Kapitel 4

185 12 1
                                    

  Charlotte

Zögernd betrat ich das Krankenhaus. Es war vollgestopft mit fremden Menschen und fremden Gerüchen. All das verunsicherte mich. Ich wusste nicht mal, wo ich hingehen musste.
Während ich langsam den Gang entlang ging, grübelte ich über Emma nach. Woher kannte ich sie? Dass ich sie kannte, wusste ich. Fieberhaft durchforstete ich mein Gedächtnis nach irgendwelchen Anhaltspunkten. Dass ich sie schon mal auf der Straße gesehen hatte, schloss ich aus. Es musste also in einem Kaffee oder Restaurant gewesen sein. War sie vielleicht die Bedienung in einem Kaffee, in dem ich vor nicht all zu langer Zeit etwas hatte mitgehen lassen? Aber konnte man sich als einfache Bedienung einen Chauffeur leisten? Nein, das machte alles einfach keinen Sinn.
In meine Gedanken vertieft, lief ich in eine Krankenschwester hinein, die meinen Weg kreuzte. Sie warf mir einen missbilligenden Blick zu, sodass ich den Drang verspürte sofort umzukehren und das Krankenhaus fluchtartig zu verlassen. Ich wich einige Schritte zurück und zog den Kopf ein. Erst da bemerkte die Krankenschwester, dass ich verletzt war. Ihr vorwurfsvoller Blick verwandelte sich in pure Besorgnis, so wie ich sie schon kurz zuvor in Emmas Gesicht gesehen hatte.
„ Was ist dir denn passiert?" fragte sie und kniete sich neben mich.
„ Hingefallen" murmelte ich.
„ Dann lass uns mal gucken, wie wir das reparieren können." Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und nahm meine Hand.
Ich entzog sie ihr sogleich wieder, was mir erneut einen Blick ihrerseits einbrachte.
Sie ging den Gang hinunter und bedeutete mir ihr zu folgen.
„ Wo sind denn deine Eltern?" fragte sie, während wir uns einem Behandlungszimmer näherten.
Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte die Fliesen des Fußbodens an, als gäbe es dort etwas interessantes zu sehen.
„ Mädchen, wo sind deine Eltern? Wir brauchen ihre Einverständniserklärung, dass wir dich behandeln dürfen."
Ich blieb stehen und schüttelte trotzig den Kopf.
Nun verlor die Krankenschwester endgültig die Nerven: „ Hörst du schlecht? Sag mir wenigstens wie deine Eltern heißen, damit ich sie anrufen kann. Was machst du eigentlich alleine hier?"
Ich verspürte den Impuls wütend um mich zu schlagen und alle Welt für mein Leid verantwortlich zu machen, doch ich unterdrückte ihn. Stattdessen liefen heiße Tränen über meine Wangen.
„ Ich muss gehen" brachte ich unter Schluchzern hervor und steuerte den Ausgang an.
Die Krankenschwester schaute mir bloß verblüfft und hilflos hinterher. Wie viele Menschen vor ihr und wahrscheinlich genauso viele Menschen nach ihr.

Emma

Emmas Chauffeur hatte sie geradewegs in das Büro ihrer Managerin gebracht, die bereits aufgebracht am Eingang auf sie gewartet hatte. Nun saß sie wie ein kleines Kind in einem Stuhl und hörte sich die Schimpftirade ihrer Managerin an.
„ Ich verstehe nicht, was in dich gefahren ist. Was hast du dir dabei gedacht, das Mädchen einfach mitzunehmen? Hast du schon mal daran gedacht, dass ihre Eltern dich wegen Kindesentführung anklagen könnten?"
Emma wich alle Farbe aus dem Gesicht. Ihre Managerin hatte Recht. So weit hatte sie gar nicht gedacht.
„ Es...ich...es war eine Kurzschlussreaktion. Ich hab sie da sitzen sehen und sie war verletzt. Ich musste doch was tun" versuchte sie sich zu verteidigen.
„ Wieso hast du nicht angerufen? Ich hätte mich darum kümmern können und herausfinden können, wer die Kleine ist und woher sie kommt. Musst du denn immer alles auf eigene Faust herausfinden und dabei deinen guten Ruf in den Schmutz ziehen?"
„ Es hat mich doch niemand gesehen. Ich wollte ihr nur helfen. Ich habe nicht weiter nachgedacht. Ich dachte es ist das Richtige" Und das war es auch, fügte Emma in Gedanken hinzu, verschwieg es jedoch ihrer Managerin, bevor diese noch mehr an die Decke ging.
Doch diese seufzte nur und massierte sich mit einer Hand die Schläfe. Emma wusste, dass nun das Schlimmste überstanden war und ihre Managerin die Sache ein bisschen mehr aus ihrer Sicht sehen würde.
„ Ich kann dich ja verstehen" lenkte sie da auch schon ein.
Emma seufzte erleichtert:" Es tut mir wirklich Leid. Ich verspreche dir, dass ich mich nicht mehr so leichtsinnig verhalten werde und das nächste Mal Bescheid sage. Aber könntest du mir bitte einen Gefallen tun?"
Sie schaute Emma mit gerunzelter Stirn abwartend an.
„ Könntest du bitte herausfinden, wer sie ist? Ich möchte sie gerne nochmal treffen."
Ihre Managerin sah mich mahnend an und wollte gerade zu einer neuen Warnung ansetzen, doch Emma war schneller: „ Ich glaube, sie ist ganz allein. Sie hatte total abgenutzte Kleidung und sah so aus, als hätte sie schon lange kein Wasser mehr gesehen. Ich möchte nur sichergehen, dass jemand da ist, der sich um sie kümmert.
Wieder ließ ihre Managerin einen entnervten Seufzer hören, doch Emma wusste, dass sie ihr nach dieser Schilderung ihren Wunsch nicht abschlagen konnte.
Da kam auch schon die Bestätigung:" Ich werde mich darum kümmern. Nun schau zu, dass du pünktlich bei Emily im Fitnessstudio bist. Überlass den Rest mir. Wenn ich Näheres weiß, rufe ich dich an."
„ Danke" Emma lächelte, stand auf und ging zur Tür.
Dort blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um:" Es ist so... . Sie heißt Charlotte."
Mit dieser Erklärung ließ sie ihre Managerin allein in ihrem Büro zurück und machte sich auf den Weg ins Fitnessstudio.  


Mit dir an meiner SeiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt