11. Kapitel

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Tja, ungefähr so ging die Geschichte dann weiter... Wir trafen uns oft und unternahmen viel gemeinsam. Cassys Wohnung wurde sozusagen zu unserer Kuschelhöhle - jugendfrei ausgedrückt. Wir waren doch auch nur Menschen mit ihren ureigensten natürlichen Bedürfnissen.

Bei ihr zu Hause waren wir fast die ganze Zeit nackt. Ich habe wirklich keine Ahnung, was mit uns los war. Sie hatte es geschafft, mich zum Exhibitionisten zu machen. Ich fühlte mich zum ersten Mal wohl im Evakostüm. 

Cassy war meine beste Feundin. Wow, das hört sich schon ziemlich krank an. Es ist schwierig zu beschreiben. Cassy war für mich der Inbegriff von Liebe. Aber ich liebte sie nicht...

Okay, neuer Versuch: Cassy konnte einfach alles. Sie konnte sowohl unterstützend als auch kritisierend sein. Sie konnte einem helfen und auch selbst zugeben, dass sie Hilfe brauchte. Sie liebte Romanzen genauso wie Thriller. Sie wusste sich zu stylen und bevorzugte aber auch oft den Schlabberlook. Sie konnte niedlich wie ein Kleinkind und auch verrucht wie eine Hure sein. - das schwankte bei ihr oft.

Es gab so viele kleine Dinge, die ich an ihr einfach bezaubernd fand. Sie konnte gut kochen, war aber oft zu faul dazu oder hatte keine Lust. Dann bestellte sie Essen beim Lieferservice, an dem sie immer etwas auszusetzen hatte, egal, wo wir bestellten. Danach kochte sie erst wieder selbst und trauerte dem Geld nach, das sie sich ersparen hätte können.

Sie sang bei jedem Film die Anfangsmusik von 20th Century Fox mit, auch wenn der Film gar keine Produktion dieser Firma war.

Sie kaufte immer Deko für ihre Wohnung. Wenn sie Lebensmittel einkaufen ging, kam sie immer mit mindestens zwei Packungen gemusterten Servietten und einer bunten Duftkerze nach Hause. Einmal waren wir bei einem Chinesen, um uns gebratene Nudeln zum Mitnehmen zu holen und Cassy kaufte dem Ladenbesitzer allen Ernstes die goldene Winkekatze ab. Man merkte, dass ihr das Spaß machte. Ein Tag mit Cassy bei IKEA war ungefähr so aufregend wie ein Jahr mit Alice im Wunderland.

Sie liebte auch Tiere, aber in ihrer Wohnung waren keine Haustiere erlaubt. Manchmal besuchte sie mit Freunden ein Tierheim, um mit ein paar Hunden spazieren zu gehen.

Ich kannte ihre Freunde nicht. Unsere "Beziehung" war zwar nicht geheim - wir taten schließlich nichts Verbotenes - aber ich hatte bislang noch niemandem davon erzählt. Ich bezweifelte auch, dass sie es bereits jemandem gesagt hatte.

Einmal, als ich bei ihr übernachtete und wir kurz vorm Einschlafen im Bett lagen, fragte sie: "Wann stellst du mich eigentlich deiner Familie vor?"

Ich erschrak und fuhr wild herum. Cassy lachte. "Ich verarsch dich doch nur! Meine Güte, Leila."

Ich seufzte. "Puh! Hast du mich erschreckt!"

Cassy gluckste. "Das wäre wirklich das Letzte, worum ich dich bitten würde."

Ich überlegte einen Augenblick. Meine Eltern waren zwar schon beide über fünfzig, aber nicht allzu konservativ. "Ich glaube, sie würden es am Anfang seltsam finden, sich aber nach einiger Zeit daran gewöhnen."

Cassy sah mich verdutzt an. "Wirklich?" Ich nickte.

"Wow. Meine Eltern sind erzkonservative Christen. Die würden mich enterben!", meinte sie daraufhin.

"Im Ernst?", fragte ich schockiert. Sie nickte. "Was hat das denn mit Christ sein zu tun?"

"Naja. Vor der Kirche sind nur Bindungen zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts anerkannt. Daran halten sie sich. Ich wurde auch sehr religiös erzogen", erzählte Cassy.

"Und was denkst du über die Religion in Zusammenhang mit diesem Thema?", fragte ich.

Sie schwieg eine Sekunde. Dann sagte sie: "Ich sagte, die Beziehungen sind vor der Kirche nicht anerkannt, nicht vor Gott. Nach dem, was meine Eltern mir beigebracht haben, bin ich der festen Überzeugung, dass Gott alle Menschen liebt. Er wird da bei nicht-heterosexuellen Menschen keinen Unterschied machen."

Cassy wusste, dass sie nicht Falsches tat und hatte ihren Frieden mit sich selbst und mit Gott gemacht. 

CassyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt