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Ich wage es nicht, mich zu rühren. Alles, was ich tun kann, ist ihn stumm und reglos anzustarren. Ich muss vollkommen bescheuert aussehen, wie ich hier am Fuß der Treppe stehe und einfältig zu ihm hochblicke. Außerdem mache ich äußerlich im Moment bestimmt auch nicht sehr viel her. Meine Haare, Klamotten und das leichte Make-up, das ich heute früh noch schnell aufgetragen habe, sind bestimmt völlig derangiert von dem anstrengenden Flug. Aber warum mache ich mir darüber überhaupt Gedanken? Sollte ich mich nicht lieber erstmal fragen, wem ich da vor der Tür meines neuen Zuhauses gegenüberstehe? Was ist das für ein Kerl? Habe ich Celia etwa gerade auf frischer Tat dabei ertappt, wie sie meinen Vater mit irgendeinem heißen Studenten betrügt? Schließlich ist sie noch nicht so alt und außerdem hübsch genug, um ihr eine Affäre mit einem so jungen Mann zutrauen zu können. Von ihrer Persönlichkeit ausgehend, würde ich sie so jedoch nicht einschätzen. Vielleicht ist Black Beauty also einfach nur irgendein...
"Hhrgh", Black Beauty räuspert sich. "Willst du da noch länger herumstehen und versuchen, Löcher durch mein Hemd zu starren? Brauchst nur was zu sagen, ich zieh es auch gerne für dich aus, Kleine." Um seine Augen spielt ein verschmitzter Zug, in seiner Stimme liegen Spott und Arroganz. Was hat er da gesagt? Ich bin perplex. Eben habe ich noch darüber sinniert, wer er ist und was er hier tut, jetzt kann ich nur geschockt die Augen aufreißen, immer noch, ohne ein Wort zu sagen. Was soll ich auf diese Dreistigkeit auch erwidern? Ja, er sieht gut aus, und ja, ich fühle mich auch etwas ertappt, denn ich bin mir durchaus bewusst, dass ich auf seine Brust gestarrt habe, während ich so in Gedanken vertieft gewesen bin. Aber was bildet sich dieser Kerl ein?
"Danke für das Angebot, aber nein danke. Ich bevorzuge dann doch die vollständig bekleidete Variante. Zumindest bei einem so durchschnittlichen Körper wie deinem. Stünde mir hier ein Channing Tatum oder Scott Eastwood gegenüber, sähe das vielleicht anders aus, aber so...", die Antwort fällt mir etwas spät ein, trotzdem bin ich ganz zufrieden mit dem bisschen Schlagfertigkeit, das ich noch irgendwie auftun konnte. Wer auch immer er ist, er soll bloß nicht denken, dass seine Macho-Sprüche oder dieser Traum von einem Männerkörper mich irgendwie beeindrucken oder aus der Fassung bringen könnten. Obwohl natürlich genau das der Fall ist.
Er kneift leicht die Augen zusammen und unterzieht mich einer sorgfältigen Musterung. Ich winde mich. Was soll das eigentlich? Ich muss endlich mit Celia sprechen, damit ich mein Zimmer beziehen und schlafen kann. Da kommt mir ein Gedanke: Was, wenn ich vor dem falschen Haus stehe, wenn mich der Taxifahrer zur falschen Adresse gefahren hat. Vielleicht gibt es in Baltimore noch eine andere Hull Street. "Wohnt hier nicht Celia Hayes?", hake ich also etwas beunruhigt nach. Ohne auf meine Frage einzugehen, entgegnet er:"Wie heißt du?" Also gut. Was er kann, kann ich schon lange. Anstatt zu antworten, wiederhole ich deshalb:"Lebt Celia hier? Es ist wirklich wichtig!" Er wirkt nicht gerade erfreut über mein Ausweichen und meine Beharrlichkeit. "Jetzt hör mal zu, Kleine, du stehst hier vor MEINER Haustür, also stelle ICH auch die Fragen. Du sagst mir besser, wer du bist, und dann sage ich dir vielleicht, wer in diesem Haus wohnt und wer nicht, klar?" Er klingt bedrohlich und meint es eindeutig ernst. Ich überlege, welche Reaktion nun angebracht wäre.
In diesem Moment öffnet sich im oberen Stockwerk ein Fenster un eine Frau streckt den Kopf heraus. Es ist Celia. Ihre Haare sind in einen Handtuch-Turban gewickelt und ihr Körper offenbar in einen weichen Bademantel gehüllt. Frisch geduscht! Etwa doch eine Affäre? Falls ich, die Tochter ihres Freundes, aber gerade ihrem heimlichen Lover begegnet bin, wirkt sie auf mich doch ein wenig zu  gelassen. "Hallo Bay, Liebes. Schön, dass du endlich da bist. Komm rein.", sie wirft dem Jungen, der immer noch auf der Treppe über mir steht, einen auffordernden Blick zu, "Hunter soll dein Gepäck tragen und dir dein Zimmer zeigen. Dann ziehe ich mich in der Zwischenzeit an. Wir sehen uns gleich drin.", lächelnd schließt sie das Fenster wieder. Hunter? Der Name sagt mir etwas. Celia hat einen Sohn. Einen Sohn namens Hunter. Aber...Celia ist selbst erst siebenunddreißig. Und dieser Typ hier - ich werfe erneut einen Blick auf ihn - ist bestimmt schon über zwanzig. Erstmals kommt Bewegung in ihn. Er kommt auf mich zu, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Unten angekommen, greift er wortlos nach meinem Koffer und dreht sich wieder um. Als wöge dieser überhaupt nichts, läuft er in männlicher Anmut vor mir die Treppe hinauf. Er sagt noch immer nichts. Schließlich kommt ihm ein gedehntes "Also" über die Lippen, und dann:"Celia wohnt hier, wie du siehst." Ich muss über seinen Widerwilligen Tonfall schmunzeln. "Also, ich heiße Bay, wie du gehört hast.", ahme ich ihn nach.

Stepbrother dearestWo Geschichten leben. Entdecke jetzt