Als Thea aufwachte, sass ich schon angezogen auf dem Bett und erforschte auf meinem Intercom die Unterwelt. Seit der Erfahrung mit Melvin gestern Abend hatte ich beschlossen, dass es besser war, wenn ich mich einigermassen in der Unterwelt auskannte. Sie war viel grösser, als ich gedacht hatte. Viele der Räume bestanden nur für technische Zwecke, in manchen wurden Forschungen betrieben und nur in einigen wenigen lebten überhaupt Ungeeignete. Die einzelnen Abteilungen waren allesamt mit Aufzügen verbunden, an einigen Stellen gab es auch Treppen.
„Bist du schon lange wach?", begrüsste mich meine Zimmernachbarin gähnend und streckte sich. Langsam rappelte sie sich auf und rieb sich die Augen.
Ich schüttelte den Kopf und schaltete den Intercom aus. „Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt."
„Nein, am Morgen sehe ich immer so aus." Thea lachte leise und schwang sich aus dem Bett. „So, bist du bereit für einen neuen Tag?"
Ich hatte grosse Lust, den Kopf zu schütteln und mich wieder in meinem Bett zu verkriechen, doch irgendwie erschien mir dies nicht ganz richtig zu sein. Deshalb nickte ich und setzte ein fröhliches Lächeln auf. „Aber sicher schon."
„Toll, dann lass uns mal gehen", meinte Thea begeistert und schlüpfte in ihre Kleider. „Viel Zeit bis zu Erdkunde haben wir nicht mehr."
Gehorsam erhob ich mich ebenfalls und platzierte den Intercom neben meinem Bett auf den Nachttisch. Schnell band ich mir meine Haare zusammen und betrachtete dann Thea interessiert, die sich gerade vor dem Spiegel schminkte. Den Stress am Morgen schien für sie schon beinahe Routine zu sein und auch aus den einzelnen Handbewegungen liess sich schliessen, dass sie sich das alles schon ziemlich gewöhnt war.
„Dann ist das also unser Leben?" Überrascht drehte sie sich um und hob fragend ihre Augenbrauen. Ich machte mit meinen Händen eine ausholende Bewegung. „Das hier alles. Aufstehen, Erdkunde, Mittag, Vorbereitungskurs und dann wieder schlafen? Werden wir das jetzt einfach so weiter machen?"
Thea legte ihre Schminksachen mit einem bedrückten Blick zu Seite und trat vorsichtig auf mich zu. „Wenn man bedenkt, dass wir hier alle eigentlich tot sein müssten, ist das Leben doch nicht so schlimm. Und was die Routine angeht, einmal pro Monat findet hier eine Feier statt. So langweilig ist es hier auch nicht." Sie trat zur Tür und nickte mir auffordernd zu. „Komm jetzt, sonst haben wir nichts mehr zu essen."
Mit einem leisen Seufzen folgte ich meiner Zimmernachbarin nach draussen in den Flur, der schon wie gestern vor Leben sprühte. Auf dem Weg zum Aufzug trafen wir auf Leon, Adil und Melvin, der meinem Blick verlegen auswich. Adil selber schien von dem Vorfall zwischen Melvin und mir nichts zu wissen und von der Verlegenheit auch nichts zu bemerken, denn er erkundigte sich sofort, ob ich gut geschlafen hatte und ob ich aufgeregt sei.
„Wieso aufgeregt?", erwiderte ich interessiert und warf dem schwarzhaarigen Jungen einen fragenden Blick zu.
Er zuckte mit den Schultern und lachte fröhlich. „Weiss nicht. Einfach so, ich war in meiner ersten Woche tagtäglich aufgeregt."
„Das warst auch nur du." Leon boxte ihm spielerisch in die Schulter. „Resa steht über der Aufregung."
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, beschloss aber nichts darauf zu sagen, sondern lenkte vom Thema ab: „Welchen Vorbereitungskurs haben wir heute Nachmittag?"
„Forschung." Thea trat mit hochgezogenen Augenbrauen aus dem Aufzug und stellte sich hinter ein Grüppchen Ungeeignete, die in unserem Alter zu sein schienen. „Aber das wirst du noch früh genug bemerken."
Ohne genau zu wissen, was ich mit dieser Antwort anfangen sollte, nickte ich hilflos und stellte mich ebenfalls an, um meine Morgenration von Pillen zu bekommen. Für einige Sekunden spielte ich mit dem Gedanken, sie wie Thea ohne Wasser zu schlucken, doch entschied mich im letzten Moment anders. Ich hatte keine Lust, schon am Morgen früh an einer Tablette zu ersticken.
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Ungeeignet
Science-Fiction"Du hast den Test nicht bestanden. Du bist ungeeignet für die Gesellschaft. Du bist nicht geeignet, als WmH zu arbeiten. Ungeeignete sind eine Gefahr." Die Stimme schepperte laut, als ein trockenes Lachen aus ihrer Kehle aufstieg. "Nein", schrie ich...