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Ich kann Hunter unten im Haus hören. Wahrscheinlich trifft er gerade letzte Vorbereitungen für seine Party. Aber ich habe mir vorgenommen, ihm heute und am besten auch in den kommenden Tagen aus dem Weg zu gehen. Er hat einfach nichts Nettes zu sagen und darauf kann ich gut verzichten. Ich lenke mich eine Weile von den Grübeleien über seine fiesen Kommentare ab, indem ich durch eine alte Zeitschrift blättere, die ich mir am Londoner Flughafen gekauft habe. London. Ich vermisse die Stadt. Ich vermisse meine Mutter. Meine Mutter, die London geliebt hat und dort begraben liegt. Die verdrängte Trauer über den Verlust steigt in mir hoch und ich kann nicht verhindern, dass sich Tränen in meinen Augen sammeln. Meine Emotionen überwältigen mich. Ich bin unsagbar traurig, aber genauso wütend, verletzt und einsam. Unten dreht mein Stiefbruder, der an diesem unbeherrschten Gefühlsausbruch keineswegs unschuldig ist, gerade die Verstärker der Musikanlage auf. Die Melodien wummern durch Wände und Böden, ich kann den Bass unter meinen Füßen vibrieren spüren. Mit einem dramatischen Seufzen werfe ich mich bäuchlings auf die Matratze und presse das Kissen auf meine Ohren. So liege ich da, bis sich meine Atmung beruhigt und ich meine Beherrschtheit wiedererlangt habe. Frustriert setze ich mich wieder auf. Inzwischen muss das Haus voller Leute sein. In der Hoffnung, dass die Party sich noch nicht in den oberen Stock ausgeweitet hat, verlasse ich mein Zimmer, um im Bad die Tränenspuren von meinem Gesicht zu waschen. Ich habe Pech, der Flur ist voller Leute, Pärchen lehnen knutschend an den Wänden, besoffene Kerle verschütten ihre Drinks auf dem Teppich, Mädchen posieren in ihre Handykameras. Am liebsten würde ich mich einfach wieder umdrehen und zurück in die Sicherheit meines Zimmers flüchten. Aber das geht nicht. Es wäre genau das, wozu Hunter mich bringen will. Und das kann ich ummöglich zulassen. Also laufe zielstrebig zum Ende des Flurs und drücke die Klinke der Badezimmertür nach unten. Sie ist verschlossen. Ich klopfe mit der Faust dagegen. Als Antwort höre ich zunächst ein weibliches Kichern, dann eine dunkle Männerstimme. Was zur Hölle treiben die denn da drin? Jemand dreht von innen am Schlüssel und im nächsten Moment schwingt die Tür auf. Ich finde mich Hunter gegenüber, der seinen Arm um die Taille eines blonden, offenbar völlig fertigen Mädchens gelegt hat, das sich ohne seine Unterstützung kaum mehr auf den Beinen halten kann. Was für ein Gentleman! Zuerst füllt er sie ab, schleppt sie auf die Toilette und letztendlich kann ihm doch nichts vorwerfen, weil er sich so rührend um sein Opfer kümmert. "Lass mich durch, Hunter!" Er mustert mich kurz, aber eingehend. In einer einzigen, fließenden Bewegung schiebt er das andere Mädchen an sich vorbei auf den Gang, packt mich an der Hüfte und zieht mich so in den engen Raum. Er verriegelt die Tür ohne sich dabei von mir abzuwenden. "Du hast geweint.",stellt er in nüchternem Tonfall fest. Viel zu direkt für meinen Geschmack. "Ja", ist alles was ich herausbekomme. "Warum?" Meine Güte, das geht ihn doch nichts an, er mag mich nicht und ich werde ihm garantiert nichts liefern, was er später todsicher gegen mich verwenden wird. "Geht dich nichts an." Er ignoriert meinen zynischen Unterton und wiederholt:"Warum hast du geweint?"
"DAS GEHT DICH NICHTS AN!", ich versuche meine Stimme gedämpft zu halten, aber sie wird gegen Ende des Satzes immer schriller. Jetzt sieht auch er leicht genervt, nein, verzweifelt, aus. Er ist verzweifelt, weil ich ihm nicht sagen will, warum ich geweint habe? Hunter macht einen Schritt auf mich zu, was bei seiner Beinläge und den winzigen Ausmaßen dieses Zimmers viel heißen mag. Ich weiche unbewusst vor ihm zurück. Er wiederholt seine Taktik. Ich ebenfalls. Bis ich das kalte Keramik des Waschbeckens in meinem Rücken spüre. Ich kann nicht weiter und als Hunter das klar wird, grinst er diabolisch. Er hat mich erfolgreich in die Enge gedrängt und denkt wahrscheinlich, dass ich jetzt auch seinen Fragen nicht länger ausweichen kann. Ich blicke mich zur Seite um, vielleicht kann ich ihm ja so doch noch entwischen. Aber mein Stiefbruder scheint das zu bemerken und platziert seine Hände links und rechts von meinem Körper auf dem Waschbecken. Ich bin eingekeilt, kann ihm nicht entkommen, und er weiß es. "Hab ich dich! So, und jetzt sag mir sofort, warum du geweint hast. Vorher lasse ich dich hier nicht weg." Er spielt offenbar mit mir, hat Spaß daran, mich zu verwirren. Aber dennoch wirkt seine Beharrlichkeit ehrlich und ernst gemeint. Er will es wirklich wissen. "Wegen..." Hunter greift mein Kinn und zieht es nach oben, sodass ich ihm in die Augen sehen muss. Ein Kribbeln durchzieht meinen Körper. Hunter ist mir so nah, dass ich seinen Atem über mein Gesicht streichen spüre. "Wegen mir?", versucht er den Satz zu beenden. Scheinbar liest er in mir wie in einem offenen Buch. "Nein. Nicht nur. Auch. Aber...", stammele ich. Er zieht scharf die Luft ein. Habe ich ihn verärgert? Oder, nein...Hunter schließt mit einem weiteren kleinen Schritt die verbliebene Lücke zwischen uns und drängt seine Hüften gegen mein Becken. Ich reiße die Augen auf, als er hart gegen meinen Unterleib drückt. Er ist nicht verärgert, sondern offenbar erregt. Vielleicht beides. Aber eindeutig erregt. Und seine harte Errektion presst sich gerade gegen mich. Ich keuche auf. Meine Atmung wird flach, mein Körper reagiert in derselben Weise auf ihn, wie er auf mich. Er spricht jetzt ganz dicht an meinem Ohr:"Nicht nur? Warum noch? Verrat es mir." Ich starre ihn an. "Ein Andermal", flüstere ich zurück. "Jetzt", sagt er mit drohender Stimme und beginnt gleichzeitig, sich aufreizend an mir zu reiben. Ich habe so etwas noch nie zuvor gefühlt. Und ich kann nur schätzen, dass es sich bei diesem angenehmen Ziehen in meinem Unterleib und dem unruhigen Flattern meiner Nerven um Lust handelt. Pure, sexuelle Lust. Auf meinen Stiefbruder, der sich mir gegenüber aufführt, wie der letzte Arsch. Aber ich kann diese Spannung, die zwischen uns in der Luft vibriert nicht leugnen. Ich bin aufgeregt, kann nicht klar denken, weiß nicht, was hier gerade passiert. Alles was ich weiß ist, dass er mich ohne Zweifel anmacht, und ich ihn.

Stepbrother dearestWo Geschichten leben. Entdecke jetzt