Templado

Kapitel 12

Das Leben bietet immer eine zweite Chance. Ich erhielt meine zwei Tage nach unserem gescheiterten Springversuch. Gewissenhaft hatte man meine Beine kontrolliert, aber ich war lahmfrei geblieben und somit stieg die Aufregung mit jedem Tag.

Sie ritt mich lange warm, zögerte den wichtigsten Sprung meines Lebens weiter hinaus. Ich war hibbelig, tänzelte und bockte.

Es war früh am Morgen, wir waren allein.

Als ich das Hindernis vor uns stehen sah, war ich mit einem Schlag ruhig.

Ich sah es lange kommen. Ich war bereit.

Sie war nervös. Ihre Finger zitterten. Sie fühlte sich, als säße sie auf einem Pulverfass. Eine halbe Tonne Dynamit, bereit zum explodieren.

Stählerne Muskeln, die sich mechanisch vorwärts wühlten wie das ratternde Fuhrwerk einer Lokomotive.

Vor dem Sprung zog ich das Tempo an, fühlte den Wind im Rausch der Geschwindigkeit, dann drückte sie die Beine zu und ich hob ab, wir hoben ab, sie hoben ab.

Es fühlte sich an wie fliegen.

Plötzlich war alles greifbar. Das Schlechte, die Vergangenheit, rückte in weite Ferne. Die Tränen, die sie vergossen hatte; die bitteren Trainingseinheiten, die ins Leere liefen; die stundenlange Arbeit für nichts; es war weg, sie verdrängte es für einen tiefen Atemzug.

Nie hätte sie zu träumen gewagt, dass sie an diesem Pferd nicht verzweifelte, dass sie dieses Pferd nicht doch wieder abgeben würde. Er hatte sie alle Nerven gekostet, nächtelang hatte sie wachgelegen und feststellen müssen, dass sie womöglich doch versagt hatte. Und heute im hier und jetzt, nach harten Training, in dem sie Blut, Schweiß und Tränen schwitzten, flogen sie.

Dieser Moment gehörte nur ihnen, dem Mädchen und ihrem Pferd. Sie waren frei. Keine Ansprüche, keine Erwartungen, keine Pflichten.

Es ging nicht um Leistung. Noch nicht. Denn plötzlich war das Unmögliche möglich. Und sie könnten alles schaffen, wenn sie es nur wollen. Wenn sie ihren Stolz hinunterschlucken und den Weg verfolgen könnten, so steinig er auch sein möge.

Hufe gruben sich in den festen Boden, Sand spritzte auf, Applaus brandete auf ...