Kapitel 2

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Wider meine Erwartungen hielt sie es für unnötig, mich mit Müh und Not unter Einsatz ihrer Sporen und Gerte über den ein oder anderen Sprung zu jagen. Stattdessen parierte sie mich durch und schwang sich aus dem Sattel.

Damit beendete sie die Reitstunde vorzeitig und mein Besitzer lächelte herablassend, denn er erwartete, dass sie es einsehen würde, dass er Recht hatte.

Tatsächlich legte sie dir Stirn in Falten und musterte mich enttäuscht nach ihrem vergeblichen Reitversuch, denn wandte sie sich an den älteren Herrn neben mir. "Und so ein Pferd wollen Sie verkaufen? Dafür bekommen sie keine zwei Riesen. Eine Schande, ein junges Pferd wie dieses so anzureiten." Mitleidig fuchtelt sie an meinem Kopf herum und tätschelt meinen Hals.

Ich ließ müde den Kopf hängen, denn sie war nich Erste, die so oder in dieser Art über mich urteilte.

Menschen haben diese Angewohnheit, über alles zu urteilen und nie sind sie zufrieden mit dem, was sie haben: sie wollen immer mehr, besser, billiger. Sie haben Vorurteile und geben sich selten mit etwas zufrieden, das ihren Erwartungen nicht entpsricht.

Und genau das kann ich auch in dem ich bocke, steige, auf der Stelle trete, nur dass sie das nicht akzepieren können. Ich muss funktionieren, wann sie es wollen und wie sie es wollen und alles muss nach ihrem Willen geschehen.

Er verschränkt die Arme vor der Brust und lächelt selbstgefällig. Doch die nächsten Worte verschlugen ihm die Sprache.

"Aber ich denke, mit ein bisschen Arbeit ist er in ein paar Jahren soweit, ein großes Springpferd zu werden. Na komm."

Mit diesen Worten schien mein Schicksal besiegelt und ich konnte wieder einmal die Tage zählen, bis ich wieder hier landete. Trotzdem ließ ich mich nicht zweimal bitten, in den Stall zurückzukehren.

Gewissenhaft sattelte sie mich ab, wusch mein schweißnasses Fell und trocknete mich ab, zumindest ansatzweise. Dann entließ sie mich in meine Box und steckte noch zwei Äpfel in meinen Futtertrog, die ich nicht eines Blickes würdigte bis es Abend wurde.

Ich hätte nicht damit gerechnet, sie wiederzusehen, habe es für einen Scherz gehalten oder eine unüberlegte Aussage, die sie später bereute. Doch ich wurde vom Gegenteil überzeugt.

Am nächsten Morgen fuhr ein Anhänger durch die Stalleinfahrt, ich hörte wie die Reifen auf dem Kies knirschen, wie die Autotüren klappten, als sie ausstiegen und das Stimmengewirr vor dem Stall. Sie ließen sich viel Zeit, bis sie das Geschäft abwickelten und ich knabberte derweil gelangweilt auf einigen Heuhalmen herum.

Gemütlich spazierten sie die Boxengasse entlang und plauderten ein wenig, vermutlich über mich.

Vor meiner Box hielten sie an und schoben die Tür auf. Mit einem braunen Halfter und einem Stapel Decken in der Hand betrat das Mädchen meine Box. Es war nicht das erste Mal, dass ich für einen Transport vorbereitet wurde, deshalb wehrte ich mich nicht als sie mir die Transportgamaschen anlegte. Bald würde ich wieder hier sein und dann wird der nächste Mensch kommen, der denkt, er könne ein Springpferd aus mir machen.

Kaum trat ich auf die Stallgasse, kaum klapperten meine Pferdehufe auf dem kalten Stein, riss mein Besitzer den Zettel mit meinem Namen vom Holz und zerknüllte ihn. Dann bedachte er mich mit einem selbstgefälligen Lächeln, weil er es geschafft hatte, mich loszuwerden. Zumindest fürs Erste.

Brav stieg ich die Rampe hinauf, ließ mich im Hänger anbinden und wedelte lediglich nervös mit dem Schweif. Ich hatte keine Angst, denn Angst lässt jemanden angreifbar und verletzlich wirken und in letzter Zeit habe ich genau das Gegenteil bewiesen, gerade weil man mich angegriffen und verletzt hatte, an meinem wundesten Punkt. Ich hatte Respekt vor dem, was mich erwarten könnte, sobald ich diesen Hänger wieder verließ und ich war neugierig.

Der Motor sprang an, langsam rollte der Hänger durch die Gestütseinfahrt über Wiesen und Dörfer und die Gegend, die mir vertraut war, verschwomm.

Unbemerkt und unbedacht glitten wir dahin, immer weiter und immer ferner von meinem alten Zuhause in mein neues Heim.

Ich habe in meinem Leben bereits viele Ställe gesehen, große moderne Sportanlagen und kleine Paddockboxen und jedes Mal war ich neugierig, was mich nun erwartete. Als ich heute nach einer langen und anstrengenden Fahrt aus dem Hänger stieg, erwartete mich ein kleiner Stall und viele sattgrüne Wiesen – man könnte meinen ein kleines Paradies. Neben der Stallanlage lag eine Reithalle und dahinter, von einem braunen Zaun umgeben ein kleiner Reitplatz unter ein paar großen Bäumen, die Schatten spendeten.

Ich blähte die Nüstern und atmete tief ein.

Auf den sattgrünen Wiesen grasten Pferde, vor dem Stalltor lag ein großer brauner Hund und jemand schob eine Schubkarre zwischen den Boxen und dem Misthaufen hin und her.

Wachsame Augenpaare beobachteten mich als ich auf der Stelle trat und nervös den Kopf hochriss.

Ich wieherte kläglich und zog am Strick, aber niemand antwortete mir.

Jemand tastete meine Beine gewissenhaft an und streichelte mich dann, ich zuckte zusammen und wich zurück. "Na komm Dicker, es ist alles gut", brummte das Mädchen und entfernte sich von der Gesellschaft.

Wir näherten uns dem Stallgebäude und sie führte mich – ich tänzelte auf der Stelle – in eine große, geräumige Box.

Es war nicht der erste neue Stall in meinem Leben, den ich voller Misstrauen betrat und den fremden Pferden, einer Stallgemeinschaft, gegenübertrat, doch dieser hier schien etwas Besonderes.

Die Boxen waren durch halbhohe Holzwände und Gitter voneinander abgetrennt, aber jedes Pferd konnte durch ein kleines Fenster auf die Gasse gucken und einige hatten sogar eine weitere Tür, die direkt auf den Hof führte. Neugierig beschnupperte ich die neuen Ecken und Kanten in meinem Zuhause.

Es waren große Boxen, eine breite Stallgasse und viel Licht. Über mir flackerten Leuchtröhren. Fliegen tanzten still im hellen Licht. Die Sonne leuchtete als roter Feuerball am Horizont. Ihre letzten warmen Strahlen brachen durch die Baumkronen.

Ich war heilfroh, als das Mädchen alleine ließ und ich von der langen Fahrt müde mich ein wenig ausruhen konnte. Ich machte mir nicht länger Gedanken um einen Neuanfang hier und nickte ein, fort in das Land der Träume.





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