Kapitel 8

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  Charlotte

Ich war ziemlich erstaunt über mich selber. Ich hatte mir doch nie etwas sagen lassen und jetzt tanzte ich nach der Pfeife einer Frau, die ich nicht mal kannte.
„ Also..." begann Emma erneut und direkt kochte die Wut wieder in mir hoch.
Ich konnte mir nicht erklären, wieso ich plötzlich so furchtbar wütend auf sie war. Im Grunde genommen wollte sie mir tatsächlich nur helfen, aber ich konnte keine Hilfe annehmen. Konnte ich noch nie und würde ich auch nie. Oder etwa doch?
„ .... was hälst du davon?" Emma schaute mich erwartungsvoll an.
Natürlich hatte ich kein Sterbenswörtchen von dem mitgekriegt, was sie davor gesagt hatte.
Ich wurde rot wie eine Tomate und wollte gerade zu einem erneuten Stottern ansetzen, als der Kellner das Essen brachte.
Er stellte alles übervorsichtig ab und ging nach einem kurzen Nicken in Emmas Richtung zum nächsten Tisch.
„ Vielleicht sollten wir erst mal etwas essen..." forderte Denise uns auf.
Ich hatte überhaupt keinen Hunger mehr, doch da stand schon ein voller Teller vor mir. Ich begutachtete das Essen stirnrunzelnd. Das meiste davon kannte ich nicht mal mit Namen, aber plötzlich kam mein Hunger wieder.
Ich wollte nach einer Gabel greifen, als mir auffiel, dass ich mehr als nur eine hatte. Dazu kamen noch Messer und Löffel. Gott, das war ja komplizierter, als ich gedacht hatte.
„ Arbeite dich von Außen nach Innen vor" flüsterte Emma mir zu.
Ich tat wie mir geheißen und nahm die äußere Gabel in die Hand. Ich pickte ein undefinierbares grünes Etwas auf und steckte es in den Mund. Es schmeckte ausgesprochen gut und ich aß mit knurrendem Magen in kürzester Zeit den ganzen Teller leer.
Auch Emma und ihre Managerin aßen etwas und warfen mir dabei immer wieder Blicke zu.
Ich versuchte es gekonnt zu ignorieren und schob den Teller von mir.
„ Möchtest du noch etwas?" fragte Emma.
Am liebsten hätte ich genickt, aber ich wollte nicht zu gefräßig wirken:" Nein, danke."
Nun schob auch Emma ihren Teller von sich und sah mich erwartungsvoll an:" Also, was sagst du?"
„ Also, ähm..." brach ich wieder in Stottern aus.
Auch Denise musterte mich neugierig und ich wurde erneut rot.
„ Ich hab eben nicht richtig zugehört..." gab ich also kleinlaut zu.
Denise seufzte und verdrehte die Augen, in dem Glauben ich hätte es nicht gesehen. Irgendwie war sie mir unsympathisch.
„ Oh..." kam es von Emma und irgendwie fand ich, dass sie leicht enttäuscht aussah.
Irgendwie war mir die Situation nun noch unangenehmer als vorher und ich wäre am liebsten zu meinem kalten Platz an der Straße zurückgekehrt.
„ Kannst...kannst du es vielleicht noch mal wiederholen?" fragte ich mit gesenktem Blick.
Emma lächelte wieder, so wie ich sie kennengelernt hatte und sagte:" Ich...nein wir, Denise und ich, wir haben uns wirklich lange und ausführlich Gedanken gemacht. Ich mag dich so gerne und ich ertrage es nicht, dass du in der Kälte sitzt, frierst und hungern musst. Ich weiß nicht erst seit gestern, dass du aus dem Pflegeheim abgehauen bist.."
Meine Miene verfinsterte sich. Ich konnte mir nicht erklären wieso, aber irgendwie wollte ich nicht, dass Emma alles über mich wusste.
Emma, die meinen Blick gesehen hatte, fügte hinzu:" Bitte sei nicht sauer deswegen. Ich will dir wirklich nur helfen. Du solltest in die Schule gehen, lernen und dann dein Leben so leben, wie du es für richtig hälst. Das willst du doch auch, oder?"
Ich nickte. Ja, ich wollte es tatsächlich. Früher wollte ich immer Ärztin werden, doch mit der Abschiebung ins Pflegeheim und meine Weigerung nicht mehr zur Schule zu gehen, war dies alles in den Hintergrund gerückt. Durch Emma, die all das wieder aufwärmte, verspürte ich den dringlichen Wunsch, sofort in die nächste Schule zu gehen, so viel zu lernen, wie ich konnte und meinem Traum, einmal Ärztin zu werden, doch ein Stück näher gekommen zu sein.
„ Ich möchte wieder in die Schule," gab ich leise zu.
Emma strahlte wie ein Honigkuchenpferd und sah ihre Managerin an. Diese hatte ein verblüfftes Gesicht aufgesetzt. Irgendwie erinnerte sie mich an eine Puppe, die verschiedene Masken hatte. Bevor ich jedoch weiter darüber nachdenken konnte, wand ich mich wieder Emma zu, denn diese sprach bereits weiter:" Wir haben lange darüber nachgedacht, wie wir dir da vielleicht helfen könnten. Du müsstest nur noch 'ja'sagen, wenn es dir zusagt."
Ich wartete gespannt. Dabei merkte ich nicht einmal, wie ich mir auf die Lippe biss.
„Also," sprach Emma weiter und atmete vor ihrem nächsten Satz tief durch:" wir haben eine Wohnung gefunden, in die du ziehen könntest. Sie ist nicht weit von meinem Haus entfernt. Du würdest dort nicht alleine leben, sondern mit 2 weiteren Mädchen. Sie sind zwar etwas älter als du, aber sie sind beide richtig nett. Es ist so was wie ein betreutes Wohnen. Von dort könntest du jeden Morgen mit dem Bus zur nahe gelegenen Schule gehen. Was meinst du?"
Ich schwieg erst mal verblüfft. Hatte ich gerade richtig gehört? Ich sollte in eine Wohnung ziehen, mit Heizung und Bett und all dem anderen Kram? Das war ja fast zu schön, um wahr zu sein.
Es musste einen Haken geben...
„ Was ist der Haken an der ganzen Geschichte?" fragte ich deswegen.
„ Naja...also eigentlich gibt es keinen," sagte Emma.
„ Doch, es gibt schon einen" mischte sich zum ersten Mal Denise ein:" Emma bezahlt dir die Wohnung und das Schuldgeld, aber ..."
„ Was?" schrie ich beinahe," du bezahlst mir das alles? Das...das geht nicht. Das kann ich nicht annehmen. Auf keinen Fall!"

Emma

Emma seufzte. Das hatte sie befürchtet. Eigentlich hatte sie mit Denise ja auch abgemacht, dass sie Charlotte nicht sagen würden, woher das Geld für die Wohnung und die Schule kam, aber Denise war noch nie gut im Lügen gewesen.
Eigentlich war es ihr auch ganz recht so. So konnte sie sich immer auf ihre Managerin verlassen.
Und wenn Emma ganz ehrlich war, so war sie auch froh, dass Charlotte nun doch darüber Bescheid wusste, woher das Geld kam.
„ Charlotte," sagte sie nun," du kannst es annehmen und du musst. Ich wäre sonst tief beleidigt. Glaub mir, ich werde dadurch nicht arm und es wäre mir eine Freude, dir diesen Wunsch zu erfüllen."
„ Außerdem gibt es da noch ein paar Formalitäten zu regeln," sagte Denise.
Charlotte sah sie beide verwirrt an:" Welche Formalitäten?"
„ Nunja..." Emma fiel es sichtlich schwer, dass was nun gesagt werden musste, in Worte zu fassen, dabei war sie sich ihrer Gefühle absolut sicher.
„ Es ist so: Das Jugendamt möchte einen Vormund für dich haben, jemanden, der auf dich aufpasst und die Verantwortung übernimmt...sozusagen. Ich würde mich dazu bereit erklären!"  


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