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"Bay", wie er leise und mit rauer Stimme meinen Namen ausspricht, fühlt es sich fast wie eine sanfte Liebkosung an. Aber nein, als sanft würde ich Hunter Hayes nun wirklich nicht bezeichnen. Im Gegenteil, Worte wie grob, kräftig und meinetwegen auch sexy werden ihm viel eher gerecht. In der Mitte des Flurs der oberen Etage bleibt er so plötzlich stehen, dass ich nur knapp verhindern kann, gegen seinen breiten Rücken zu laufen. Blitzartig dreht er sich um und wegen des Beinahe-Zusammenpralls trennen unsere Körper nur wenige Zentimeter. Erst jetzt merke ich, wie groß er ist. Er überragt mich um einen ganzen Kopf und ich muss zu ihm aufschauen. Weil ich mir schlagartig seiner unmittelbaren Nähe und der von seinem Körper ausgehenden Wärme bewusst werde, mache ich einen zaghaften Schritt nach hinten. Besser! Ich vergrößere den Abstand zwischen uns weiter, bis ich wieder in der Lage bin, klare Gedanken zu fassen. Was ist nur mit mir los? Ich deute mit dem Kopf in Richtung der Tür, vor der wir stehen geblieben sind. "Ist das da mein Zimmer?" Er sieht mich durchdringend an. Seine Antwort überrascht mich:"Nein, das ist meins!" Was soll ich vor seinem Zimmer? Er scheint meine Verwunderung zu bemerken, denn er setzt ein überlegenes, fast höhnisches Grinsen auf. " Nicht, was du denkst, Kleine.", sein Blick schweift über meinen Körper und wieder zurück zu meinem Gesicht, "Nein, bestimmt nicht, was du denkst." Mein Gesichtsausdruck entgleist. Was soll das denn heißen? Findet er mich nicht attraktiv genug? Nicht gut genug für ihn? Halt, Hunter ist so etwas wie mein Stiefbruder, also sind Gedanken wie Bin ich hübsch genug für ihn? ohnehin vollkommen unangebracht. Warum stört mich die Vorstellung, er könnte mich für hässlich halten, dann trotzdem so sehr? Ist das wirklich bloß verletzter Stolz oder ist es, weil er scheinbar in meinen Kopf gesehen hat und erkannt hat, dass meine Vorstellung von ihm und mir in seinem Zimmer in weniger jugendfreie Gebiete abrutschte?
Hunter reißt mich wieder einmal aus einem Gedankenschwall, indem er mich an den Oberarmen packt, für einen Moment vom Boden anhebt und in entgegengesetzte Richtung gedreht wieder abstellt. "Das", er macht eine Geste auf die Tür gegenüber seines eigenen Zimmers, "ist dein Zimmer." Abwartend blickt er auf mich herab. Als ich nichts erwidere, beginnt er zu sprechen:"Erwarte nicht, dass ich dir beim auspacken helfe. Ich hab besseres zu tun, klar?" "Okay", sage ich, denn alles was ich will, ist in meinem Zimmer die Musik aufzudrehen und mich auf das Bett zu werfen. Er fährt fort:"Hier die Regeln: Mein Zimmer ist tabu für dich, das Bad ist neben dem Treppenaufgang. Das müssen wir uns teilen. Wehe du vergreifst dich an meinen Sachen."
Wieder ist meine Antwort ein gedehntes "Ooo-kaay". "Komm mir ganz einfach nicht in die Quere, vor allem wenn ich Freunde da habe. Ich habe keinen Bock auf eine nervige kleine Schwester, die mich zu jeder Gelegenheit bei Mami und Papi verpetzt, also versuch es gar nicht erst! Du würdest es bereuen." Droht er mir etwa? Inzwischen bin ich selbst total genervt von ihm. Ich hatte nicht vor, ihn in irgendetwas hineinzureiten. Beleidigt zische ich nur:"Ist noch was? Oder darf ich jetzt endlich da rein?" Er deutet mit offener Handfläche auf meine Zimmertür. Ich öffne sie, nehme den Koffer in die Hand und schlage die Tür mit etwas mehr Nachdruck als beabsichtigt hinter mir zu.

Stepbrother dearestWo Geschichten leben. Entdecke jetzt