Prolog

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  Charlotte

Ich hatte früh gelernt mich schnell und leise zu bewegen. Wenn ich nicht gesehen werden wollte, dann sah mich auch niemand und ich konnte schneller rennen als alle anderen. Durch meine zierliche Gestalt fiel es mir leicht, mich in die kleinsten Öffnungen zu zwängen, ohne stecken zu bleiben. Mehr als einmal verschafften mir all diese Dinge einen gewaltigen Vorteil. Einen Vorteil, den man gut nutzen konnte, wenn man auf der Straße lebte.

Mein Name ist Charlotte und ich bin im Herbst 12 Jahre alt geworden. Ein Zuhause habe ich nicht. Ich treibe mich immer irgendwo in London rum. Meistens da, wo es warm ist und es etwas zu essen gibt.
Gerade jetzt im Winter friere ich mit meinem Mantel, der schon mal bessere Tage gesehen hatte und mehr als einmal geflickt worden war. Auch meine Schuhe gaben nicht mehr das her, was sie versprachen. Regnete es, hätte ich die Schuhe genauso gut ausziehen und barfuß durch die Straßen gehen können. Ich hasste das Gefühl von Klammheit, das unumgänglich war, wenn es kurz zuvor geregnet hatte. Niemand ließ mich in ein Kaffee oder Restaurant, damit ich nicht im Regen stehen musste. Wortwörtlich.
Jeder machte einen großen Bogen um mich, wenn ich verdreckt und hungrig mitten auf der Straße saß. Die meisten schauten mich nur stumm an und gingen weiter, andere beschwerten sich lautstark über „ die Jugend von heute, die selbst zu faul dafür war um sich um den eigenen Lebensunterhalt zu bemühen".
Doch was wissen die schon vom Leben auf der Straße? Ich tue etwas dafür, damit ich überlebe und ich finde es ist mein gutes Recht. Nunja, wahrscheinlich würde das nicht jeder so sehen, aber ohne das Stehlen wäre ich schon längst verhungert.
Ich nehme nie so viel, dass es jemandem auffallen würde, aber mit der Zeit ist es auch mit dem wenigen, das ich zum Leben brauche, schwierig geworden einen Laden unauffällig zu verlassen. Oft genug hatte ich die Security oder Polizei am Hals.
Mittlerweile musste ich kilometerweit laufen, um einen Laden zu finden, in dem ich noch nicht bekannt war. Dies hatte zur Folge, dass ich manchmal tagelang kaum oder gar nichts zu essen hatte.

Wieder andere vermuteten, dass mich meine Eltern zum Betteln auf die Straße schickten, weil sie entweder arbeitslos waren oder einfach nur total gierig, sodass sie ihr eigen Fleisch und Blut ausnutzten. Beides stimmt nicht.

Ich bin ganz allein...  


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