Der erste Traum

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Das war nun wirklich zu viel für einen Tag. Mein Bewusstsein schwand sowieso von Sekunde zu Sekunde. Ich wollte IHN nicht mehr sehen, ich wollte einfach nicht mehr. Ich hatte Angst zu sterben, doch das kümmerte mich schon gar nicht mehr. Ich war einfach nur noch müde...so müde. Kraftlos schloss ich die Augen und fiel. Ich fiel ins Endlose. Hinweg von IHM, hinein in die Dunkelheit, die mich willkommen hieß.

Es war Nacht. Die Kälte krabbelte meine nackten Beine hinauf und kroch unter den warmen Stoff meines Kleides. Eine Gänsehaut bildete sich. Entfernt hörte ich das leise Heulen einer Eule und das Knacken ein paar alter Äste im vorsichtigen Rauschen des Windes. Alles war so still und ruhig. Bedacht darauf, kein Tier zu wecken, tapste ich voran. Ich wollte mehr von diesem wunderschönen Wald sehen. Ich lief umher und fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben frei. Ich konnte laufen, wohin ich wollte, nichts hinderte mich daran. Das Laub kitzelte meine nackten Füße und ich kicherte vergnügt, als ich schließlich das weiche Moos an meinem Rücken spürte, als ich mich an einen Baum lehnte. Es war so friedlich und still, dass mich nichts aus der Fassung bringen konnte. Hier war ich frei. Frei wie ein Vogel, denn ich konnte überall hin. Ich sah noch einmal um mich. Überall Bäume, irgendwo vernahm ich das leichte Plätschern eines Flusses, sah zaghaft manche weiße Blumen aus dem Boden die Köpfe zum Mondlicht hinstreckend und schließlich eine Person. Ungefähr in 20 Meter Entfernung stand ein Mann, dicht an einen Baum gelehnt. Wer konnte das nur sein? Bis jetzt war ich noch nie jemanden in meinen Träumen begegnet und diese Person hatte ich auch noch nirgends gesehen. Wer war das? Leise schlich ich vorwärts. Meine Füße taten, als schwebten sie über den Boden und kein Zweig brach, und verriet mich. Glücklich erreichte ich die dunkle Gestalt, die mir nur den Rücken zugewandt hatte, schloss kurz meine Augen und wollte die Person gerade antippen, doch da war sie schon wieder verschwunden. Hatte ich mir das etwa nur eingebildet? Wo war die Person hin? Erstaunt blickte ich suchend umher und tatsächlich: Wieder gut 20 Meter entfernt von mir stand die dunkle Gestalt erneut, immer noch mit dem Rücken zu mir. Dieses Mal lief ich. Ich konnte die Person eben unmöglich einfach verfehlt haben. Dies war MEIN Traum und so etwas taten Personen in meinen Träumen nicht. Doch auch als ich diesmal ganz nah an die Person herankam, jedes Mal verschwand sie wieder und tauchte an einer anderen Stelle wieder auf. Ich hastete hin und her, konnte die Person aber kein einziges Mal erreichen. Erschöpft sank ich zu Boden. Ich schloss meine Augen und spürte die Welt um mich. Da legte sich eine große Hand auf meine Schulter und ich erschrak.

„Shhh....Yuki...alles ist gut, nur ein Traum."

Sofort riss ich die Augen auf und analysierte meine Umgebung. Bis eben war mir, als ob jemand meinen Kopf gestreichelt hätte und mich beruhigen wollte, doch ich sah niemanden. Als sich meine Sicht klärte, erkannte ich, dass ich in eine weiche, warme Decke eingemummt war und auf ein paar Kissen in einem federweichen Bettchen lag. Ich staunte nicht schlecht als ich mich umsah. Weiße Farbe floss durch das zarte rosa an den Wänden und bildete dabei wunderschöne, leicht wellige, manchmal blumige und sternenhafte Muster. Vereinzelt waren schwarze Pünktchen an die Wände gemalt und zauberten dadurch märchenhafte Gestalten durch das zerstreute weiß an die glatte Wand. Neben mir stand auf einem kleinen Nachtschränkchen im Vintage Stil eine kleine Lampe, die aussah, wie ein Schneeglöckchen und erhellte schwach den Raum. Alles wirkte so schön und friedlich, dass ich plötzlich erschreckt auf quiekte, als ich IHN in einem schicken Anzug, der seine Muskeln perfekt betonte, an der gegenüberliegenden Wand neben der Tür entdeckte. Seine Augen wirkten warm und misstrauisch zugleich, sodass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Als er aber dann einen Schritt auf mich zumachte, bekam ich Panik. Er hatte mich zwar gerettet und das Zimmer war wirklich wunderschön, doch es war immer noch ER. Plötzlich kam mir die Decke nicht mehr weich, flauschig und kuschelig vor sondern eher wie ein Hindernis. Blitzartig befreite ich mich aus ihr, sprang auf und presste mich mit angsterfüllten Augen an die Wand. Die Decke zog ich vor mich und hätte mich am liebsten unter ihr versteckt, weil ich solche Angst vor ihm hatte und ihn nicht sehen wollte. Mein Herz klopfte laut und ängstlich. In der Gegenwart von ihm fühlte ich mich klein und schutzlos, fast wie ein hilfloses Kind.

BlutrotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt