalten", bot Noah mir freundlich an. Wie bitte? Ganz sicher nicht! Ich habe sie umgebracht, ich kann doch nicht ihre Bibliothek betreten, geschweigedenn ihre Bücher ausleihen oder behalten! Heilige Scheiße, ich war schon wieder kurz vor dem Weinen. Wie viel Pech und Tränen konnte ein einziger Mensch überhaupt haben?

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