Vertrauen

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Ich verzweifelte. Seine Geschichte war so traurig und auch er wirkte davon mitgenommen, dass ich ihm einfach glauben MUSSTE. Ich konnte gar nicht anders, mein Kopf glaubte ihm einfach, und das, obwohl die kleine Stimme in meinem Kopf mich zu warnen versuchte, aber ich sie einfach nur in den hintersten Teil meines Kopfes verbannte. Dort schien sie zu rebellieren, aber ich achtete nicht darauf. Hier und jetzt konzentrierte ich mich einfach nur auf Damien und seine Geschichte. Er sah wirklich mitgenommen aus und seine roten Augen wirkten so traurig und hoffnungsvoll zugleich, dass es unmöglich war, dass er mich anlog. „Ich glaube dir."

Er atmete sichtlich erleichtert aus und lächelte mich dann an. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Ob es wohl gut war, dass ich ihm ein wenig vertraute? Er hatte mich schon einmal verletzt. Aber wann war das gewesen? Er hatte damals Léa 'umgebracht', aber eigentlich hatte er ihr ja nur ein neues Leben ermöglicht. Aber..hatte er nicht damals ihre Schulter beinahe abgetrennt?!? Wieso hatte er das getan? „Ich habe das getan, um dich zu verschrecken. Du solltest mich als brutales Monster sehen und außerdem brauchte ich etwas, um dir das Blut von der Kleinen zu geben. Ohne es hättest du vielen Verletzungen vielleicht nicht überlebt", antwortete er mir, da er ja meine Gedanken lesen konnte. „ Wieso sollte ich nur dank des Blutes von Léa überlebt haben? Ich bin kein Vampir, oder habe ich etwa so rote Augen wie du?", fragte ich. „Nein, du hast Recht, rote Augen hast du nicht. Deine sind eher...bernsteinfarben." „Ja, ich weiß, ich habe seltsame Augen." Ich betrachtete ihn weiter und überlegte. „Du hast gesagt, ich hätte hier ein paar Tage geschlafen. Wie kann es sein, dass mich in dieser Zeit niemand umgebracht hat?" „Erstmal habe ich hier Wache gehalten und hätte jeden davon abgehalten, dir zu nahe zu kommen. Aber eigentlich ist es einfach nur so, dass ich die anderen überzeugen konnte, dass du sie nicht angreifen wirst." Seine Augen funkelten, aber er schien nicht misstrauisch oder böse zu sein. „Das ist doch verrückt! Ich konnte mich doch noch nicht mal gegen dich wehren, wie sollte ich dann gerade jemanden wie euch angreifen können?" Diese Frage spukte schon seit der Ankunft hier in meinem Kopf herum. Ich erinnerte mich an die vielen unterschiedlichen Gesichtsausdrücke der Vampire, als warteten sie alle nur darauf, dass ich mich gleich zum weltgrößten Monster verwandeln würde. Er lächelte wissend, meinte aber nur: „Bei Zeit und Gelegenheit werde ich dir das noch erklären, aber jetzt solltest du dich immer noch ausruhen." „Ich will aber nicht den ganzen Tag im Bett liegen und darauf warten, dass mir irgendwann mal meine Fragen beantwortet werden." Ich zog einen Schmollmund. Ich hatte wirklich gerade überhaupt keine Angst vor ihm und ich konnte mich einfach ganz normal mit ihm unterhalten. Zudem schien er in keinster Weise böse oder sauer zu sein, sodass ich mich einfach traute, alles so zu tun und zu sagen, wie es mir gerade in den Sinn kam. Wieder lächelte er und ich freute mich, dass er es tat, denn so wirkte er weitaus weniger gefährlich. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, einfach aufzustehen -wenn es denn so einfach gewesen wäre- und ihn zu umarmen.

HALT! War ich krank? Ich dachte hier gerade über DAMIEN! Damien, das Monster! Meine Kopfstimme hatte sich wieder befreien können und warf mir nun jede noch so erdenkliche Kleinigkeit, die gegen Damien sprach, an den Kopf. Damien hatte mich angeschossen, hatte viele Menschen getötet und er hatte Léa umgebracht. Wieso war ich dann auf dem Weg, ihm zu vertrauen?

Eine andere, neue Stimme schob sich in meine Gedanken und erinnerte mich daran, dass er Léa nur umgebracht hatte, da sie als Mensch in seiner Welt nicht leben kann. Aber wieso hat er das so grausam gemacht?

Um dich verschrecken. Du solltest Angst vor ihm haben, damit du dich ihm nicht ständig widersetzt. Zudem hasst er Menschen und vielleicht hat er durch den grausamen Tod Léas einfach allen Hass auf die Menschen an ihr ausgelassen, auch, damit er dir nichts antut. Er wollte dich dadurch beschützen!

Wieso sollte er das tun? Ich stelle keine Gefahr für ihn dar und außerdem hat er mich angeschossen und getreten, inwiefern zählt das unter 'beschützen'?

Er musste dich anschießen, damit du schwächer wurdest und er dich leichter entführen konnte. Du hättest geschrien, dich gewehrt und nach ihm geschlagen, wenn er es nicht getan hätte.

Ja, dann hätte ich vielleicht eine minimale Chance gehabt, jemanden auf mich aufmerksam zu machen!

Genau! Aber was hätte das denn genützt? Jemand hätte dich gesehen, wäre vielleicht gekommen oder hätte Hilfe geholt. Damien hätte die Person noch bevor er es versucht hätte umbringen müssen und damit noch mehr Leute getötet. Hättest du das gewollt?

Nein, natürlich nicht. Dennoch hat er mich getreten und in meiner verletzten Schulter gepult und mir damit unsagbare Schmerzen bereitet.

Die Kugel steckte noch in deiner Schulter, erinnere dich! Er hat sie hinausgezogen, damit es sich nicht entzündet.

Und wieso hat er mich dann bewusstlos getreten?

Du hast geblutet! Es muss wahnsinnig schwer für einen Vampir sein, seinen Blutdurst zu kontrollieren. Er konnte nicht einfach dastehen und nichts tun, währenddessen der Geruch deines Blutes sich verbreitete. Er musste das tun, um sich a) abzulenken, und dich b) in einen andere Raum zu schaffen, ohne, dass du dich noch mehr bewegst, die Wunde dadurch bloß verschlimmert und mehr zum bluten gebracht hättest, was ihn wiederum nur noch mehr angelockt hätte, sodass es nur noch schwieriger geworden wäre, sich zu kontrollieren und dir nicht wehzutun.

Meine beiden Kopfstimmen stritten und kämpften darum, dass Damien entweder gut oder schlecht war. Ich saß einfach nur beinahe als dritte Person in meinem Kopf da und beobachtete das Schauspiel. Jedes Mal, wenn die Nicht-Damien-Kopfstimme es fast geschafft hatte, ihn nun endgültig als schlecht darzustellen, fand die Für-Damien-Stimme wieder ein Argument, das für ihn sprach und der Streit begann von neuem. Irgendwann ließ die Nicht-Damien-Stimme es bleiben und erklärte nur mit einem Blick zu mir, dass ich es selbst wissen müsse. Sie schien dabei traurig und irgendwie, als ob sie mehr wissen würde, als sie preisgab. Doch ehe ich mir das alles nochmal überlegte, überzeugte mich die Damien-ist-gut-Stimme damit, dass er kein bisschen böse oder grausam eben gewesen war. Ich schob also meine zweifelnden Gedanken zur Seite und lächelte ihn wärmer an denn je . „Ähm, was ist jetzt passiert? Irgendwie hat sich da was in dein Gesicht geschlichen, sieht ganz schön merkwürdig und ungewohnt aus", grinste er. „Halt die Klappe, du Idiot", lachte ich. Doch sogleich ich das gesagt hatte, keimte die Angst in mir auf und Furcht spiegelte sich in meinen Augen wider. Mein Lächeln erlosch. Schnell schloss ich meine Augen. „Tut mir leid, ich wollte das nicht sagen! Entschuldigung! Es ist mir einfach so rausgerutscht! Bitte tu mir nichts! Es tut mir leid!" Ich zitterte heftig und mein Atem ging flach, währenddessen mein Herz wie wild pochte. Am liebsten hätte ich mich unter der Bettdecke verkrochen und sie zu einer undurchbrechbaren Schutzhülle gemacht doch auch wenn ich das gekonnt hätte, mir fehlte die Kraft. Ich hörte, wie Damien aufstand und sich meinem Bett näherte. Dann setzte er sich wie schon einmal auf die Bettkante und streichelte mir beruhigend über den Kopf. „Es ist alles gut. Du darfst so etwas sagen. Ich werde dir nichts tun." Und er flüsterte hinzu: „Überhaupt möchte ich dir nicht mehr weh tun." Ich spürte die Wärme, die von seiner Hand ausging. Sie war so warm und generell strahlte sein ganzer Körper solch eine Wärme und Geborgenheit aus, dass ich ganz langsam und vorsichtig erst mein eines, dann mein anderes Auge öffnete. Wärme war das einzige, was seine Augen in diesem Moment ausstrahlten. Und ich sah zu ihm hinauf und suchte nach einem Anhaltspunkt, dass das alles nur gelogen und gespielt war. Aber ehe ich noch genauer und feiner nachschauen konnte, flüsterte ganz heiser: „Vertrau mir",

dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn.



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