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Es klopft leise von außen an meine Tür. Ich stelle die Lautstärke der Musik herab und rufe "Komm ruhig rein!". Celia steckt ihren Kopf durch den Türspalt. Dann schiebt sie ihren ganzen Körper ins Zimmer und tritt an mein Bett. Ich klopfe neben mir auf das Laken und sie setzt sich zu mir. "Hallo du! Es freut mich so, dich endlich auch mal wirklich zu treffen. Und du bist noch sehr viel hübscher als auf meinem Computerbildschirm." Sie grinst mich freundlich an. Ihre liebenswerte Art ist genau das, was ich nach der verunsichernden Begegnung mit ihrem Sohn, gebrauchen kann. "Hunter ist heute Abend mit Freunden unterwegs. Ich hoffe, er war nicht unhöflich dir gegenüber. Seine Umgangsformen lassen leider etwas zu wünschen übrig. Aber ich befürchte, für neue Erziehungsansätze ist es bei ihm schon zu spät." Damit weckt sie mein Interesse. "Wie alt ist Hunter denn?", frage ich.
"Einundzwanzig. Er studiert an der University of Baltimore. Deshalb wohnt er auch noch hier.", Celia lächelt mich wissend an, "Ich war sechzehn, ein Jahr jünger als du jetzt, als ich schwanger wurde. Es war natürlich nicht geplant. Und sein Vater war bloß irgendein Arsch aus der Highschool. Aber Hunter ist eine der großartigsten Sachen, die mir im Leben passieren konnten. Genau wie dein Vater!" Was sie sagt klingt so ehrlich, dass ich sie einfach in den Arm nehmen muss. "Ich bin sicher, das gilt andersrum genauso.", sage ich. "Das wäre schön. Na gut, genug der Rührseligkeiten, kommst du mit runter und hilfst mir, eine Kleinigkeit für uns beide zu kochen? Wie wärs mit Spaghetti alla Hunter e Celia? Hunter und ich haben sie kreiert, als er sieben war. Damals habe ich jeden Abend gekellnert und hatte nicht viel Zeit, aufwendig zu kochen, deshalb mussten wir uns etwas einfaches und schnelles ausdenken." Ich kann mir diese elegante Frau, die in einem so großen Haus lebt, nur schwer als arme Kellnerin vorstellen. Aber Dad hat mir schon erzählt, dass Celia nicht immer wohlhabend war. Das Geld stammt aus ihrer Ehe. Ihr Mann hatte aber irgendeinen Unfall und ist deshalb früh gestorben. Mehr weiß ich nicht darüber, und es erscheint mir unangemessen, sie nach ihrem letzten verstorbenen Ehemann und dessen finzieller Situation zu fragen. Also hüpfe ich schwungvoll vom Bett und rufe fröhlich:"Spaghetti klingen super! Ich bin am verhungern!"

Eine halbe Stunde später sitzen wir uns an dem großen Mahagoni-Esstisch gegenüber, essen köstliche Nudeln mit frischen Kräutern und Tomaten und plaudern über die Pläne für die nächsten Tage. Celia möchte, dass ich die Stadt etwas besser kennenlerne, bevor in einer Woche an der Highschool mein letztes Schuljahr beginnt. "Am besten frage ich Hunter, ob er für dich den Fremdenführer gibt. Er ist noch am ehesten in deinem Alter und weiß, welche Plätze du kennen solltest." Ich schaue erschrocken von meinem Teller auf. Hunter? Oh nein? Das muss wirklich nicht sein! "Vielen Dank, das ist wirklich lieb, Celia. Aber ich denke, spätestens, wenn ich auf der neuen Schule ein paar Freunde gefunden habe, finde ich mich von ganz allein in Baltimore zurecht. Mein Orientierungssinn ist ganz gut.", versichere ich ihr. Das ist eine glatte Lüge. Ich kann kaum rechts und links unterscheiden, und an Straßengabelungen laufe ich grundsätzlich in die falsche Richtung. Aber trotzdem kann ich gut darauf verzichten, dass mich mein eingebildeter Stiefbruder durch die Stadt schleift. Celia wirkt nicht ganz überzeugt, nickt aber. "Es ist schon spät und du bist sicher müde, ich lasse dich jetzt am besten etwas zur Ruhe kommen. Fühl dich hier im ganzen Haus bitte wie zu Hause. Naja, abgesehen von Hunters Zimmer vielleicht.", sie zwinkert mir zu, "Gute Nacht Bay. Wir sehen uns morgen früh. Hunter besorgt Frühstück." Damit geht sie aus der offenen Küche. Ich bleibe noch kurz sitzen, dann stehe ich auf und gehe zurück in mein Zimmer. Die Müdigkeit überkommt mich erneut und ich lasse mich erschöpft auf das Bett fallen.

Stepbrother dearestWo Geschichten leben. Entdecke jetzt