Kapitel 11

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Nur weil nach monatelanger Arbeit, die uns beide viele Nerven gekostet hatte, alles lief wie am Schnürchen, hieß es noch lange nicht, dass wir demnächst einen Grand Prix ritten. Das war nur eine Traumwelt, die sogar das Mädchen schon verlassen hatte.

Mit der Zeit kommt die Routine und je routinierter ich wurde, desto anspruchsvoller arbeiteten wir, desto fordernder wurde sie. Unser Training wurde durch den jähen Beginn der Turniersaison gestört.

Das Mädchen, das erst am Nachmittag Zeit hatte, sich um mich und die anderen Pferde zu kümmern, verbrachte beinahe jedes Wochenende auf einem anderen Turnierplatz und sammelte fleißig Schleifchen. Die Vormittage saß sie in der Schule und wenn sie am Nachmittag nach Hause kam, wechselte sie ihre Klamotten gegen Reithosen und Reitstiefel und arbeitete bis tief in die Nacht, bis alles erledigt war.

Mir widmete sie extra viel Zeit, weil sie mich nicht in die Hände ihres Vaters geben konnte, der sich um die Geschicke des Reitstalles kümmerte und einen Großteil der Pferde trainierte, wenn seine Tochter in der Schule lernte. Dazu kamen die wenigen Pferdebesitzer, die ihre Pferde nur eingestellt hatten und aufgrund ihrer Vereinsmitgliedschaft, ihres Könnens oder ihrem Interesse an einem gut ausgebildeten Pferd für den nächsten Reiterwettbewerb ebenfalls das ein oder andere Pferd locker flockig auf dem Platz oder in der Halle bewegen konnten. Aber jene konnte man an einer Hand abzählen.

Für mich galten andere Regeln. Sie wusste, dass es auf lange Zeit nicht gut geendet hätte und versuchte es gar nicht.

Der Reitsport war nicht einfach und noch weniger für ein Mädchen, das bald volljährig werden und auf eigenen Beinen stehe würde. Sie wird sich entscheiden müssen, was sie in ihrem Leben machen möchte: jede Woche durch das Land fahren und Turniere bestreiten oder ihre reiterliche Karriere aufgeben und studieren gehen.

Sie stritt häufig mit ihrem Vater, selten mit ihrer Mutter und ich belauschte Diskussionen mit anderen Reiterinnen. Am häufigsten ging es um eben jene Probleme, die diese Zeit mit sich brachte: sie brauchte mehr Zeit zum lernen, sie wollte ein unwichtiges Turnier absagen, sie wollte ihren Vater überreden, einen weiteren Bereiter einzustellen, um alle Beteiligten zu entlassen.

Am frühen Morgen, als der Neben noch über den Wiesen waberte und die Sonne erst jung am Himmel stand, als sie alles im Hänger verstaut hatte und ihre Pferde bereits genüsslich an ihrem Heunetz knabberten und auf die Abfahrt warteten, lief sie nocheinmal die Boxen entlang um sich zu vergewissern, dass sie auch nichts vergaß.

Ihr Vater rief nach ihr, er wolle losfahren. sie trat zu mir in die Box und packte mich am Kopf. „Wenn ich wieder da bin, springen wir. Einverstanden?" Ich brummelte leise und knabberte an ihrem Ärmel. „Gut", lächelnd strich sie mir über die Stirn, dann verließ sie meine Box und den Stall und stieg zu ihrem Vater ins Auto und fuhr vom Hof.

Sie hielt ihr Versprechen ein. Schon als sie sattelte, war ich ihre lästig und sie musste mehrmals meine Nase von sich schieben. Beim Aufsteigen stand ich artig da, bis sie ihre Füße und die Zügel in den Händen sortiert hatte.

Voller Vorfreude kaute ich auf dem Gebiss, sprang auf jeden kleinen Stupser an und wölbte brav meinen Hals. Der Trainer baute die aufgebauten Hindernisse herunter, sodass mehrere kleine Kreuze in der Halle standen, und nach einer kleinen Verschnaufpause, in der ich im Schritt an allen verbeozockelte und sie ansehen durfte, galoppierte sie mich an der kurzen Seite an und steuerte auf ein rot-weißes Kreuz zu.

Es passierte wie in Zeitlupe.

Ich spürte den Boden unter uns beben, wie sich meine Hufe in den Sand gruben.

Ich spürte jeden Muskel, während ich meine Beine im gleichmäßigen Takt nach vorne warf und die Meter unter mir verschlang.

Sie saß tief in den Sattel ein, schob mich vorwärts, aber es war nicht nötig, denn ich zögerte nicht.

Ich war schon früher gesprungen worden, ich hatte das aufgeregte Kribbeln gespürt, aber das hier war anders. Sie benutzte weder Sporen noch Gerte, sie hatte mich lediglich überzeugt und ich tat alles, was sie verlangte.

Die Leidenschaft brannte in meinen Adern.

Ich atmete tief ein.

Blähte die Nüstern.

Und schnaubte.

Im nächsten Moment lag ich auf dem Boden und Elena rollte sich ab, blieb einige Meter von mir entfernt liegen, während ich mich wieder aufrappelte und panisch meine Hufe in den Boden stemmte und mich keinen Zentimeter vom Platz bewegte, als jemand nach meinen Zügeln angelte und mich am Fortrennen hindern wollte.

Ich zitterte am ganzen Körper und brauchte einen Moment, bis ich realisierte, was passiert war.

Da war das Mädchen bereits wieder aufgestanden und klopfte sich den Sand von der dunklen Reithose. Ihre Haare waren zerzaust und sie hatte sogar Dreck im Gesicht, ansonsten schien sie unversehrt.

„Er ist noch nicht so weit", murmelte die raue Stimme, die mich am Zügel herumriss, als ich nervös auf der Stelle tanzte. Elena bückte sich und griff nach meinen Beinen und tastete sie fachmännisch ab. Kritisch musterte sie mich, nachdem sie sich aufrichtete.

„Soll ich dir sagen, warum du falsch liegst?" Ihr Vater hob erstaunt die Augenbrauen und entließ mich aus seinem harten Griff, weil das blonde Mädchen von ihm vorzerrte und einige Schritte mit mir lief. Es half, durch die einfachen, beine mechanischen Bewegungen beruhigte ich mich.

„Er hatte überhaupt keine Angst. Es war nicht sein Fehler, dass er ausgerutscht ist. Er, wir beide, wären problemlos darüber gekommen. Das ist doch ein Witz für jedes Springpferd."

„Wenn das deine Meinung ist-..."

„Das war kein Rückschlag, das war der ultimative Beweis." Elenas Stimme trotzte vor Euphorie.

„Wofür?" Langsam nahm das Gespräch eine ungeahnte Richtung ein.

„Dass er mir vertraut. Dass er sich selber vertraut. Dass er weiß, wie es ist, ein Pferd zu sein und dass er wieder springen will." Sie hielt inne, tätschelte stolz meinen Hals.

„Sehe dir bitte noch seine Beine an. Das sah echt übel aus. Ich mache für heute Feierabend. Und trödel nicht allzulang im Stall." Ihr Vater verließ die Halle. Ich wurde noch nicht entlassen, vorher hakte sie die Longe in die Trense, verknotete die Zügel und ließ mich einige Runden im Kreis traben und galoppieren, um sicherzugehen, dass ich mich bei unserem Sturz nicht ernsthaft verletzte.

Ich schnaubte aufgeregt, ich dachte, wir würden es noch einmal probieren und ich könnte ihr zeigen, dass ich kein Tollpatsch bin und dass ich diesen winzigen Hüpfer überwinden könnte, wie jedes andere normale Springpferd auch, weil ich in diesem Moment nicts lieber als ein normales, liebes Springpferd sein wollte. Aber ich hatte Angst, dass ich ein zweites Mal versagen würde, und rannte kopflos im Kreis, bis sie meine gehetzten und unkoordinierten Bewegungen unterband und mit mir die Halle verließ.



TempladoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt