Ich kann dem Geschriebenen kaum einen Glauben schenken. Es wirkt auf mich so unrealistisch. Doch es ist seine Schrift. Es kommt von ihm. Von Thaddeus. Meine Gier danach ihn zu finden ist nun noch größer als zuvor. Ich rücke meine Brille zurecht, die eigentlich total unsinnig ist zu tragen, da sie eh keinerlei Stärke besitzt. Ich ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche, sehe die verpassten Anrufe meines Vaters, doch ignoriere sie und öffne die Kamera. Das Symbol und der Text werden zu einem Foto, das ich als Hinweis brauche. Der weiße und blaue Zettel von ihm liegen im Bus. Der Kassierer sieht mich noch immer an und denkt, dass ich irre bin. Doch ich bin nur auf der Suche nach etwas wichtigem. Nur auf der Suche nach einem Menschen, der verschwunden ist.
Meine Handtasche baumelt um meinem Unterarm. Die Autoschlüssel klimpern in dem viel zu großen Gehäuse.
Die vielen Regale mit magerem Inhalt umhüllen meine Wenigkeit. Noch niemals zuvor habe ich mich so unvollständig gefühlt. Mir kommt es so vor, als wäre ich die Irre, für die ich gehalten werde, da ich etwas mache, das so untypisch ist, dass es hätte in die Geschichte eingehen können. Die Augen des ca. 40-jährigen Mannes hinter der Kasse liegen auf mir. Ich erwidere seinen aufmerksamen Blick, lächle ihn sanft an, und er schaut stur zurück.Denkt wohl ich wolle etwas klauen.
Mit einer 1L Wasserflasche und Chips, die ich für einen wirklichen Notfall an Hunger, neben den fertigen Sandwiches ausgewählt habe, gehe ich zur Kasse. Der namenlose Verkäufer, oder auch Kassierer, sieht mich ohne Emotionen an. Nur ein abgekauter Zahnstocher schaut aus seinem Mundwinkel heraus. Die Augenbrauen zu einer geraden Linie, die Lippen dünn und das Gesicht voller Falten und vollbärtig. Die grauen Augen müde und schläfrig. Schatten unter ihnen so tief wie eine Schlucht.
Ich streiche mir meine lockigen Haare aus dem Gesicht, da ich das Kitzeln an meiner Nase leid bin. Dann räuspere ich mich, als der Herr mich nicht aufhört anzustarren.
»Getankt für 80 Euro.«, sage ich noch zusätzlich und er nickt bestätigend; tippt etwas in die Kasse ein. Dann zieht er meine Ware zu sich, scannt sie mit einem Scanner, den ich ganz früher als Spielzeug zu einer Spielzeugkasse besaß.
»Jung und auf Reise?«, fragt seine kratzige Stimme dunkel und tief. Thaddeus' Stimme keinerlei Konkurrenz.
»Wieso fragen Sie?«, gebe ich wieder, packe die Ware in meine Tasche und hole mein Geld hinaus.
»Du siehst so danach aus, Kleines. Deine Augen sprechen Bände. Erschöpfung, Trauer, Hass, Frustration. Brauchst wohl eine Auszeit von der Welt, vom Leben?«
Ich kann kaum glauben wie wahr das ist, was er gesagt hat. Es ist alles ein bisschen viel.
Das Leben.Ich lächle ihn aufmunternd an.
»Ja...ja, alles ein bisschen viel. Aber das Leben macht eben keine Pause, stimmt's? Es geht immer weiter und weiter und weiter...bis man irgendwann nicht mehr kann...und selbst dann geht es noch weiter. Es stoppt einfach nicht.« nebenbei reiche ich ihm einen Hunderteuroschein und er zieht seine Strichaugenbrauen zu einem dichteren Strich zusammen.»Komisch, das hat der maskierte Kerl heute früh auch gesagt. Bei'm Überfall, du weißt-?«, ich nicke, »Ich hab den Zweien gesagt, sie sollen nochmals überdenken, ob ein Leben als Verbrecher wirklich das ist, was sie wollen, und der eine, der, der fliehen konnte, der hat gesagt, dass das Leben nicht aufhört einen in die Knie zu zwingen, und man wieder aufstehen und etwas tun müsse, um allem zu entfliehen. Er sagte, dass es dumm seie ständig alles zu hinterfragen und zu überdenken, da man nur einmal lebe. Und als ich ihm sagte, dass sie mich auch einfach in Ruhe lassen und aus allem halbwegst ungestraft davon kommen könnten, da sagte der selbe: "Was ist schon ein Leben, wenn man nichts getan hat, um es lebenswert zu machen?". Keine Ahnung, was in ihm vor ging. Er war verrückt. Dann kam die Polizei. Und er ist abgehauen, bevor sein Kumpel gefasst wurde, doch hat noch gerufen: "Alter, ich bin auf dem Weg nach oben! Ich mache mein Leben zu etwas Besonderem, und kein Scheißgeld soll mich davon abhalten! Diese Drecksstadt kann mich mal, ich muss weg! Es tut mir leid!" Der Kassierer zuckt mit seinen breiten Schultern. »War verrückt, der Kerl.«

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Mystery | Taddl
FanfictionMan sieht sich immer zwei Mal im Leben, oder vielleicht auch nicht... Das Leben ist nicht immer fair und einfach, nicht jeder mag jeden - das alles ist Jane Dawson längst bewusst geworden. In ihrem Labyrinth des Leidens versunken lebt sie ihr einsam...