schwarze Orangen

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Maudado. Das war mein Name, das war ich. Mit allem, was ich hatte. Mit allem, was ich mochte, mit allem, was ich verabscheute. Und mit allem, was ich mir wünschte. Ich war ich.

Und ich war ein Waisenkind, nachdem meine Eltern gestorben sind. Danach wurde ich adoptiert und misshandelt, habe nicht mehr gesprochen. Dann habe ich versucht mich umzubringen. Ich wachte in einem Krankenhaus auf und konnte mich nur ansatzweise an das Geschehene erinnern.

Ich beendete die Schule, wurde aber auf Empfehlung einer Lehrerin hin in einen Selbsthilfekurs geschickt. Ich fing an zu studieren und besuchte den Kurs. Dort traf ich Fabian. Er war ein aufgeschlossener Mensch, der zu wahnwitzigen Vorstellungen neigte. Aber es machte ihn lustig und die Zeit verflog mit ihm schnell. Wir wurden zu besten Freunden. Einmal, als wir wieder gemeinsam in der Stadt unterwegs waren, kauften wir uns Orangen. Er liebte sie. Und irgendwann kam es dann dazu, dass ich mich in ihn verliebte. Fabian merkte erst aber gar nichts. Doch durch ein paar Zufälle kamen wir dann zusammen und waren beide Glücklich. Drei Jahre waren wir insgesamt zusammen. Doch dann hatte er einen Unfall. Er hatte eine schwere Gehirnerschütterung und die wahnwitzigen Ideen nahmen zu. Doch er ließ sich jedes mal von mir beruhigen. Ich brachte ihm jeden Tag eine von seinen geliebten Orangen mit. Jeden Tag besserte sich sein Zustand und Tag für Tag wurde er mehr der alte. Aber das Krankenhaus wollte ihn nicht gehen lassen. Sie sagten, er würde eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Und dann wurde er mitgenommen. In eine Psychiatrie, sagte man mir, aber nicht genau wo. Ich wurde depressiv. Mein Sinn zu Leben wurde mir genommen. Mein einziger Grund, morgens aufzustehen. Mein Seelenverwandter, mein Anker, der einziger Mensch, der mich positive Gefühle verspüren ließ. Ich versank in einem dunklen Loch, kam nicht mehr aus unserer Wohnung heraus...meiner Wohnung. Ich trank morgens um Abends dann vor Schmerz zusammen zu brechen. Ich aß nichts mehr. Niemand vermisste mich, oder kümmerte sich darum, wie es mir ging. Und nach und nach kamen die Bilder aus meiner Kindheit wieder. Die Schläge meiner Klassenkameraden, die im Vergleich zu meinem Adoptiv-Vater wie sanfte Streicheleinheiten wirkten. Die Beleidigungen. Die Nächte. Mein gesamtes Leben kam mir wieder hoch, auch, das ich versucht hatte, mich selbst umzubringen. Und der Gedanke war der erste seit Wochen, der mir gefiel. Fabians Augen schauten mich böse und vorwurfsvoll an, als ich auf das Fenster zuwankte. Ich spürte es. Aber es war mir egal. Er war nicht bei mir.

Ich erwachte in einem Krankenhaus und konnte mich nur ansatzweise an das Geschehene erinnern. Ich wurde mitgenommen, an einen "besseren" Ort.

Und jetzt saß ich hier. Ich, Maudado. Mit allem, was ich hatte, mit allem, was ich mir wünschte, mit allem, was ich verabscheute, mit allem, was ich mochte und ohne die Person, die ich liebte.

Ohne Fabian. Ohne O-Saft...

Schuldgefühle keimten in mir auf. Ich hätte bei ihm bleiben sollen, ich hätte ihn nie verlassen dürfen.

Und ohne Worte ging ich raus auf den Gang. Den langen, kalten Gang ohne Fenster, nur mit Türen. Zahlen an ihnen, an ihrem dunklen Holz. Alle waren sie glatt, alle bis auf eine.

Ich ging den Gang hinunter. Meine Füße tappten auf den Boden und trugen mich vorwärts. Zu langsam. Ich ging schneller, immer auf mein Ziel zu. Zu langsam. Ich wurde schneller, fing an zu joggen, zu rennen. Immer noch viel zu langsam! Ich musste zu ihm!

Alles flog an mir vorbei, nichts von Bedeutung. Ich rannte zu ihm, zu seinem Zimmer. Die Tür war verschlossen und wurde mir auch nicht nach mehrfachem klopfen geöffnet. Ich zückte meine Schlüsselkarte und öffnete sie.

Das Zimmer wurde von der Lichterkette im Baum erhellt. Doch einige der Lampen waren ausgefallen. Die Schaukel hing nutzlos am Orangenbaum. Fast alle echten Orangen waren verfault und es roch muffig. Ich trat in den Raum ein und schloss die Tür. Der Boden war mit braunen Blättern übersäht. Ich schaute hoch zur Baumkrone. Nur vereinzelt hingen noch Blätter an den Ästen, die Baumkrone war fast gar nicht mehr vorhanden.

Ich sah mich um. O-Saft musste hier doch irgendwo sein! GermanLetsPlay hatte ihn doch sicherlich nicht bei sich behalten wollen, wieso sollte er das auch.

In dem Bett lag er nicht, in seinem Badezimmer war er nicht. "O-Saft?", fragte ich in den leblos wirkenden Raum. Er war nicht hier.

Ich sah mich panisch um, aber hier waren nur die weißen Regale, mit Plastikorangen und Körbe voll verfaulter Orangen. Ich wusste nicht, wo ich O-Saft suchen sollte. Ich wusste noch nicht einmal, ob er noch lebte. Aber ich hoffte es. Ich hoffte es so sehr, dass es wehtat. Meine Gedanken konzentrierten sich komplett auf ihn. Ich hoffte mit Geist, Herz und Seele.

Doch die Leblosigkeit des Raumes zog mich herunter. Ich ging auf die Schalen zu und nahm mir eine Orange heraus. Sie roch faulig und ihre Schale war braun, verfärbte sich schon langsam ins schwarze. Die satte, orangene Farbe war komplett weg. Vorsichtig legte ich das Obst wieder zurück. Es war doch meine Schuld, dass alles so kommen musste.

Verzweifelt ließ ich mich auf die Schaukel fallen. Was sollte ich jetzt ohne ihn machen? So leblos wirkte der Raum ohne ihn. Meinen Blick hatte ich starr auf die raue Rinde des Baumes gerichtet. Er war trocken. Er brauchte Wasser.

"Wenn der Baum stirbt und sein letztes Blatt verwelkt, dann werde auch ich sterben"

Ich stand hastig auf und rannte ins Bad. Hier gab es nichts, worein ich das Wasser füllen konnte. Ich rannte wieder zurück ins Zimmer. Fiberhaft suchte ich nach einer Lösung, wie ich den Baum am Leben erhalten konnte. Wie ich O-Saft am Leben erhalten konnte.

Ich hastete auf die Regale zu und zog eine Schale mit verfaulten Orangen heraus. Die Orangen legte ich vorsichtig ins Regal zurück und rannte mit der Plastikschale ins Bad um Wasser zu holen, das ich dann so schnell es mir irgendwie möglich war in die trockene Erde des Baumes zu gießen. Und als ich das Wasser so langsam versickern sah, realisierte ich, was ich getan hatte.

Das war verrückt. Ich war verrückt, ich, Maudado.


PsychoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt