Der "Teufel"

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Ich starrte stur zurück und versuchte, mir jegliches Gefühl von Angst und Schwäche nicht anmerken zu lassen, doch natürlich bemerkte mein Gegenüber es. Ich verstand nicht, was das alles hier sollte. Wie gesagt, ich konnte ihnen nichts anhaben! Und dennoch schienen einige der Vampire sogar noch mehr Angst vor mir, als vor meinem Gegenüber zu haben, sodass andere wiederum einen unglaublichen Hass auf mich hegten, und mich, wie es aussah, töten wollten. Ich drängte die Fragen, die ich ihm noch alles hatte stellen wollen, zurück und sah ihn mir an. Schuldgefühle spiegelten sich in seinen Augen wider und wenn ich noch genauer hinsah, auch die Angst. Wovor konnte ich allerdings nicht erraten. Als er meinen Blick bemerkte, verfinsterte sich seine Miene und abermals setzte er diese ausdruckslose Maske auf. Ihn beschäftigte irgendetwas, und es musste etwas mit mir zu tun haben. Anstatt ihn jedoch wie gewohnt nachzufragen, donnerte plötzlich seine Stimme über den ganzen Berg:

„Ihr wisst, wer sie ist und was für eine Gefahr Yuki für uns darstellt! Noch ist es nicht zu spät, doch wir müssen schleunigst eine Lösung finden!"

Ich und eine Gefahr für sie darstellen? Pah, dass ich nicht lachte! Ich konnte doch gar nichts gegen sie ausrichten! Er war doch derjenige, der mich entführt hatte. Würde ich eine Gefahr sein, hätte ich ihn doch schon längst getötet! Hatten die Vampire etwa komplett den Verstand verloren? War mein Gegenüber auch noch geistesgestört?????!?

„Tötet sie!", rief die erste vor Hass ganz verzerrte Stimme. „Schneidet ihr das Herz heraus!", zischte eine Andere. „Nein, wir können ihre Macht gut gebrauchen! Verwandelt sie!", sprach wiederum eine andere. „Haltet sie einfach nur gefangen, solange wir sie gut behandeln, wird sie uns nichts tun!", rief jemand, doch die Angst war deutlich herauszuhören. „Sie ist eine Gefahr! Niemals können wir sie einfach so gefangen halten! Sie wird uns noch alle umbringen!", widersprach jemand entsetzt. „Saugt ihr das Blut aus", knurrte jemand ganz nah neben mir, doch ich konnte niemanden erkennen. Bloß die hungrigen Augen, die auf mir ruhten. „Herr, nimm DU ihre Macht und setze sie für uns ein!", krächzte da wiederum jemand anderes. Alles war ein heilloses Durcheinander, doch ich begriff, was los war. Sie diskutierten darüber, ob und wie sie mich töten wollten. Kaum einer entschied sich dafür, mich am Leben zu lassen.

In diesem Moment fühlte ich mich einfach nur schutzlos. Schutzlos ausgeliefert, doch ich wurde das Gefühl nicht los, das etwas nicht stimmte. Irgendetwas passte nicht ins Gesamtbild. Nur was?

Sie stritten noch eine ganze Weile darüber, doch sie wurden sich nicht einig. Anders, als wenn ER mich allerdings bedrohte und es so aussah, als ob ich nun sterben würde, hatte ich diesmal keine Angst. Ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich mich mit dem Tod abgefunden hatte, sondern eher so ein Gefühl, das mir sagte, ich würde heute Nacht nicht sterben. Noch nicht.

Schließlich ging die Sonne auf und der Himmel färbte sich in wunderschönen goldigen Farben, auf die sich ein immer stärker werdendes Rot absetzte. Ich beobachtete die Vampire, die sich immer noch nicht geeinigt hatten. Ich hatte Geschichten gelesen, in denen die Vampire zu Staub zerfielen, sobald sie nur das Sonnenlicht streifte. Andere wiederum verbrannten sich innerhalb kürzester Zeit höllisch, wenn sie nicht so einen seltsamen Ring trugen. Diese Vampire hier jedoch schien das Sonnenlicht nicht zu beindrucken. Keiner von ihnen trug einen Ring oder sonst irgendeine Art von Schmuck. Auch schrie niemand schmerzhaft auf und/oder verbrannte. So langsam fragte ich mich, was überhaupt von den ganzen Geschichten über Vampire stimmte und was nicht. Neben mir vernahm ich ein tiefes Seufzen. ER war sichtlich genervt von dem ganzen Chaos und schien schon ziemlich fertig mit den Nerven zu sein. „Genug jetzt", seufzte er ermattet. „Ihr wisst, dass das Sonnenlicht euch zusetzt. Du da", er deutete mit dem Zeigefinger schwach auf irgendeinen kleineren Vampir in der ersten Reihe, „du übernimmst die erste Wache und passt auf das Mädchen auf. Ich bring sie zu dir in einen Bunker. Ihr anderen", und seine Stimme übernahm automatisch wieder diesen donnernden Herrscherton, „geht in den Versammlungsraum, ich komme dann nach und wir werden weiter darüber diskutieren, was mit ihr geschehen soll." Er wirkte furchtbar müde und erschöpft. Er bedeutete dem Jüngeren vorzugehen und schubste mich dann vor sich her. Als wir den Bunker erreichten, öffnete er bloß die schwere Tür, betrachtete den von ihm zur Wache aufgestellten Vampir mit eindeutiger Skepsis und stieß mich dann hinein. Die Tür wurde verschlossen und wieder war ich alleine. Nicht dass ich dagegen etwas einzuwenden gehabt hätte, aber immer wieder aufs Neue eingesperrt zu werden gefiel mir ganz und gar nicht.

BlutrotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt