Die Oberwelt

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„Melvin?", entschlüpfte es mir überrascht und augenblicklich spürte ich, wie die Wut, die ich gerade wieder vergessen hatte, zurückkehrte. „Was machst du hier?"

Der braunhaarige Junge machte ein verlegenes Gesicht. „Thea hat mir befohlen, dir zu folgen und mich bei dir zu entschuldigen."

Ohne dass ich es verhindern konnte, lachte ich leise, wurde aber gleich darauf wieder ernst. „Also, ich warte."

„Tut mir leid, dass ich gesagt habe, dass du anders bist", erwiderte er schnippisch und hob seine Augenbrauen. „Zufrieden?"

Ich wandte mich kommentarlos von ihm ab und betrachtete wieder den Bildschirm. Die Landschaft hatte sich nicht verändert, sie war immer noch so tot und verlassen wie vor einigen Sekunden. Der Himmel leuchtete in hellen Rosttönen und davor hingen grosse, dunkelgraue Wolken. Dicke Regentropfen prasselten in den braunen Sand und prallten von einigen verkrüppelten Pflanzen ab, die im leichten Wind sanft zitterten. In der Nähe der Kamera stand ein einsames, halbzerfallenes Gebäude, um welches sich vertrocknete Pflanzen geschlungen hatten. Eine löchrige Strasse führte davon weg in die Ferne zu einer grösseren Ansammlung zerstörten Häuser.

„Ziemlich trübe, nicht wahr?" Melvin war neben mich getreten und betrachtete die Landschaft mit einem emotionslosen Blick.

„Sieht es an der Oberfläche wirklich so aus?", flüsterte ich leise und spürte gleichzeitig ein unangenehmes Gefühl.

Bevor Melvin nickte, wusste ich, dass meine Frage unnötig gewesen war. „Das dahinten war einmal eine Stadt. Ihren Namen habe ich vergessen, ich glaube, er hat mit O begonnen."

„Und die Menschen, die hier lebten. Sind die alle tot?" Ich betrachtete die Stadt, die irgendeinmal mit O begonnen hatte und vor Leben gesprüht hatte.

Der Junge hob seine Schultern und blies seine Wangen auf. „Die Mehrheit davon vermutlich schon. Der Rest lebt jetzt sicher unter der Kuppel und kümmert sich nicht um die Aussenwelt."

„Das hat Giles auch gesagt", murmelte ich leise und wandte meinen Blick mit grösster Mühe vom Bildschirm ab.

„Wer?"

Zu spät bemerkte ich, dass Melvin Giles gar nicht kennen konnte. „Der Typ, der mich bestellt hat."

Melvin setzte sich auf einen Stuhl und musterte mich beinahe schüchtern. Ich liess mich ebenfalls auf einen Stuhl fallen, ignorierte gleichzeitig, so gut ich konnte, seinen Blick und tat so, wie wenn ich weiterhin den Bildschirm betrachten würde.

„Darf ich dich etwas fragen?", fragte Melvin nach einer Weile und wartete gar nicht erst, bis ich nickte, sondern sprach einfach weiter. „Was war der Test?"

Eine Weile schwieg ich und hoffte beinahe, dass Melvin seine Frage wieder vergessen würde. Mir war klar, dass dies nicht geschieht, denn so, wie ich ihn bis jetzt kannte, schien er offensichtlich ein Sturkopf zu sein, trotzdem hatte ich die Hoffnung, er würde das Thema wechseln.

„Willst du das wirklich wissen?", erwiderte ich nach einigen Momenten des Schweigens und betrachtete Melvin.

Er nickte energisch, wich aber meinem Blick aus und musterte den Bildschirm. „Niemand von uns weiss, was genau geschieht."

„Nichts Spezielles." Ich drehte meinen Kopf, um ebenfalls die Oberwelt beobachten zu können. „In einem Raum bekommst du Metallplättchen an die Stirne geklebt, danach wird es im Raum kühler und du fällst in eine Art Trance. Oder jedenfalls sollte man das."

Melvins neugieriger Blick huschte in meine Richtung. „Und wie hat man gemerkt, dass es bei dir nicht funktioniert hatte?"

„Keine Ahnung." Ich zuckte abwesend mit den Schultern. „Vielleicht konnten sie meine Gedanken messen und haben so festgestellt, dass ich nicht in einer Trance war."

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