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POV Ben

Als ich den Schrei aus dem Kunstraum hörte, war ich grade mit Nico auf dem Weg zu unseren Schließfächern. Wir waren in eine Diskussion übers nächste Wochenende vertieft, doch da sich Finn in dem Raum befand, an dem sich nun schon eine ziemliche Menschenmenge versammelt hatte, drängelte ich mich schnell bis nach vorne durch. Bei dem Bild, welches sich mir zeigte, kochte mein Blut vor Wut und ich schritt, meine Fäuste geballt, auf meinen ehemaligen besten Freund zu. Er würde büßen.

Plötzlich legte sich eine zarte Hand auf meinen Arm und hielt mich zurück. Als ich mich umdrehte, erkannte ich die Freundin von Finn, welche sich nun zu mir vorbeugte. "Überlass Nick mir, ja? Bitte geh zu Finn. Er braucht dich." Ich zögerte, doch als mein Blick auf meinen süßen kleinen Blondschopf fiel, der mit verstörtem Blick auf dem Boden saß und zu uns herüber sah, nickte ich zögernd. Mir war nicht wohl dabei, die Angelegenheit von einem Mädchen regeln zu lassen, doch Nick würde ich mir später auf jeden Fall nochmal vornehmen.

Statt also zu diesem Arsch zu gehen und ihm mal gehörig eine aufs Maul zu geben, so wie er es verdient hätte, lief ich zu Finn, um ihn in meine Arme zu ziehen, nachdem ich mich neben ihm fallen ließ. Er schmiegte sich an mich und seufzte erleichtert auf. Ob von der Tatsache, dass ich ihn nun in meinen Armen hielt, oder ob es daran lag, dass ich mich nicht in eine Prügelei mit Nick gestürzt hatte, konnte ich nicht sagen.

Während ich meinem Engel beruhigend über den Rücken strich, ging das zierliche, braunhaarige Mädchen direkt auf Nick zu, welcher höhnisch grinsend an einem Tisch gelehnt da stand und zu uns sah. "Hey." Mit lauter Stimme blaffte sie ihn an und Nick wandte seinen Blick von uns ab, um desinteressiert zu ihr rüber zu sehen. Mir fiel auf, dass ich überhaupt nicht wusste, wie sie hieß und beschloss Finn nachher noch zu fragen. "Was willst du?" "Was ich will? Verdammt nochmal, was bist du eigentlich für ein ignorantes Arschloch? Wir wissen ja alle, wie scheiße du bist, aber das da ist immer noch der Freund von dem Typen, den du seit Jahren bester Freund nennst. Bist du wirklich so tief gefallen, dass du ihnen ihr Glück nicht einfach mal gönnen kannst? Verdammt, beste Freunde unterstützen einander in allen Sachen. Siehst du nicht, dass die beiden sich lieben? Wie kannst du es nur wagen, so unglaublich tolle Menschen zerstören zu wollen? Das ist krank. Einfach nur krank. Ach ja, und wenn du es noch einmal wagen solltest, meinen besten Freund auch nur irgendwie falsch anzuschauen, bist du tot, kapiert?"

Im ganzen Raum war es ruhig geworden und alle sahen die beiden mit geweiteten Augen an. Noch nie hatte jemand so mit ihm gesprochen. Auch Nick selbst schien überrascht, fing sich jedoch bald wieder und setzte sein typisches Grinsen auf. "Ach dein bester Freund, ja? Kein Wunder, wenn man euch so anguckt. Und mein bester Freund würde sich nie in so eine Schwuchtel verlieben. Schau ihn dir doch mal an. An ihm ist nichts Besonderes. Er ist hässlich und nervig, wer braucht ihn schon. Kein Wunder, dass er schwul ist." Er grinste gehässig. Finn begann in meinen Armen zu zittern und ich zog ihn noch enger zu mir, während ich ihm immer wieder leise ins Ohr flüsterte, dass er nicht auf Nick hören sollte, dass er der schönste Mensch auf dieser Erde war und wie sehr ich ihn liebte.

Ich war so auf den Jungen in meinen Armen konzentriert, dass ich fast nicht mitbekam, wie die Faust des Mädchens mit einem knackenden Geräusch auf Nicks Nase landete und ihr Knie mit voller Wucht zwischen seine Beine traf. Nick sackte in sich zusammen und Blut lief sein Gesicht hinab, als sich die Brünette noch einmal mit vollem Gewicht auf seine Hand stellte. "Wag es ja nicht, so über ihn zu reden. Er ist der tollste Mensch, den es gibt und jetzt zisch' ab! Ich kann dein hässliches Gesicht nicht mehr sehen." Nick wimmerte, als sie sich wieder von ihm entfernte und rappelte sich auf, um mit schnellen, unsicheren Schritten den Raum zu verlassen. Die Schülerschar an der Tür teilte sich, immer noch völlig überrumpelt von dem eben Geschehenen, um ihn durch zu lassen und sobald er weg war, fingen alle an zu tuscheln und zu klatschen. Das Mädchen ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern holte nur ihre Tasche und kam auf uns zu.

Finn löste sich von mir, sprang auf und schmiss sich in ihre Arme. Schluchzend bedankte er sich immer wieder bei ihr und entschuldigte sich für irgendwas und auch sie schloss ihn fest in ihre Arme, während sie ihm immer wieder sagte, dass alles okay wäre. Eigentlich wollte ich diesen Moment nur ungern unterbrechen, doch die Stunde sollte bereits in den nächsten Minuten anfangen und ich wollte nicht verschwinden, ohne mich von Finn verabschiedet zu haben und herauszufinden, wer das Mädchen war. Also räusperte ich mich leise und die beiden lösten sich voneinander.

"Netter rechter Haken." Sie begann zu grinsen. "Danke, wollte ich schon immer mal an irgendwem ausprobieren. Ich bin übrigens Anna. Finns beste Freundin." Ahh, Anna hieß sie also. "Ben." "Ich weiß." Sie zwinkerte, bevor sie sich wieder an Finn wandte. "So und nun mal was anderes. Wie kommts, dass ich, deine beste Freundin, als letzte erfahre, dass du endlich einen Freund hast? Beziehungsweise überhaupt schwul bist. Du weißt genau, dass ich schon immer einen schwulen besten Freund wollte. Okay, ich habs dir nicht direkt gesagt, aber trotzdem. Und noch dazu hast du es echt geschafft, dir deinen Ben zu krallen. Du hast mir eine Menge zu erklären Freundchen."

Sie wollte ihn grade am Arm nehmen und zu ihren Plätzen ziehen, als ich sie zurück hielt. "Von mir aus kannst du meinem Finn gleich eine ganze Stunde lang ne Standpauke halten", ich grinste ihn an: "aber ich muss jetzt zu meiner Klasse. Wir sehen uns nachher Engel. Bis dann Anna. Und danke nochmal." Damit küsste ich Finn noch einmal innig und verließ den Raum, nicht ohne ihnen noch einmal zugewunken zu haben.

Ich musste lächeln, als ich zu meiner Klasse lief. Nie hätte ich gedacht, dass so viele Leute hinter uns stehen und uns akzeptieren würden. Natürlich hatte ich bemerkt, wie ein paar von den Bitches Finn wütend ansahen, wenn sie uns zusammen sahen, aber außer Nick schien niemand direkt was dagegen zu haben. Selbst Finns Vater schien gestern, bei dem gemeinsamen Essen ein wenig aufgetaut zu sein und seine Mutter schien eh hin und weg von der Tatsache, dass ihr jüngster Sohn schwul war. Mit Tim würde ich mich wohl nie mehr richtig anfreunden, aber er schien mich wenigstens zu dulden. Eigentlich stand uns jetzt nichts mehr im Weg.

Finns POV

Der restliche Schultag verlief ziemlich normal. Nachdem ich mich von dem Schrecken am Morgen beruhigt hatte, verging die Stunde Kunst unglaublich schnell. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür und Nick betrat das Klassenzimmer. Er entschuldigte sich bei dem Klassenlehrer und grinste mich wie immer spöttisch an, aber doch traute er sich weder etwas zu sagen, noch näher als ein paar Meter an Anna heran zu treten, die das Ganze mit Genugtun beobachtete.

"Beniii..." quietschte ich laut, sobald ich die Tür aufgerissen hatte und meinen Freund schon hinter dieser sah. Mir war es egal, ob mich deswegen alle etwas komisch ansahen, denn ich war einfach nur froh, meinen Ben wieder zu haben. Dieser lachte nur liebevoll und wuschelte mir mit seiner Hand durchs Haar, ehe er an meinem Arm runtergleitete und meine Finger ergriff. "Komm, Baby. Wir müssen jetzt zu Mathe und Frau Müller erklären, weshalb wir vergessen haben zu lernen." ich grinste und ließ mich von ihm durch die Gänge ziehen.

Auch die nächsten Stunden vergingen wie im Flüge, weil ich jedes mal Aussicht auf meinen Freund hatte, der sich ebenfalls freute, mich zu sehen. Somit kam es mir gerade mal wie ein paar Stunden vor, als die Schulglocke das letzte Mal klingelte und Ben mit mir im Arm das Klassenzimmer verließ. "Willst du noch mit zu mir kommen, Kleiner?" fragte er mich und seine Augen funkelten freudig, als ich schnell und heftig nickte. "Ich Ruf noch eben, Tim an!" und mit den Worten verschwand ich in einer ruhigen Ecke, fischte mein Handy aus der Tasche und wartete, dass Tim abnahm.

"Finni, lass mich raten... Du kommst später nach Hause?" empfing mich mein Bruder direkt, sobald er dran ging. "Ja, ich bin noch bei Ben." erklärte ich schnell, während ich genau diesen anlächelte, da er gerade zu mir stieß. Ich hörte Tim am anderen Hörer seufzen:"Klar." sagte er kurz angebunden. "Okay, gut... Könnte länger dauern." schob ich noch hinterher und meinte ein kurzes "der Typ soll es ja nicht wagen" von ihm zu hören, ehe er auflegte.

Ich lächelte breit, nahm Bens Hand und zog ihn eilig zum Ausgang. Ich konnte es gar nicht abwarten, endlich mal wieder auf seiner gemütlichen Couch zu liegen. Ich war voller guter Aussichten auf den heutigen Nachmittag. Ich war mir zu dem Zeitpunkt noch sicher, dass alles wundervoll laufen würde.

Things change (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt