Kapitel 1

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Als kleines Mädchen brachte mein Vater mir bei, dass das Anderssein vollkommen okay seie. Ich nahm an, dass er Recht habe, und kümmerte mich nicht weiter drum.
Nun, mit meinen wunderbaren 17 Jahren, lerne ich das Anderssein kennen. Ich weiß, wie es ist, und es ist ganz okay. Ich meine, wenn man davon absieht, wegen den feuerroten Haaren und den ausgefallen Kleidungsstücken angesehen zu werden, dann ist es okay.

Mein Leben ist okay, denke ich.
Ich habe einen sich kümmernden Vater, und das war's dann auch. Mehr brauch ich nicht, und mehr möchte ich nicht. Ich bin ohne Mutter aufgewachsen, ich bin eine weibliche Person an der Seite meines Vaters nicht gewohnt, und ich denke, dass ich mich auch niemals daran gewöhnen kann. Zu meinem Glück ist da noch niemand. Die Betonung liegt auf noch, denn er besucht zahlreiche Dating-Seiten im Internet. Sein Neuland.

Und ich versuche mich geradeso in der Schule herum zu schlagen. Als Einzelgänger. Okay, fast Einzelgänger. Da gibt es noch Mary, die wohl meint, ich seie mit ihr befreundet -ich bin es nicht-, und die mir permanent nach läuft, da sie sonst niemanden hat, der mit ihr redet. Sie ist immerhin auch die einzige, die mich nicht wegen meiner pessimistischen Ader als "Depri-Punk" bezeichnet. Ich glaube, den Ruf habe ich weg. In meinem Jahrgang zumindest. Da läuft's ganz gut mit meinem Ruf. Das Gute daran ist: ich halte mir alle vom Hals, die ich nicht mag. Und das sind viele Leute, die mich an noch weitere viele Leute erinnern, die mich ebenfalls nicht leiden können, die ich aber wiederum etwas leiden kann. Aber auch nur etwas.

Wo wir schon bei Mary und mir sind: sie ist eine Klette an meinem Rücken. Überall wo ich bin, da ist auch sie. Und ständig redet sie über die Quantenphysik und mathematischen Gleichungen. Und ständig fragt sie mich: »Verstehst du?«; und ständig antworte ich mit: »Nein, nicht wirklich.«, da ich ihr schlecht sagen kann, dass ich absolut keine Ahnung von dem habe, was sie sagt, da sie mich sonst für ziemlich dumm halten würde.
Ich möchte meinen anderen Ruf, dass ich ganz klug und philosophisch sein soll, nicht vor Mary zerstören. Mary, die eigentlich Margret heißt, aber immer meint, man solle sie nicht so nennen. Insgeheim mache ich es trotzdem hin und wieder. Na ja.

Ich hocke also in Deutsch, habe Margret neben mir sitzen, und denke über die Kurzgeschichte nach, die wir überfliegen. Immer wieder lese ich die einzelnen Sätze durch, um nicht dran genommen zu werden. Und dann denke ich mir, dass es unsinnig ist, da es die Lehrer doch überhaupt nicht kümmert, ob du nun liest oder nicht, da sie dich bloß stellen wollen, und höre auf zu lesen, und starre stattdessen in der Klasse herum. Quincy, kluger Junge, trägt Kontaktlinsen und lacht mich ständig aus, da ich noch immer mit meiner unten abgerundeten, großen braunen Nerdbrille herumlaufe, versucht den selben Trick, den ich auch versucht hab. Er liest im Deutschbuch herum, um nicht dran genommen zu werden. Und genau er wird dran genommen. Armer Junge. Er tut mir kein bisschen leid.

In meiner Klasse ist es so eine Verschwörungstheorie. Ich bin die Verschwörung, und alle anderen stellen Theorien über mich auf. Was wohl bei mir Zuhause los ist, ob ich wirklich depressiv bin -was nicht so ist-, und ob ich Katzenbabys ertränke oder sowas krankes. Anstatt einfach mal zu fragen, was bei mir so geht. Armleuchter. Und dann kommen wir zu der Phase, in der die Theorieleute anfangen offensichtlich über die Verschwörung her zu ziehen. Und dann kommt da der Punkt, an dem du dich selber mit Selbstbewusstsein pushen musst, da sie dich sonst nieder kriegen. An diesem Bewusstsein mangelt es mir nicht, also geht das mit einem Haken klar.

Ich starre Quincy noch eine Zeit an, lache mir innerlich ins Fäustchen über seine dumme Reaktion auf mein Starren. Er guckt mich blöd an, sucht dann eine Beschäftigung, um meinen Augen zu entweichen. Nein, Quincy, dem glasklaren Blau kannst du nicht entkommen, sorry. Und die Schulklingel beendet mein Gestarre. Ich lächle, packe meine sieben Sachen in meinen Jutebeutel, auf dem "Fuck ya" steht, was sehr pädagogisch wertvoll ist, und versuche Margret zu entweichen, was wiederum nicht so gut klappt, wie die Jutebeutel-Aufschrift vor den Lehrern zu verstecken.

Mystery | Taddl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt