Kapitel 12

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  Charlotte

Es waren bereits zwei Wochen seit dem Treffen vergangen und ich ging nun in die nahe gelegene Schule. Da ich seit der vierten Klasse kaum mehr am Unterricht teilgenommen hatte, startete ich in der fünften Klasse. Zwar war ich älter als alle anderen, aber ich hatte direkt zwei nette Freundinnen gefunden, mit denen ich mich nachmittags regelmäßig traf. In der Schule kam ich so weit ganz gut mit, nur Mathe lag mir nicht. Da Matt in der Schule ein Ass in Mathe gewesen war und Emma ebenfalls einen mehr als guten Abschluss abgelegt hatte, halfen die beiden mir so gut sie konnten und so wie es ihre Zeit zuließ regelmäßig mit den Hausaufgaben.
Vor einigen Tagen war Emma nach Deutschland abgereist, um ihren neuen Film zu drehen, also waren nur Matt und ich daheim.
Ich hatte mich entschieden, bei Emma und Matt wohnen zu bleiben, sofern sie nichts dagegen hatten. Natürlich hatten sie keine Einwände. Die beiden hatten mir jedoch erklärt, dass sie eine Nanny einstellen würden, die nur dann auf mich aufpasste, wenn wirklich beide keine Zeit hatten. Allerdings mochte ich meine Nanny so gerne ( sie war gerade einmal zehn Jahre älter als ich), dass ich regelrecht darum bettelte, dass sie öfter kam.
Emily, so hieß meine Nanny, dachte sich immer regelmäßig neue und aufregende Spiele aus. Nichts war verboten oder zu gefährlich.
Nur eines durften wir nicht: Alleine rausgehen!
Emma und Matt hatten die Entscheidung getroffen, Stillschweigen über mich zu wahren. Das war mir auch ganz recht so. Denise hatte bei der Zeitung angerufen und mein Gesicht verpixeln lassen. So erkannte mich tatsächlich keiner, wenn ich auf die Straße ging. Aber alleine durfte ich eben trotzdem nicht. Emma und Matt fuhren mich jeden Morgen zur Schule oder aber Emmas Chaffeur, wenn keiner der beiden Zeit hatte. Dieser begleitete mich auch, wenn ich raus in den Park oder mich mit meinen Freundinnen treffen wollten.
Hinter unserem Haus gab es einen riesigen Garten mit vielen Bäumen und Matt hatte es innerhalb kürzester Zeit geschafft in den großen Apfelbaum ein Baumhaus zu bauen.
Emmas Familie hatte ich seit dem Treffen nicht mehr gesehen. Das war mir auch recht so. Ihre Eltern konnte ich zwar total gut leiden, aber Alex war mir etwas zu arrogant. Denise sah ich dagegen jedoch regelmäßig; mindestens einmal die Woche kam sie vorbei, um wichtige Dinge mit Emma zu besprechen.
Doch jetzt war sie mit Emma in Deutschland unterwegs. Alle paar Tage skypten Matt und ich mit Emma.
Ich musste mir eingestehen, dass ich sie in den paar Tagen, in denen sie jetzt weg war, schon total vermisste. Ich hatte Matt gern, keine Frage, aber Emma war in der kurzen Zeit zu einem Mutterersatz geworden. Ich hatte sogar heimlich geweint, als sie abgereist war. Nur der Gedanke, dass sie in wenigen Wochen wieder hier sein würde, tröstete mich über ihren kurzzeitigen Verlust hinweg.
Mir war klar, dass dies nun öfter vorkommen würde, aber daran wollte ich jetzt nicht denken. Ich wollte einfach nur diese Zeit ohne sie überstehen und dann wieder ihre Wärme spüren, ihre sanfte Berührung auf meiner Wange und die Liebe, die förmlich aus ihr heraussprudelte.

Emma

Am Set war Emma weiterhin hoch konzentriert. Sie mochte ihre neuen Kollegen und besonders mit Daniel Brühl und Florian Gallenberger, dem Regisseur, verstand sie sich blendend. Die drei verbrachten auch neben der Arbeit viel Zeit miteinander und lernten sich so sehr gut kennen.
Aber wenn sie allein in ihrem Hotelzimmer war, dann schweiften ihre Gedanken immer wieder nach Hause, wo Matt und Charlotte auf sie warteten. Sie freute sich nach jedem Skype- Gespräch auf das nächste. Leider fanden diese virtuellen Gespräche nur unregelmäßig statt, weil der Drehplan ihr nur wenig Zeit ließ.
Das erste Mal, als sie geskypt hatten, hatte Emma sogar ein bisschen geweint, als sie sah, wie Matt und Charlotte miteinander alberten. Man hätte denken können, dass die beiden Vater und Tochter waren und irgendwie war es ja auch so. Die beiden verstanden sich blendend. Was machte es da schon, dass sie nicht dieselben Gene hatten?
Mittlerweile waren sie nämlich eine richtig kleine Familie. Emma hatte es sich schwieriger vorgestellt in ihre Mutterrolle zu schlüpfen, schließlich hatte sie ein kleines Mädchen adoptiert, dass schon bald in die Pubertät kommen würde. Bisher war sie auch kein einziges Mal an ihre Grenzen gestoßen. Charlotte hatte zwar ab und an Trotzphasen, aber das hatten sie und Matt sehr gut gemeistert. Meist zog sich das Mädchen dann eh in sein Zimmer zurück.
Bisher hatte Emma es leider noch nicht geschafft, das ganze Misstrauen aus Charlotte heraus zu bekommen, aber sie merkte, das Charlotte ihr jeden Tag mehr und mehr vertraute. Die Freundinnen in der Schule taten ihr Übriges.
Emma war jeden Tag aufs Neue überglücklich, dass sie dem Mädchen von der Straße geholfen hatte. Es gab tatsächlich keinen Tag, an dem sie es bereut hatte.
An dem Tag vor ihrer Abreise nach Deutschland hatten Gewissensbisse an ihr genagt und Denises Worte waren ihr wieder in den Sinn gekommen: Sie hatte überhaupt gar nicht die Zeit, sich um ein Kind zu kümmern, da sie so oft um die halbe Welt flog.
Matt hatte versucht sie zu beruhigen, aber erst abends, nachdem Emma mit ihrer Mutter telefoniert hatte und diese sie mehrfach mit den Worten:" Du liebst mich doch auch, obwohl ich berufstätig war und oft erst nach Hause gekommen bin, als du schon längst geschlafen hast. Charlotte wird das überstehen. Und sie ist ja nicht allein. Du und Matt ihr macht das schon. Ihr gebt eurer Bestes. Das merkt sie. Ganz sicher!" beruhigt hatte, legten sich ihre Gewissensbisse und sie konnte ihren Koffer fertig packen.
Danach hatte sie noch lange mit Charlotte und Matt auf der Couch gekuschelt und zum ersten Mal war das wachsame Mädchen in Emmas Schoß eingeschlafen und hatte die Kontrolle ganz abgegeben. Emma hatte kaum gewagt zu atmen und Matt hatte sich zusammen nehmen müssen, um nicht laut zu lachen. Er hatte ein paar Fotos davon gemacht, Charlotte dann hochgehoben und ins Bett gebracht. Sie war nicht einmal aufgewacht. Ein echter Vertrauensbeweis.
Die Gedanken an diesen Abend hatten Emma erneut die Tränen in die Augen getrieben, aber es waren Freudentränen. Ja, sie war glücklich. Voll und ganz.  


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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 13, 2015 ⏰

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