Kapitel 20

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Er schluckt, sieht zwischen meinen müden Augen hin und her. Hält sich noch immer seine Wange, lässt sie aber dann los und bewegt seinen Kiefer, da der Schmerz ihm wohl durch sein Gesicht zieht. Tränen sammeln sich in meinen Augen.

Ich kann nicht glauben, dass ich mich von ihm so abhängig hab machen lassen. Ich kann nicht glauben, dass mein Leben so einen Wendepunkt bekommen hat. Dass eigentlich alles besser geworden ist, seit er fort war.

Und jetzt steht er vor mir und hat mir nichts anderes zu sagen als "Jane Dawson"?

»Wo glaubst du denn bin ich gewesen?«, entgegnet er mir ernsthaft.

Die ersten Tränen laufen meine hitzigen Wangen entlang.

»Wo ich denn glaube, DU gewesen bist? Weißt du was, ich hab darüber eine lange Zeit nachgedacht. Aber jetzt, wo du vor mir stehst, da ist es mir scheißegal wo du gewesen bist.«, ich hole tief Luft, »Was hast du deiner Familie angetan? Was hast du den Menschen hier angetan? Was hast du mir angetan? Wegen dir muss ich eine Geldstrafe zahlen. Weil ich Ardy zur Flucht verholfen habe. Wegen dir. Weil ich dich finden wollte, aber du nichts besseres zu tun hattest als überall deine blöden Spuren zu hinterlassen, die mich und Ardy und Luna, dem Mädchen am Straßenrand, erinnerst du dich, nach Köln gebracht haben, um dann festzustellen, dass alles zu 50% umsonst war, da wir dich eben nicht gefunden haben. Aber dann wiederum ist es das alles wert gewesen, da ich tolle Menschen kennengelernt hab. Du sagtest mir, du würdest bleiben, und dann bist du einfach weg gewesen. Du wusstest genau, dass es mir nicht gut ging. Du wusstest es.«

»Jane-«, versucht er mich zu stoppen, aber ich lasse ihn nicht.

»Nein! Hör mir zu. Ich hasse dich gerade so so sehr, aber ich kann dich nicht hassen, da diese Reise wohl das Beste ist, das mir jemals passiert ist. Ich hasse dich für all die leeren Worte, die du mir gegeben hast. Und ich hasse dich dafür, dass du mich geküsst hast. Ich hasse dich dafür, dass du all das gemacht hast und mein Leben so verwüstet hast. Ich kann dich aber nicht hassen, so sehr ich es auch will. Es geht nicht. Scheiße, ich- ich-«

»Jane-«, unterbricht er mich wieder.

»Nein!«, keife ich zurück und drehe mich weg, will ins Lager gehen, nur um ihn nicht mehr sehen zu müssen, aber er hält meine Schultern fest und dreht mich zu sich zurück.

Das Blau seiner Augen sticht meine aus. Ich schluchze. Ich will nichts von ihm hören.
Will ich überhaupt wissen wo er war?

»Hör du MIR zu, ich musste einfach abhauen. Das alles hier hat mich zu sehr erdrückt und ich wollte mit Ardy-«

»Ich weiß was du mit Ardy wolltest. Ich weiß das alles.«, wende ich ein und wische mir Tränen aus dem Gesicht.

»Ich musste einfach weg, kapierst du es nicht? Ich musste weg. Ich könnte dich nie aus deinen Depressionen holen. Ich könnte dir nie was versprechen und es dann auch einhalten. Ich könnte dir nie ein guter Freund sein und ich könnte auch nie mehr als nur eine Erinnerung sein, da wir alle irgendwann alleine sind, und die Erinnerungen die einzigen sind, die bleiben. Ich hätte nie mehr als ein Stück Erinnerung sein können. Ich musste aus dieser Stadt. Hier ist zu viel, das mich hält, deshalb musste ich weg.«

»Du wolltest mit mir weg gehen, hast du gesagt. Du wolltest mich nicht alleine hier lassen. Aber was bilde ich mir überhaupt ein, ich kenne deine tiefsten Gedanken ja nicht einmal.« Ich rolle die tränenden Augen; er spannt seinen Körper an. »Und jetzt bist du einfach zurück, wieso? Wieso? Wenn dich Dinge hier halten, und du deshalb gegangen bist, weil du nach deinem großen Etwas gesucht hast, das dir Halt gibt und dich selber finden lässt, wieso bist du dann wieder hier?«

»Weil es dieses Etwas nirgends da draußen gibt. Weil dieses Etwas nicht existiert. Es existiert nicht, Jane. Es gibt keinen Halt in dieser Welt, da man selber von Jahr zu Jahr immer weiter in die Hölle rutscht.«

Mystery | Taddl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt