Kapitel 9

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Die ersten paar Wochen bei meinen Eltern vergingen schnell ohne irgendwelche Vorkommnisse. Alle behandelten mich wie ein rohes Ei, das nervte etwas, aber sie machten sich schließlich Sorgen und hatten schon genug Probleme mit mir. Die Uni vernachlässigte ich total. Ich konnte mein normales Leben nicht weiterführen. Also beschloss ich ein Uelaubssemester einzuschieben. Jeden Tag 500 Kilometer pendeln, würde eh nicht funktionieren und zurück in meine Wohnung konnte ich noch nicht. Auf etliche Anfragen meiner Kommilitonen reagierte ich nicht. Ich war zu sehr mit mir beschäftigt. Meine Gefühle schwankten von glücklich, dass bis jetzt alles glimpflich abgelaufen ist bezüglich meiner Person, zu tieftraurig und depressiv, dass die Situation so ist wie sie ist. Das Bild von Jenna ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Wie sie da lag, blutüberströmt. Bei jedem Gedanken an Sie schossen mir die Tränen in die Augen. Ich konnte es immer noch nicht fassen und meine Therapeutin bekam dies immer wieder zu spüren. Sie diagnostizierte Depressionen und verschrieb mir Antidepressiva. Ich machte einen totalen Aufstand in der Praxis. Ich bin schließlich nicht verrückt. So nahm ich auch die Tabletten nicht. Statt sie zu schlucken, spülte ich sie die Toilette runter. Es sollte schließlich nicht auffallen.

Ab und zu meldete sich Tom. Ich vermisste ihn schrecklich. Schon über 3 Wochen hatten wir uns weder gesehen noch irgendwelchen Korperkontakt gehabt. Ich vermisste seine starken Arme, seine großen Hände und sein Lächeln. Das machte mich verrückt.

Ich versuchte positiv zu denken, packte meine Tasche und verließ das Haus. Immer hinter mir, Chem. Meine Personenschützer fuhren mich zu meiner Therapiesitzung.

Ich betrat das Sprechzimmer und sah sie schon hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Immer gut gelaunt, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und einem träumerischen Blick. Ich hasste es. Sie bildete sich ein irgendwas über mich und mein Leben zu wissen, dabei wusste sie garnichts. Sie wusste nicht mal ansatzweise wie es ist wenn das ganze Leben umgekrempelt wird. Wenn die beste Freundin stirbt, wenn man terrorisiert wird und seinen Partner nicht sehen darf. Sie bildete sich ein nachvollziehen zu können wie es in mir aussieht, aber in Wirklichkeit war sie ahnungslos. Ahnungslos von allem, was in mir vorging. Ich hatte teilweise Selbstmordgedanken, wovon ich ihr natürlich nichts erzählte. Und sie saß da und versuchte mich mit ihrem perfekten Leben zu verstehen. Ich stellte mich stur. Sie wusste nichts, sie wusste garnichts und sie wird nie etwas erfahren.

Miss Church!, lächelte sie freundlich.

Schon bei der Begrüßung kam mir das kotzen. Ich setzte mich bockig in den Therapiestuhl, wie sie ihn liebevoll nannte.

Wie geht's Ihnen heute?

Wie immer!, antwortete ich ihr knapp.

Miss Church! Sie müssen schon mit mir kooperieren, dass ich Ihnen helfen kann.

So, dieses Gequatsche hörte ich mir nun über 3 Wochen an, irgendwann reichte es und es platzte aus mir heraus.

Ich brauche ihre Hilfe nicht! Mir kann niemand helfen weil ich nicht krank bin. Wieso versteht das niemand! Mir geht es gut und ihr Psychogequatsche und die doofen Tabletten bringen sowieso nichts.!

Ich verschränkte nach meinem kurzen Wutausbruch die Arme und schaute sie grimmig an. Sie schaute verdutzt und verzweifelt zugleich.

Einen Moment lang herrschte Totenstille, dann senkte sie den Kopf und fing an zu reden.

Miss Church. Ich verstehe ihren Unmut und sie haben recht, sie sind nicht krank, aber das hat auch niemand behauptet.

Ach nein? Und wieso soll ich dann Tabletten fressen?, fiel ich ihr ins Wort.

Wieder war es still. Dieses mal noch länger als zuvor. Ich schaute sie fordernd an.

Okay, sie haben in Grunde genommen recht. Tabletten nimmt man nur wenn man krank ist und vielleicht war die Diagnose Depressionen von mir auch etwas zu früh gestellt. Theoretisch leiden sie an einem Trauma, was aber nur durch eine spezifische Therapie gelöst werden kann. Da sie jedoch jegliche Hilfe ablehnen, dachte ich, dass wir mit Gesprächen und die Einstellungen auf Medikamente, dass es ihnen zumindest vorübergehend erstmal besser geht bis sie bereit sind für eine Therapie, die beste Lösung wäre.

Ich schaute sie entsetzt an. War das jetzt wirklich ihr scheiß ernst? Was war denn mit Transparenz in der Therapie und Vertrauensverhältnis?

Wissen Sie was? Sie wissen garnichts!, schrie ich sie an und verließ den Raum. Ich schmiss die Tür hinter mir zu und Chem, der davor stand, war ziemlich erschrocken und folgte mir schnell. Ich lief ans Auto, schmiss meine Tasche hinein und setzte mich.
Chem kam hinter mir her und setzte sich neben mich. Das Auto fuhr los.

Ich kochte vor Wut und Chem muss mir dies angesehen haben, denn er schwieg. Dann traute er sich vorsichtig nachzufragen.

Was war los, Molly?

Ich schüttelte den Kopf.

Die sind alles verrückt, die sind alle krank, aber wollen es mir unterstellen. Ich bin nicht krank und ich bin auch nicht verrückt. Ich brauche weder Tabletten noch Psychogequatsche. Ich brauche einfach meine Ruhe, die Sicherheit, dass der Typ endlich gefasst wird und Tom wieder in meiner Nähe. Mehr brauche ich nicht!, schimpfte ich.

Chem nickte zustimmend.

Molly, ich weiß, dass du weder krank, noch verrückt bist. Die anderen wissen das auch, aber sie möchten dir eben irgendwie helfen.

Ich brauche aber keine Hilfe. Ich komme alleine zurecht. Ich bin nicht aus Zucker!, schrie ich wieder und fing gleichzeitig an zu weinen.

Das waren die Stimmungsschwankungen, von denen ich redete. Chem nahm mich in den Arm und versuchte mich zu beruhigen. Psssht! Phssst! Sagte er immer wieder.

Molly! Alles wird gut! Ich schau mal was ich tun kann, dass du Tom vielleicht siehst.

Ich schaute zu ihm herauf und meine Augen funkelten wieder. In mir drin wusste ich, dass es eigentlich utopisch war, da es uns ausdrücklich untersagt war jeglichen Kontakt zu pflegen und selbst die Nachrichten, die wir uns ab und zu schickten, verstieß eigentlich schon gegen diese Regel. Aber ich wusste inzwischen, dass Chem auf meiner Seite war und das er alles daran setzen würde, dass es mir gut geht. Er ist in diesem paar Wochen nicht nur zu meinem persönlichen Beschützer geworden, sondern auch ein ziemlich guter Freund, der immer versuchte in meinem Interesse zu handeln. Und das half mir viel mehr als irgendwelche Tabletten und eine Therapie. Ich setzte Hoffnung in Chems Aussage und drückte ihn fest.

Du bist der beste!, flüsterte ich ihm

Er lachte. Nicht so voreilig. Noch kann ich nichts versprechen, aber ich werde alles versuchen, dass es dir gut geht!

When a Stranger calls Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt