Prolog

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Käme ihm der Gedanke nicht so ironisch vor, würde er ihn verdrängen. Was wollte ihm das Schicksal damit sagen? War es etwa eine Strafe für seine Taten? Egal wie er es drehte und wendete, er kam zu keinem Ergebnis. Sie würde ihm weder zuhören, noch glauben. Ihre Intelligenz zweifelte er keines Wegs an, doch die Zeit unter den Menschen musste sie verändert haben. Sie wuchs anders auf, bekam nicht dieselben Regeln eingeflößt. Sie musste einfach anders sein. Aber war das denn so schlecht wie er befürchtete? Es konnte ein Gewinn für ihn sein, wenn er es richtig anstellte. Auf sie zuzustürmen, sie an sich zu reißen und zu entführen – wie es in ihren Augen sicher rüber kommen würde – war keine gute Idee. Er musste taktisch vorgehen, sie um seinen kleinen Finger wickeln. Nicht mit Lügen oder Halbwahrheiten – schon wieder diese Ironie. Wie sollte er das anstellen? Sein Leben lang verbreitete er Unfug mit höchster Freude. Lügen fiel ihm so leicht wie atmen, doch trotzdem weigerte er sich, bei ihr genauso vorzugehen. Selten, wenn eine seiner Lügen aufflog, tadelte ihn seine Mutter, zwang ihn sich zu entschuldigen. Für sie würde er zwar Welten vernichten, aber wenn es auch anders ginge, zog er diesen Weg vor.

Mit starrem Blick auf jede ihrer Bewegungen fixiert, überlegte er, wie er vorgehen könnte. Es fiel ihm nicht leicht sich zu konzentrieren, während ihre schlanken Finger ihr Haar zusammenflochten. Unschuldig und unerreichbar saß sie still im Gras vor ihrem Haus. Um sie herum blühte alles, dass es ihm beinahe so vorkam, als wäre ihre bloße Anwesenheit der Auslöser. Er verabscheute es sie nicht loslassen zu könne, regelrecht besessen zu sein. Aber er konnte nicht anders. Es brauchte nur der helle Klang ihres Lachens zu ertönen, dann glühte er schon vor Eifersucht. Zu wissen, dass nicht er der Grund dafür war, machte ihn rasend. Selbst als sie nur wegen der kitzelnden Beine des Marienkäfers, welcher sich sanft an ihren Handrücken schmiegte, lachte, wollte er ihn zerquetschen. Er wusste es nicht abzustellen. Seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte, schlief er mit ihrem Gesicht in Gedanken ein. Tag für Tag, beinah über zwei Jahrzehnte lang. Nie hatte er ein Wort über sie verloren, doch jedem fiel damals auf, dass etwas anders an ihm war. Er hatte eine härtere Maske aufsetzten und noch kälter wirken müssen als normalerweise. Damals, sowie jetzt, durfte keiner von ihrer Existenz erfahren. Es wäre ihr Tod, solange er sie noch nicht beschützen konnte. Sobald er die Macht in der Hand hielt, würde ihr niemand mehr schaden können, aber bis dahin musste er sich noch gedulden.

Ein Windzug wehte durch ihr helles Haar und trieb ihren Duft direkt in seine Richtung. Tief atmete er ihn ein, ließ ihn sich auf der Zunge zergehen. Süßlich, betörend, genau wie er es in Erinnerung hatte. Allein schon bei dem Gedanken an ihre sinnlichen Lippen, musste er die Fäuste ballen. Es trieb ihn Richtung Abgrund. Die Vorstellung sie schon bald für sich zu haben, nur für sich allein. Auch wenn er länger als ihm lieb war nach ihr gesucht hatte, er war froh darüber, dass ausgerechnet dieses Menschlein sie gefunden hatte. Er hat sie all die Jahre behütet und vor der Außenwelt versteckt gehalten. Es machte ihn zwar unglaublich wüten, dass sie somit auch vor ihm versteckt blieb, doch dieses Szenario war ihm deutlich lieber, als ein anderes. Hätte man sie in eines dieser Heime für die niederen Kreaturen gesteckt, wäre sie nicht so wie jetzt. Sie war noch rein, unerfahren und unschuldig. Wäre dem anders, wüsste er sich nicht zu helfen. Kein anderer durfte Hand an sie legen, dieses Recht war nur ihm vorbehalten. Nur seinen Namen durfte sie vor purer Erregung in die Nacht hinausschreien. Nur durch ihn durfte sie Erlösung finden, und nur durch ihn, durfte sie in diese Welt eingeführt werden. Hätte es jemals ein anderer gewagt, würde sie warten müssen, bis er mit ihm fertig war. Er war ein Gott, das hätte er nicht ertragen. Zu wissen, dass nicht er ihr erster war, sondern eine mickrige Kreatur, wie ein Mensch. Zerrissen hätte es ihn. Vernichtet. Und seine Wut hätte keine Grenzen gekannt. Nichts wäre mehr wichtig gewesen, nicht in diesem Moment.
Sie war sein, ganz allein sein. Sobald sie das wüsste, würde er jeden töten, der es wagte sie anzulächeln.
Sie war seine Schwachstelle, das war ihm ab dem ersten Moment schon klar. Sein Untergang, wenn er sie nicht gefunden hätte. Doch es hätte mehr als eintausend Krieger gebraucht um ihn davon abzuhalten. Niemals hätte er die Suche nach ihr aufgegeben, dafür hatte sie ihn viel zu sehr in ihrem Bann. Sie wusste es nicht, doch sie beherrschte ihn. Jede seiner Entscheidungen, jede Tat, jeden verfluchten Atemzug. Anfangs hatte er noch versucht sich dagegen zu wehren. Er wollte nicht von einem Säugling beherrscht werden. Er hielt sich selbst kaum aus. Doch als er es akzeptiert hatte, fiel ihm plötzlich alles ganz leicht. Er kannte sein Ziel, sie, und damit ging er voran. Wäre ihm sein Bruder nicht dazwischen gekommen, hätte er sie schon längst bei sich – unter sich, auf sich, neben sich. Ihr Herz würde ihm gehören, ihr Körper würde ihm gehören, sie würde ihm gehören. Man musste ihm einen Strich durch die Rechnung machen, einen gewaltigen. Es versetzte ihn in unglaubliche Wut, dass er es kaum beschreiben konnte. Bereits ein Jahr könnte er seinen lang überlegten Plan schon umgesetzt haben. Aber nun war es soweit. Jetzt würde er endlich bekommen, was ihm zusteht. Sie. Sie war alles was er wollte, was er brauchte. Nachts hatte er sich erlaubt darüber nachzudenken, wie es wäre. Er malte sich aus, wie sie unter ihm lag und er sie in Besitz nahm. Wie sie selbst noch im Schlaf an ihn dachte und seinen Namen rief. Und wie ihre veilchenblauen Augen glänzten, wenn sie kam. Sie würde sich nach ihm verzehren, ihn jederzeit wollen. Und nur er wäre fähig dazu, ihr die Befriedigung zu schenken, die sie sich so sehr wünschte. Er hätte sie zu seiner Königin gemacht, wenn nicht alles aus dem Ruder gelaufen wäre. Aber er würde sie immer noch dazu machen, denn sie war es, sie würde niemals jemand anderes für ihn sein. Sie war zu wertvoll um nur seine Geliebte zu spielen. Er fand es entwürdigend für jemanden ihres gleichen. Man würde sie respektieren, sie beneiden und sie lieben. Keiner würde es wagen ihr ein Haar zu krümmen und sollte es doch einen geben, würde er ihn vernichten. Egal wer es war, er würde nicht zögern sein Leben zu beenden. Sie war sein, er würde es nicht erlauben, dass irgendjemand sie anrührt. Allein die Vorstellung, dass sie verletzt würde, bereitete ihm Schmerzen. Er würde mehr leiden als sie. Selbst wenn es nur ein kleiner Kratzer wäre, er würde wüten wie ein Tornado. Würde alles kurz und klein schlagen.

Das Ende ihres Zopfes festigte sie mit einem Haarband. Die prachtvolle silberne Mähne hing über ihrer Schulter, bis hinunter zu ihrer zierlichen Hüfte. Er riskierte seine Deckung, indem er sich ein paar Schritte näher an sie heran wagte. Sie war zum Greifen nahe, dennoch musste er sich gedulden. Ihre zarte blasse Haut, strahlte im Sonnenlicht, wie glitzerndes Wasser. Er stellte sich vor wie sie aussehen würde. Sie wäre endlich die, zu der sie geboren wurde. Es war eine Herausforderung sie zu verwandeln. Er konnte es nicht einfach geschehen lassen, dafür stand zu viel auf dem Spiel. Er musste die Details umgehen, einen anderen Weg finden. Sein Blick glitt weiter hoch zu ihrem Gesicht. Das runde Köpfchen lugte aus dem Gras hervor. Es war hochgewachsen und umkreiste sie, wie Gitterstäbe. Doch jemanden wie sie, konnte man nicht festhalten. Man hatte es versucht, aber ihre Art war eine Naturgewalt. Die Götter bissen sich die Zähne an ihnen aus und verzweifelten. Sie wussten sich nicht anders zu helfen, als ihre Köpfe auf die Abschussliste zu setzten. Sie jagten sie. Jede einzelne. Merzten sie aus, bis keine mehr übrig blieb. Er war dabei gewesen. Er wusste was für eine Grausamkeit und welchen Schrecken sie vollbrachten. Sie waren einst die Königinnen der See und raubten den Männern mit ihrem bloßen Antlitz den Atem. In allen neun Welten hatten sie sich ausgebreitet, wie eine Plage. Sie verbreiteten Chaos und Unheil und ließen nichts als Tod und Verwüstung zurück. Es scherte sie nicht, das Leben. Sie hatten keinen Respekt davor. Nur das Eigenwohl kümmerte sie etwas. Mit ihren verlockenden Stimmen brachten sie die Männer zu Dingen, die sie nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Wurdest du in Besitz genommen, kamst du ihnen nicht mehr aus. Man wurde zu ihren Bediensteten, immer und jederzeit verfügbar. Selbst vor Göttern machen sie keinen Halt. Ganz im Gegenteil, es entzückte sie, dass ein Gott Asgards sich ihnen unterwarf. Es traf nicht viele, aber die, die nicht widerstehen konnten, waren dem Ende nahe. Sie waren boshaft, arglistig und gefährlich. Schlichen sich in jeden Kopf und machten die Männer gefügig. Es war ein grausames Spiel, welches diese Wesen mit Vergnügen trieben. Doch nichts war mit ihrer größten Leidenschaft zu vergleichen. Die Seelen ihrer Oper. Sie waren ihr Leibgericht. Seelen waren ihr Elixier, hielten sie jung und schön. Sie verzehrten sie, wenn sie genug von ihren Auserwählten hatten.

Angestrengt versuchte er auch in seiner Auserwählten die Grausamkeit zu entdecken. Doch da war nichts. Nichts als ihre hinreißende Stupsnase, ihre zärtlich geschwungenen Lippen und rosigen Wangen auf schneeweißer Haut. Sie war nicht bösartig, wäre niemals fähig zu diesen grässlichen Taten.
Als er halt machen musste, schrie sein Innerstes nach ihrer Nähe. Er wollte nichts sehnlicher, als sie endlich zu berühren. Doch er konnte nicht, noch nicht. Seine Hände verkrampften sich so stark, dass er sich die Fingernägel in die Flächen trieb. Er litt und konnte nichts dagegen tun, als abzuwarten.
Sein Verstand pfiff ihn zurück, er musste sich abwenden, jetzt. Er würde sich nicht länger beherrschen können. Ihr den Rücken zu kehren fühlte sich an, als würde man ihm die Haut abziehen. Langsam und genießerisch. Er machte einen Schritt nach dem anderen, versuchte ihren Atem zu verdrängen, ihre Bewegungen, ihre Stimme. Erst in seinen Träumen durfte er sie wiedersehen.

Hey ihr Lieben,
den Prolog habe ich jetzt schon mal bearbeitet. Ich will diesen Band fertig haben (bearbeitet) bevor ich den 4. online stelle.
An meine Neulinge: ich hoffe ihr lest weiter♥

Die letzte Sirene - The AvengersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt