Kapitel 12.

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*POV Stegi*

Das nächste Mal als ich aufwache, ist es deutlich ruhiger im Raum. Bloß noch Tim und meine Mutter sitzen an je einer Seite meines Bettes und halten je eine Hand. Faszinierend, wie verschieden die Hände doch sind. Tims Hand ist etwas rauer und ein ganzes Stück größer, wenn auch nicht so groß, wie man es vielleicht bei seiner Körpergröße annehmen könnte. Die meiner Mutter dagegen sind sehr weich und zart und man kann die Kälte des Eherings spüren. Ihr leises Gespräch verstummt direkt, als sie merken, dass ich wieder wach bin. „Geht es dir besser, Kleiner?", ertönt Tims tiefe Stimme direkt. Ich nicke leicht und drücke seine Hand. „Ich lass dich und deine Mutter denke ich mal eben alleine. Ihr wollt bestimmt auch mal alleine reden." Ich lächele resigniert und Tim steht auf. Nach einer Woche, mit einem Wiedersehen im Krankenhaus ist bestimmt einiges zu sagen. Bevor Tim die Zimmertür hinter sich schließen kann, halte ich ihn auf: „Tim?". Er streckt seinen Kopf, mit den verwuschelten Haaren noch einmal durch die Tür und brummt ein kurzes „Hm?" „Du kommst aber gleich wieder, oder?", frage ich mit großen Augen. Daraufhin verzieht sich sein Mund zu einem Lächeln. „Klar doch, so schnell wirst du mich nicht mehr los. Ich geh solange unten in die Cafeteria und komme dann mit deinem Vater und Mia wieder." Anschließend schließt er die Tür leise und ich wende meinen Blick meiner Mutter zu. Ihr Blick ist unendlich liebevoll und ich kann gar nicht anders, als diesem mit einem Lächeln zu antworten. Sie hebt ihre eine Hand und streicht mir sachte über die Wange, eine typische mütterliche Geste. „Hey, Großer.", flüstert sie. Ihre Hand wandert von meiner Wange zu den Haaren und ihr Lächeln wird trauriger. „Hey, Mama." „Wie geht es dir?", erkundigt sie sich und nimmt ihre Hand herunter, um sie neben mir auf dem Bett zu platzieren. „Die Kopfschmerzen sind besser und-", beginne ich, doch weiter komme ich nicht, weil ich von ihr unterbrochen werde. „Nein, Stegi, das meine ich nicht und das weißt du auch." Ich seufze auf, natürlich weiß ich das. Schon seit der Diagnose hat sie nie gefragt, wie es mir körperlich geht, sondern immer danach, wie ich mit der Krankheit klarkomme und wie es mir psychisch geht. Langsam steigen mir wieder Tränen in die Augen. „Ich weiß einfach nicht mehr, wer ich bin, Mama. Ich schaue in den Spiegel und erkenne mich kaum noch. Es ist nicht lange her, da bin ich noch unbeschwert zur Schule gegangen und jetzt guck mich doch an. Bei allem, was ich erlebe, denke ich darüber nach, dass es jederzeit das letzte Mal sein könnte. Aber mein größte Sorge ist, dass ihr daran kaputt geht." Ich schluchze zwischen meinen Worten immer wieder auf und traue mich nicht meiner Mutter in die Augen zu sehen, bis sie mit ihrer Hand unter mein Kinn fährt und es sanft mit ihren dünnen Fingern hochdrückt. Auch ihr laufen inzwischen Tränen aus den Augen. Sie beugt sich zu mir und umarmt mich feste. „Ich weiß nicht, was noch kommt und wie unsere Familie das übersteht, aber ich weiß, dass wir es überstehen, genauso wie ich weiß, wer du bist. Du bist mein Stegi und noch immer derselbe, wie vor der Diagnose. Daran darfst du nicht zweifeln, hörst du?", flüstert sie in meine Schulter. Stumm nicke ich und drücke sie weiterhin fest an mich. In diesem Moment merke ich erst, wie sie mir gefehlt hat und ich habe plötzlich das Gefühl ihr etwas antworten zu müssen. „Danke, für alles. Dafür, dass du immer für mich da warst und die richtigen Worte findest, die mich immer wieder aufs Neue aufbauen. Ich hab dich lieb, Mama." Nun ertönt auch ein Schluchzen an meiner Schulter und ich höre ein noch viel leiseres: „Ich hab dich auch lieb, mein Großer. Und ich bin so stolz auf dich.". Die Minuten verstreichen und keiner von uns beiden lässt den Druck der Umarmung nach. Tröstende Stille erfüllt den Raum, bis wir leise die Stimmen und Schritte meiner restlichen Familie und Tim den Gang heraufkommen hören.

Als die Tür aufgeht und Tim sich, reg mit Mia, meiner Schwester, unterhaltend und mit meinem Vater im Schlepptau hereinkommt, sitzt meine Mutter wieder auf ihrem Stuhl zu meiner Linken und ich habe mich wieder in das Kissen gelehnt. Den Rest des Tages verbringen wir in meinem Zimmer und hier und da verlässt einer den Raum, um uns etwas zu essen oder zu trinken zu holen oder eine Krankenschwester kam, um das Schmerzmittel zu wechseln. Ab und zu hat mein Besuch sogar Erfolg mit ihren dauernden Aufheiterungsversuchen, sodass wir auch mal lachen und die Krankheit fürs erste in den Hintergrund schieben können. Tim versteht sich ausgesprochen gut mit meiner Familie und auch, wenn er sie erst vor kurzem kennengelernt hat, scheint er sich erstaunlich wohl in ihrer Umgebung zu fühlen.

Stexpert ~ FreundeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt