Ungeeignet

Neue Kleider

Erst als mich Thea am nächsten Morgen weckte, bemerkte ich die tatsächliche Wirkung der Kapsel. Anstatt die morgendliche Müdigkeit zu verspüren, fühlte ich mich ziemlich leicht und zufrieden. Ich schenkte Thea sogar ein fröhliches Lächeln, welches sie aber nicht erwiderte.

„Wenn du dich nicht beeilst, verpasst du die Hack-Stunde." Sie verschränkte die Arme und rümpfte ihre Nase. „Du hast den ganzen Morgen geschlafen."

„Habe ich?" Erstaunt setzte ich mich auf und streckte mich gähnend. Als ich aufblickte, lag Theas unzufriedener Blick immer noch auf mir. „Komm schon, Thea. Für einmal ist das nicht so schlimm. Weshalb hast du mich nicht geweckt?"

Das braunhaarige Mädchen zuckte leicht mit den Schultern und hob verzweifelt die Hände. „Man hat mir gesagt, ich soll nicht. Du bräuchtest die Ruhe."

„Jetzt bin ich ja wach", meinte ich knapp und hatte zum ersten Mal keine Lust, mich nach dem Weshalb zu erkunden.

Meine Zimmernachbarin deutete ein leichtes Lächeln an und seufzte erschöpft. „Wenn du dich beeilst, reicht es dir noch, Kleider von Chiara zu holen. Sie hat mir geschrieben, dass sie bereit seien."

Anstelle einer Antwort erhob ich mich schwungvoll von meinem Bett, worauf ich mich gleich darauf wieder setzen musste, da mein Blut in meine Beine sackte.

„Unterzuckerung", bemerkte Thea amüsiert und reichte mir zwei Tabletten. „Was würdest du bloss ohne mich machen?"

„Ich würde immer noch schlafen, so viel steht fest", grummelte ich mit einem ironischen Unterton, nahm aber dennoch die hingehaltenen Tabletten mit einem leisen Danke entgegen. Die Wirkung der Tabletten fühlte ich augenblicklich nach der Einnahme, weshalb ich motiviert aufstand und begann, meine Kleider zusammen zu suchen. „Was habt ihr in der Erdkunde überhaupt gemacht?"

Thea hob verwundert ihre Augenbrauen und lachte leise. „Ich habe gedacht, du magst die Stunde mit Bruce gar nicht."

„Fragen darf ich ja wohl noch", entgegnete ich verlegen, stimmte ihr aber im Stillen zu. Wieso ich ihr diese Frage gestellt hatte, begriff ich nicht. Irgendwie war sie mir bloss herausgerutscht.

„Stimmt, tut mir leid." Die grauen Augen meiner Zimmernachbarin musterten mich verlegen. „Wir haben die Geschichte des letzten Jahrhunderts durchgenommen."

„Interessant." Wieder rutschte mir die Antwort über die Lippen, ehe ich etwas dagegen unternehmen konnte. „Eh, also, ich meine...wie spannend."

Ob sich Thea über meine seltsamen Aussagen wunderte, konnte ich nicht richtig erkennen. Auf jeden Fall blieb das freundliche Lächeln auf ihren Lippen, als sie mich weiterhin interessiert betrachtete. „Das war es."

Ich nickte leicht und brauchte meine ganze Selbstbeherrschung, um nicht mit einer weiteren Erwiderung zu kommen. „Dann...gehe ich mal zu Chiara. Wir sehen uns später."

Bevor sie etwas sagen konnte, drehte ich mich zur Tür und verliess schleunigst das Zimmer, um mich auf den Weg zur Kleiderausgabe zu machen.

Mir war sofort klar, dass meine übertriebene Neugier für die Erdkunde etwas mit der Einnahme der Kapsel zu tun hatte; das war die einzig logische Erklärung. Dennoch begriff ich nicht, inwiefern dieses Benehmen besser für die Gesellschaft war.

Ich schritt an einigen Neulingen vorbei und schenkte ihnen ein höfliches Lächeln, obwohl die Blicke, mit denen sie mich betrachteten, sich wie feuerheisse Nadeln in meine Haut brannten. Anstatt sie darauf hinzuweisen, dass starren unhöflich war, streckte ich meinen Rücken durch und ging weiter. Sie waren es nicht wert, um in ein Problem zu reiten.

Als ich den Aufzug betrat und alleine im Innern stand, setzte das schwindlige Gefühl wieder ein. Mein ganzer Körper fühlte sich an, wie wenn er haltlos in die Tiefe stürzen würde, mein Herz pochte heftig gegen meinen Brustkorb und ich hatte Mühe, auf den Beinen stehen zu bleiben. Zwar hörte das Gefühl schon nach einigen Sekunden auf, doch das Unwohlsein blieb.