37. Kapitel

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Man kann sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert wir alle waren. Endlich war der Kampf vorbei und wir hatten ihn gewonnen.

Nach der Gerichtsverhandlung gingen wir alle gemeinsam feiern. Wir saßen in einer gemütlichen Bar und unterhielten uns. Amelia war noch völlig mit den Nerven am Ende. Es hatte ihr viel Kraft abverlangt, ihre grausame Geschichte vor Gericht zu erzählen. Sie sagte uns auch, dass sie das Angebot des Richters - eine therapeutische Unterstützung - gerne annehmen werde. Damit war sie die einzige. Emma, Julia und Cassy fühlten sich zwar noch immer unwohl, aber Weber hatte sie bei weitem nicht so sehr geschädigt wie Amelia.

"Und was habt ihr jetzt vor?", fragte ich in die Runde. "Wollt ihr weiterhin im Kindergarten arbeiten?" 

Reihum sahen sich die Kolleginnen an. Sie wussten es wohl noch nicht so genau. Cassy antwortete als erste: "Ich will dort nie wieder hin. Auch wenn sie Weber rauswerfen und er ins Gefängnis kommt. Ich verbinde mit diesem Ort zu viele schlechte Erinnerungen." Amelia nickte. "Ja, das geht mir genauso." Emma und Julia sahen sich an. "Eigentlich habe ich immer gern im Kindergarten gearbeitet. Und wenn dieses Ekelpaket endlich weg ist, sehe ich keinen Grund, nicht dort zu bleiben", meinte Julia. Emma stimmte ihr zu: "Das finde ich auch. Immerhin bin ich noch nicht so lange dort und ich kann mir vorstellen, dass es schwierig wird, so bald etwas Neues zu finden." Auf ihre eigene Weise hatte jede von ihnen Recht. Ich konnte die Ansichten aller verstehen.

"Und was wollt ihr beide dann machen?", fragte ich Cassy und Amelia. Sie dachten kurz nach. "Naja", begann Cassy. "Ich bin Kindergartenpädagogin. Das habe ich gelernt und ich glaube, ich kann auch gar nichts anderes tun. Dass ich nicht mehr in diesem Kindergarten arbeiten will heißt nicht, dass ich nicht in einem anderen Kindergarten arbeiten werde... Am liebsten würde ich mich selbständig machen und meinen eigenen Kindergarten eröffnen." Wir sahen sie alle mit großen Augen an. "Deinen eigenen Kindergarten?", fragte Dean. "Das ist verdammt viel bürokratische Arbeit", fügte Sam hinzu. Cassy grinste. "Naja, ich hab doch jetzt einen vorzüglichen Rechtsbeistand", sagte sie. Dean schmunzelte. "Aber Cassy, da gibt es schon einige Dinge zu regeln, die sich außerhalb meines Zuständigkeitsbereiches abspielen. Zum Beispiel die Buchhaltung und Steuergeschichten." 

Sam duckte sich ein kleines bisschen und blickte verstohlen durch den Raum. Cassys Augen weiteten sich. "Sag bloß! Du bist Buchhalter!", sagte sie und zeigte dabei auf Sam, der sich nun die Hände vors Gesicht hielt. "Masterabschluss in der Mindeststudienzeit mit ausgezeichnetem Erfolg", fügte Dean schelmisch grinsend hinzu. "Oh Gott, bitte haltet mich aus euren Machenschaften heraus", wimmerte Sam. Cassy sah ihn entsetzt an. "Was denn? Du willst einer jungen, attraktiven Frau, die unter menschenverachtenden Umständen ihren Lebensunterhalt verloren hat, nicht dabei helfen, den Olymp der Selbständigkeit zu erklimmen?" Wie dramatisch sie doch sein konnte...

"Oh, wie ausschweifend", flötete Dean. Dann wandte er sich seinem Freund zu. "Wir haben uns drei Monate für die Radtour nach Rom frei genommen. Genug Zeit hätten wir jedenfalls." Sam seufzte. "Das dauert doch alles viel länger als drei Monate. Wir brauchen mal ein Geschäftslokal, das wir anmieten, dann muss alles eingerichtet werden, ein Kredit muss her, die ganzen Bewilligungen von den Ämtern. Wir haben wirklich viel Arbeit vor uns." 

"Wir?", entgegnete Cassy mit einem Lächeln. Sam schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Er atmete tief ein und aus. Dean klopfte ihm auf die Schulter. "Ich kann dir ja ein paar Tipps geben", meinte Sam und stieß ein verzweifeltes Kichern hervor. "Also wenn du das wirklich durchziehst, werde ich sicher bei dir arbeiten", sagte Julia. "Wenn du Verstärkung brauchst, bin ich auch dabei", pflichtete Emma ihr bei. Nur Amelia sagte nichts. Ich glaubte, sie wollte überhaupt nicht mehr als Kindergärtnerin arbeiten. Dean bestellte noch eine Runde. 

Kurze Zeit später hatten sich Cassy und Sam auf den Tisch nebenan gesetzt, die Köpfe zusammengesteckt und fachsimpelten über die Eröffnung eines eigenen Kindergartens. Sam erklärte ihr, welche Bewilligungen sie brauchte und welche Auflagen sie als Geschäftsführerin zu erfüllen hatte. Unternehmensgründung war das Thema seiner Masterarbeit gewesen. Tja, das Leben ist doch voll von Zufällen! Sie unterhielten sich angeregt und notierten alles auf einem kleinen Kellnerblock.

Währenddessen redeten Emma und Amelia miteinander. Es kam mir so vor, als würde Dean mit Julia flirten. Ich blickte nur stumm in meinen Sex on the Beach und rührte mit dem Strohhalm um, bis sich Dean schließlich wieder mir zu wandte. "Sag mal, wie ernst ist das mit dir und Cassy jetzt eigentlich?", fragte er. Ich fühlte mich ein wenig überrumpelt von einer solch direkten Frage. "Naja...", entgegnete ich. "Wir sind schon zusammen. Also, wir sind ein Paar." 

Dean nickte. "Es gibt verschiedene Arten von Paaren. Seid ihr so ein Paar, von dem die engsten Freunde wissen, dass sie Sex miteinander haben; oder seid ihr so ein Paar, das seinen Beziehungsstatus auf facebook geändert hat; oder seid ihr so ein Paar, das gemeinsam zum Weihnachtsessen der Familie erscheint?" Ich schluckte. Das wusste ich nicht so genau. "Also unsere Familien wissen noch nichts davon", gab ich zu. Dean hakte nach: "Noch nicht? Also habt ihr vor, es ihnen zu sagen?"

"Naja, um ehrlich zu sein, ist es bis jetzt noch nicht zur Sprache gekommen, ob wir es ihnen sagen."

"Willst du das denn?"

"Ich... Ich glaube schon..."

Dean warf mir einen vielsagenden Blick zu. "Dann solltet ihr das vielleicht tun." Ich nickte. Das war wirklich noch ein offener Punkt auf unserer Liste. In dem Moment, als ich das dachte, klingelte mein Handy in meiner Tasche. Ich holte es heraus. Die Nummer war mir unbekannt. Ich hob ab. "Hallo?", sagte ich mehr fragend als sagend. 

Eine energische Frauenstimme meldete sich. "Guten Tag, hier spricht Laura Moors vom Tagesblatt. Spreche ich mit Leila Hennes?"

"Ähm... ja, das bin ich."

"Sehr schön! Hören sie, Frau Hennes, wir haben Ihren Fall mitbekommen. Die Gerichtsverhandlung gegen den Kindergartenleiter, der seine Mitarbeiterinnen unpässlich behandelt hat. Nun, das hat unser Interesse geweckt. Es ist wirklich beeindruckend, wie Sie sich gewehrt haben und auch die Hintergrundgeschichte Ihrer Beziehung mit Frau Loveday ist bezaubernd. Wir wollen diese inspirierende Story veröffentlichen und bitten Sie beide um ein Interview bei uns in der Redaktion."

Mir fiel die Kinnlade herunter. Was hatte sie da eben gesagt?

"Stimmt etwas nicht?", fragte Dean, als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah. Ich winkte ab.

"Äh.... ähm... Moment bitte, ich muss erst mal Cas- Frau Loveday - fragen", sagte ich schnell und erhob mich von meinem Sessel.

Ich schaltete mein Handy auf stumm und riss Cassy mit einem Stupser auf ihre Schulter aus der Konversation mit Sam. "Was gibt's denn?", fragte sie. "Am Telefon ist eine Frau von der Tageszeitung. Sie will unsere Geschichte drucken. Wir sollen ihr ein Interview geben", antwortete ich. Cassys Augen weiteten sich. "Nicht dein Ernst!" Ich antwortete mit einem energischen Nicken. 

"Sie will unsere Geschichte in die Presse bringen? Es wissen doch nicht mal unsere Eltern davon", murmelte sie in leiser Hysterie. "Sie sagte, unsere Geschichte sei inspirierend", sagte ich. Cassy überlegte kurz. "Hm... Vielleicht können wir damit anderen Frauen helfen, die in der gleichen Situation sind..." Sie sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern. "Wir sollten das machen", meinte sie. Ich nickte.

Zurück am Telefon sagte ich: "Gut, wir stehen Ihnen gerne zur Verfügung."

"Wunderbar! Großartig! Haben Sie etwas zu schreiben in der Nähe? Ich gebe Ihnen gleich einen Termin."

...

Naja, blieb uns jetzt überhaupt noch etwas Anderes übrig, als es allen zu sagen? 



CassyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt