So bequem meine Position, in der ich in Hunters Schoß eingeschlafen bin, auch gewesen sein mag, wecken mich nun doch meine verkrampften Muskeln und eingeschlafenen Gliedmaßen auf, nachdem sie sich bestimmt drei Stunden nicht geregt haben. Als ich zu meinem lebendigem Kissen aufsehe, muss ich feststellen, dass auch ihn die Müdigkeit überkommen hat. Ich würde gerne noch länger so verharren und seinen friedlichen Gesichtsausdruck beobachten, weshalb ich meinen Körper wirklich verfluche, der mir erneut schmerzlich mitteilt, dass es Zeit für etwas Bewegung ist. Ich versuche beim Aufstehen, Hunter nicht zu stören. Unter Anderem auch deshalb, weil ich gerade nicht mit einem weiteren Stimmungsumschwung seinerseits umgehen kann. Der heutige Tag war einfach. Einfach. Nicht anstrengend wie seine ständigen Anspielungen, seine kleinen Gemeinheiten, oder auch die sexuelle Anspannung, die ich immer wieder zwischen uns spüre. Und ich möchte nicht, dass er das gleich wieder zerstört. Nicht heute. Ich wünsche mir, dass wenigstens dieser eine Tag EINFACH, unkompliziert zu Ende geht. Also lasse ich den schlafenden Hunter auf der Couch zurück und bereite in der Küche zwei Sandwiches vor. Eins davon für Hunter, falls er später aufwacht und auf dieselbe Idee kommt wie ich: Essen. Danach ziehe ich mich in mein Zimmer zurück. Aber nachdem ich mein kulinarisches Wunderwerk vernichtet habe, weiß ich schon nichts mehr mit mir anzufangen. Ich könnte lesen, zeichnen, Tagebuch schreiben. Aber für all das scheint mir die Ruhe zu fehlen. Also beschließe ich, nach draußen zu gehen. Kurz überlege ich sogar, joggen zu gehen, aber ich sehe mich bereits nach zwei Kilometern keuchend am Straßenrand zusammenbrechen, worauf ich
gerade genauso gut verzichten kann wie auf den "Anti-Hunter". Vielleicht ist es ja ein Fall leichter Schizophrenie, vielleicht leidet Hunter unter einer gespaltenen Persönlichkeit und würde eigentlich dringend in psychologische Behandlung gehören. Unwahrscheinlich, aber durchaus vorstellbar. Bei diesem Gedanken kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Stellt sich natürlich nur die Frage, welches dann Hunters wahres Gesicht wäre, und welches das Alter-Ego.
Kaum dass die Haustür hinter mir ins Schloss gefallen ist, werde ich von erfrischend kalter Luft umfangen. Ich atme ein paar mal tief ein, bevor ich die Treppe hinunter in Richtung Bordstein gehe. Ohne ein bestimmtes Ziel im Kopf laufe ich die Straße entlang und lasse meine Gedanken wandern. Es kommt mir alles so unglaublich klischeehaft vor, das Mädchen mit der toten Mutter, das sich in ihren neuen, gut aussehenden aber ebenso dreisten Stiefbruder verliebt. Nein. Moment. Ich bin nicht verliebt in Hunter. Ganz bestimmt nicht. Nicht nach nur wenigen Tagen, in denen er mich die meiste Zeit vollkommen herablassend behandelt hat. Aber trotzdem lässt sich einfach nicht leugnen, dass ich, leider, auf ihn stehe. Rein körperlich. Denn seine Persönlichkeit lässt nach allem, was ich bisher erlebt habe, deutlich zu wünschen übrig. Er ist erwachsen, verdammt noch mal. Und trotzdem benimmt er sich so oft es nur geht wie ein Zweijähriger in seiner Trotzphase. Nur dass er eben ganz offensichtlich kein Kleinkind ist, nein, Hunter besitzt den Körper eines ausgewachsenen Mannes, mit Muskeln und tiefer Stimme und sexuellen Bedürfnissen.
In dem Moment unterbricht das Vibrieren meines Handys in meiner Hosentasche meinen Gedankenfluss, der gerade dabei war, sich weiter mit Hunters Körper zu befassen, in nicht unbedingt jugendfreien Szenerien. Ich ziehe es heraus und erwarte eine Nachricht von meinem Vater, oder Celia, vielleicht sogar einer meiner alten Freunde aus London auf dem Bildschirm zu sehen. Womit ich nicht rechne, sind die Worte: "Wo bist du?" von einer unbekannten Nummer, wobei ich mir natürlich denken kann, dass die Nachricht von derselben Person stammt, um die meine Gedanken kreisen, seit ich Celias Haus zum ersten Mal betreten habe. Ich tippe: "Weiß nicht", weil ich tatsächlich völlig die Orientierung verloren habe. Aber eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, irgendwo abgebogen zu sein, und ein Blick auf das nächste Straßenschild bestätigt meine Vermutung, dass ich mich immer noch auf der Hull Street befinde. Seine Antwort folgt unmittelbar: "Komm zurück, bevor ich nach deiner Leiche fahnden lassen muss!!" Ich verdrehe die Augen, frage mich aber zur selben Zeit, ob Hunter sich vielleicht insgeheim Sorgen um mich macht. Es dämmert bereits und plötzlich möchte ich selbst auch nichts lieber, als auf schnellstmöglichem Weg zurück zu gehen, bevor die Dunkelheit über diese unbelebte Straße hereinbricht. Zurück zu Hunter. In der Hoffnung, ihn in einer spielerischen, nicht in der gemeinen Stimmung vorzufinden.
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Stepbrother dearest
Romance~Sometimes, all you need is cliché~ Bay hat ihre Mutter verloren. Doch nun hat ihr Vater eine neue Frau, Celia, kennengelernt und zieht mit seiner Tochter zu ihr in die USA. Dort trifft Bay auf Celias Sohn Hunter, der anfangs nicht gerade freundlich...