Kapitel 27

108 9 0
                                    

Ich war ein wenig wacklig auf den Beinen, als wir die Kirche betraten. Die Kirche war ein wenig kühl, weswegen ich den Arm noch fester um Nathan schlang. Ich hatte mich bei ihm verhakt. Während wir auf die ersten Bänke zu liefen, legte ich den Kopf in den Nacken, um die beeindruckenden Deckengemälde zu betrachten. Ich war zwar nicht gläubig, aber die Kirche war wunderschön. Der weiße hölzerne Sarg, auf dem ein großes Blumenspektakel lag, fiel mir ein paar Sekunden später ins Auge. Die wunderschönen weißen und blauen Lilien harmonierten perfekt mit dem Grünzeug. Wenn das keine Beerdigung gewesen wäre, würde ich wahrscheinlich fragen, wo sie dieses Blumenspektakel bestellt hatten.

Wir blieben kurz stehen, weil Nate gleich ein paar Gäste begrüßen musste.

„Meine Mutter hat Lilien geliebt", erklärte er mir, als ich den Blumenschmuck an den Bänken entdeckte. „Sie war nicht wie andere Frauen, die immer rote Rosen wollten. Sie wollte immer nur Lilien haben. Glaub mir, der ganze Garten war von Lilien in den verschiedensten Farben voll."

Er lachte und legte den Arm um meine Taille. Gerade kam ein altes Paar auf uns zu, höchstwahrscheinlich seine Großeltern.

„Nathan, mein Kind", sagte die ältere Frau und umarmte ihn. Er überragte sie um zweieinhalb Köpfe.

„Hallo Grams, Großvater", erwiderte Nate mit einem breiten Lächeln. Auch ihn zog er in seine Arme.

„Oh, wer ist das denn? Was für eine reizende junge Dame!"

„Hallo, ich bin Amy. Äh ... Seine Freundin", antwortete ich freundlich. Der Mann tätschelte mir die Schulter, während seine Grams mir in die Wange kniff.

„Grams, hör auf damit!"

Ich kicherte nur. Die beiden waren so süß.

„Endlich hat er mal eine Freundin. Und dann noch so ein hübsches Mädchen!", rief sein Großvater begeistert aus. Nein, ich habe ihre Tochter umgebracht!

„Oh, danke", sagte ich verlegen. Ich musste noch tausend Kniffe in die Wange über mich ergehen lassen, Nates Großeltern von seinem Vater aus, mehrere Tanten, Onkel und Cousinen und schließlich seinen einzigen Cousin, der mich wie ein Irrer abschätzend musterte.

Bevor wir uns setzten, lief ich mit Nathan noch einmal kurz nach hinten, um eine Lilie aus dem Korb hinzubringen, der am Eingang stand.  Ich hatte eine blaue, er eine weiße.

Vorher war mir das große Bild, das vor dem Altar stand, gar nicht aufgefallen. Als wir die steinernen Treppen hinauf liefen, um die Blume vor das Bild zu legen, betrachtete ich es.

Auf dem Bild war Nathalie abgebildet, die in die Kamera strahlte. Sie hatte warme, braune Augen, die auf dem Bild stark hervor stachen. Ihre Haare waren seidig lang, fast bis zu der Hüfte, und sie hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Ein paar rote Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Sie sah ihrer Mutter unheimlich ähnlich.

Sie war so hübsch gewesen. Und glücklich. Auf dem Bild hatte sie eine mit Herzchen verzierte Schürze an, Mehl im Gesicht und sie rollte gerade Teig aus.

Natürlich konnte sie kochen beziehungsweise backen.

Ich erinnerte mich an Noahs Worte. Zum Glück kannst du kochen.

Ich hatte das Gefühl, als könnte ich den Satz zu Zum Glück kannst du nun für uns kochen, jetzt wo Nathalie weg ist erweitern.

Oh Gott. Mein Herz zog sich unwillkürlich zusammen.

Erneut kamen mir die Tränen, und bevor Nate auch los heulte, liefen wir zu unserem Platz zurück. Links von mir saß seine Grams, neben ihm pflanzte sich Scott hin. Er hatte gewollt, dass wir uns ganz nach hinten setzen, obwohl sein Dad ganz vorne saß.

GlücksscherbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt