1 - Auf der Suche nach der Zaubertür

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Es gibt Mädchen, die lieben es sich vor den Spiegel zu stellen und ihre Augenlider in den buntesten Farben anzumalen. Es gibt Mädchen, die könnten sich Stunden lang die Magermodels in Zeitschriften ansehen und sie um die Disziplin beneiden, nur ein Salatblatt am Tag zu essen. Es gibt Mädchen, die ziehen Schuhe an, von denen sie genau wissen, dass sie sich den ganzen Abend quälen werden und sie ihre Tanzschritte auf ein Minimum reduzieren müssen, um den Schmerz zu ertragen. Es gibt Mädchen, die träumen von ihrem Prinzen auf dem weißen Schimmel, der sie zu einem romantischen Date an den Strand ausführt und sie mit Erdbeeren füttert, als wären sie selbst nicht in der Lage dazu.

Und dann gibt es Mädchen wie mich, die in unserer Gesellschaft leider eine Rarität darstellen. Zumindest war das meine ganz persönlich Erfahrung.

Meine Augenlider waren maximal blau gewesen, wenn die Streitigkeiten mit meinem Bruder eskaliert waren. Ich lasse mir meinen Schokoladengenuss nicht von Modepüppchen versauen und ein paar mehr Zentimeter mehr unter meinen Haken bewirken bei mir den Verlust des Gleichgewichtssinnes, sowie eine Einschränkung der Fortbewegungsfähigkeit. Und wie ich zu Prinzen stehe? Die leben nur im Märchen und im Buckingham Palace. Romantik ist doch nur eine Illusion, die Hollywood und Disney erfolgreich all den kleinen Mädchen in die Köpfe gepflanzt hatten.

„Warte", hörte ich eine fremde Stimme.

Ich schob meine Hand zwischen die Fahrstuhltür. Neugierig sah ich um die Ecke und prompt knallte eine Gestalt in mich hinein. Sein Kaffee vermischte sich mit meinem Cappuccino auf meinem Top. Toll, zwei Euro umsonst ausgegeben. 13,8 Minuten umsonst gearbeitet.

„Oh Gott, Entschuldigung", ertönte es sofort.

Ich sah zu ihm herauf. Auf seinem weißen Shirt war nicht ein Fleck zu sehen. Wie hatte er das geschafft? Beide Becher hatten sich ausschließlich über mich ergossen. Ein physikalisches Rätsel, das wohl selbst Einstein nicht hätte lösen können. Mein Top klebte eng an mir und wurde durchsichtig sodass man meinen BH und meinen Bauchnabel sehen konnte. Auch meinem Gegenüber schien das nicht zu entgehen.

„Hey, ist das so eine Art Masche von dir, um mal einen Blick auf einen Frauenkörper zu erhaschen?", blökte ich und hielt meine Hände schützend vor meinen Oberkörper.

Erst jetzt sah er mir ins Gesicht. Er war kaum älter als ich. Um die 18 schätzte ich. Er hatte Locken, die in alle Richtungen standen. Es sah so aus, als hätte jemand darin in Draht verarbeitet und sie nach Außen gebogen. Meine Mutter hatte sich diesen Trick immer zu Nutze gemacht, wenn ich zum Fasching als Pippi Langstrumpf gegangen war und die zwei Zöpfe waagerecht vom Kopf abstehen sollten. Doch nicht nur seine blonde Lockenmähne war auffällig. Mein Blick fiel auf seine Beine. Diese Jeans war mindestens zwei Nummern zu klein. Meine Oma sagte immer: Mit Unterwäsche verhält es sich wie mit Intelligenz: Es ist wichtig, dass du welche hast, aber es ist nicht notwendig, dass du sie zeigst. Ich wusste nicht, wie es um seine Intelligenz bestellt war, aber seine karierte Unterhose konnte ich mir sehr detailliert ansehen.

„Ich hab dich einfach nicht gesehen", entschuldigte er sich und zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche. Angewidert wich ich zurück und schüttelte meinen Arm aus, um die Kaffee-Capuccino-Mischung von mir abzuschütteln. Wer benutzte denn noch Stofftaschentücher, wenn es Tempos gab? Die waren schließlich praktisch und vor allem unbenutzt. Ich würde mit Sicherheit nicht dieses Taschentuch anfassen, in das er irgendwann mal hinein gerotzt hatte. Ob gewaschen oder nicht spielte für mich keine Rolle.

„Nein, danke", watschte ich ihn ab.

Er ließ seine Hand sinken und steckte das Keimschleudertuch wieder ein.

„Tut mir leid", entschuldigte er sich noch einm.

Ich reagierte darauf nicht, sondern zog mich in den Fahrstuhl zurück. Er folgte mir.

Broken PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt