2. Kapitel

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Also gut... Ich hatte mit Cassy rumgeknutscht. Und nicht nur einmal an diesem Abend... Es war schon drei Tage her, dass ich sie in der Bar kennen gelernt hatte.

Wir hatten die ganze Nacht geredet, getrunken und geknutscht. Der Abend mit ihr war so schön gewesen. Ich hatte mich bei ihr so wohl gefühlt. Sie war so ein offener Mensch, der mir schon nach einigen Stunden seine komplette Lebensgeschichte lückenlos erzählt hatte. Ich fragte mich, ob sie sich jedem so schnell anvertraute, oder ob das an mir lag.

Wollte ich, dass es an mir lag? Was erwartete ich mir eigentlich von dieser Geschichte?

So um drei Uhr morgens hatte ich gesagt, ich müsste jetzt nach Hause gehen. Daraufhin hatte sie erwidert, sie wohnte ganz in der Nähe und ich könnte gerne bei ihr übernachten. Noch bevor ich dazu fähig gewesen war, mich aus meiner Paralyse zu rühren, sagte sie: "Das war jetzt  wirklich übertieben von mir. Tut mir leid."

Zum Abschied hatte sie mir noch einen langen Kuss gegeben, den ich sehr genoss.

Das alles war nun drei Tage her. Seit diesem Abend hatte sie sich nicht mehr gemeldet.

Wollte ich überhaupt, dass sie sich meldete? Als Single hatte ich schon einiges an Rumgeknutsche mit Männern, die ich am selben Abend kennen gelernt hatte, gehabt. Damals hatte ich gar nicht erst darüber nachgedacht, ob ich sie wiedersehen wollte, oder ob sie sich bei mir melden würden. Ich musste damit aufhören, diese Situation anders zu betrachten, nur weil Cassy eine Frau war!

Homosexualität... nein, ich war doch keine Lesbe... Also, gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten sind im 21. Jahrhundert doch längst kein gesellschaftliches Tabuthema mehr! Das ist etwas ganz Natürliches und Normales! Dieser Meinung war ich schon immer gewesen. Warum sah ich es ausgerechnet jetzt, da ich selbst in dieser Lage war, so anders? Welche verkorkste Art von Vernunft sprach aus mir, wenn ich doch zuvor mit dem Thema immer ganz gut zurechtgekommen war?

Ich musste mir eingestehen, dass ich die Situation als Ganzes zu ernst nahm. Ich stellte mich so an, als wären wir ein homosexuelles Paar, das verzweifelt versuchte, vom Rest der Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Dabei hatten wir doch nur ein bisschen rumgeknutscht!

Meine Güte, Leila, du kannst schon verdammt spießig sein!

Ich musste es einfach mal locker angehen und den Abend mit Cassy als Abwechslung betrachten. Als kleines Abenteuer, das mich erfolgreich vom Ende meiner Beziehung abgelenkt hatte.

Ich hätte Cassy dafür dankbar sein sollen, dass sie mir einen schönen Abend bereitet hatte.

Scheißegal, ob sich Cassy meldete oder nicht, ich hatte meinen Spaß gehabt und war nun um eine Lebenserfahrung reicher.

In dem Moment, da ich dies dachte, bellte ein Hund zweimal - es war das Nachrichtensignal für SMS auf meinem Handy.

Ich nahm es vom Tisch, entsperrte es und sah eine unbekannte Nummer. Mit aufgestellten Nackenhaaren las ich den Text der Nachricht:

"Hallöchen, Zuckerstück! ♡
Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt bei dir melde. Hatte viel zu tun.
Hast du heute Abend vielleicht Lust auf einen Kaffee und einen Film? ♡
Ein Nein akzeptiere ich nicht ;)
xoxo Cassy ♡"

Gebannt starrte ich auf das Display meines Handys. Hatte ich wirklich gerade eine Nachricht von ihr bekommen? Du lieber Himmel, wie sollte ich darauf bloß reagieren?

In all der Aufregung war mir gar nicht aufgefallen, dass der Professor vorne am Pult schon zum vierten Mal meinen Namen sagte.

Endlich reagierte ich darauf. "Ja, Professor?"

Dieser sah mich streng an. "Zur Wiederholung: Welche war die Gegenströmung zum Kapitalismus?"

Ich überlegte kurz. "Das war der Marxismus", sagte ich so sicher wie möglich.

Der Professor hob die Augenbrauen. "Sehr richtig. Nun, Sie scheinen wider meines Erwartens doch Multitasking-fähig zu sein", meinte er und setzte seine Vorlesung fort.

Ich seuzfte. Puh, ein Glückstreffer! Das mit meinem angefangenen Wirtschaftsstudium musste ich mir wirklich noch einmal gut überlegen...

Meine Gedanken kehrten sofort wieder zu Cassy zurück. Mit zittrigen Fingern tippte ich:

"Hi! ♡
Ja klar, gerne! Wann und wo?
XX Leila"

Zur Korrektur: Es war nicht scheißegal, ob sich Cassy meldete oder nicht. Ich wollte noch mehr Spaß haben und würde mich sicher nicht mit nur einer neuen Lebenserfahrung zufrieden geben!


CassyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt