Kapitel 12

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Ich stieß die Tür mit so viel Schwung auf, dass sie gegen die Wand knallte. Linneya und Allyson zuckten auf dem Sofa zusammen und fuhren herum. "Lucy lebt noch!" rief ich atemlos. Der hasserfüllte Blick der Rothaarigen entging mir nicht. Es verswetzte mir einen kleinen Stich ins Herz, aber ich redete unbeirrt weiter. "Wir müssen etwas tun! Jetzt sofort! Wir haben nicht viel Zeit!" "Woher weißt du das?", fragte Linneya unsicher und erhob sich langsam aus den Kissen. Doch ich sah den kleinen Hoffnungsschimmer in ihren Augen. "Lydia", antwortete ich und berührte den Anhänger. "Sie ... hat mit mir gesprochen." Linneya nickte. "Dann ist es wahr", flüsterte sie. "Allyson es ist wahr! Lucy lebt!" Ein befreites Lachen stieg aus ihrer Kehle. "Du glaubst diesem Geist? Einer Dienerin? Ihrer Dienerin!" Allyson deutete mir einem spitzen Finger auf mich und ihr stehender Blick ließ mich keine Sekunde los. "Sie ist für all das verantwortlich!" Ein empörtes Keuchen entfuhr mir. Heiß und brodelnd stieg die Wut in mir auf. Sie misstraute nicht nur mir, sondern auch Lydia. Dem besten Menschen den ich kannte. Ich zitterte vor Anspannung, aufgestauter Angst, Energie, Hass und Trauer. "Du! Du kanntest sie doch gar nicht! Du hast keine Ahnung! Ich will Lucy nur helfen und genau das solltest du auch tun!" Auch Allyson erhob sich nun,kam auf mich zu und hob drohend die Hände. "Du bist doch Schuld daran, dass das alles passiert ist! Wir hätten dich einfach in diesem Wald liegen lassen sollen. Wir hätten dich sterben lassen sollen!" Mit einem wütenden Schrei zog ich meinen Dolch und... "Aufhören!", ging Linneya dazwischen. "Sofort!" Sie sah jeden von uns eindringlich an. "Das hilft Lucy auch nicht weiter! Wenn sie stirbt während ihr euch hier streitet mache ich euch beide dafür verantwortlich! Dann könnt ihr mit der Schuld und in dem Wissen leben sie hätten retten können und es nicht getan zu haben. Stattdessen benehmt ihr euch wie Kinder! Lasst es gut sein!" Langsam ließ ich die angehaltene Luft entweichen und steckte den Dolch zurück. Allyson ließ die Hände sinken, funkelte mich jedoch immer noch herausfordernd an. "Gut", meinte Linneya und wandte sich dann an mich. "Hat Lydia gesagt was wir tun müssen?" Ich dachte nach. "Ja, sie hat irgendetwas von Magie gesagt. Und dass wir etwas herstellen müssen, was das Gift bekämpft." Ich sah sie unsicher an. "Verstehe"; murmelte sie und sah dann ihre Freundin an. "Allyson, du weißt was du tun musst! Serafina und ich kümmern uns um die richtige Magie!" Sie nahm meine Hand. "Komm." Eilig folgte ich ihr in ihr Zimmer. Dort stellte sie sich vor einen der Schränke, die über und über mit Büchern gefüllt waren und führ mir den Fingern über die Buchrücken. Schließlich fand sie, wonach die gesucht hatte und zog einen der dicken Bände heraus. Zumindest ein Stück weit. Damit, was dann geschah, hätte ich nicht gerechnet. Weiter hinten im Raum ertönte ein leises Klicken und drei oder vier Bücher kippten aus dem Regal. Als ich näher heran trat, sah ich, dass es eigentlich gar keine Bücher waren, sondern eine Art Klappe, die nun nach unten aufgeklappt war und den Blick auf ein Geheimfach freigab, in dem ein einziges, verstaubtes Buch lag. Fasziniert streckte ich die Hand danach aus, zuckte aber sofort wieder zurück, als Linneya plötzlich neben mir auftauchte. Vorsichtig nahm sie das Buch an sich und ging damit zu dem kleinen Tisch in der Raummitte. "Das ist Mithrihin. Eines der sieben Bücher der Magie. Es ist eine große Ehre eines zu besitzen. Ein Privileg. Nun ja zumindest wenn man es überreicht oder geschenkt bekommt. Nicht wenn man es gestohlen hat." Sie lächelte. Ein seltsames Lächeln, dessen Bedeutung ich nicht ganz erfassen konnte. "Wo sind die anderen? Bücher meine ich." Linneya strich liebevoll über den Einband des Buches, der in einen alten, grauen abgenutzten Stoff gewickelt war. "Das weiß niemand so genau. Früher hatte jedes Königreich solch ein Buch. Die Könige bewahrten die Bücher meist in ihren Burgen und Schlössern auf. Irgendwo versteckt. In einer Schatzkammer, einem Geheimen Raum, in einer Bibliothek unter tausend anderen Büchern." Sie deutete um sich. "Sie bekamen sie um sie zu verwahren und gerecht darüber zu entscheiden wer sie lesen darf. Begabte kamen als gern gesehene Gäste an die Höfe um mehr über die helle Magie zu lernen, die zu studieren und mit ihrem neuen Wissen Gutes zu tun. Heute gibt es nur noch fünf dieser Bücher. Nach dem Krieg gegen die Begabten wurden zwei verbrannt. Es gibt Gerüchte, der König der Rysfanden hätte noch eines. Dieses hier ist aus Milandron. Die anderen drei verschwanden spurlos. Keiner hat sie je wieder gesehen." Ein trauriger Ausdruck trat in ihr Gesicht. Es fiel ihr nicht leicht über diese Dinge zu sprechen. Ich kannte die Geschichte des Krieges gegen die Begabten. Mein Vater hatte in der Schlacht gekämpft. Er hatte ihresgleichen ... meinesgleichen kaltblütig ermordet. Bis er meine Mutter kennenlernte. Es gab einige Versionen dieser Geschichte. Eine unwahrscheinlicher als die Andere und in jeder waren die Begabten mordende Monster und die Menschen die Helden, die sie schließlich vertrieben. Doch mein Vater erzählte etwas anderes. Nachdem die Unfälle magischer Art auf der Insel Brachon, auf der das Königreich Athrandor lag immer mehr und schlimmer wurden, begannen die Menschen sich zu fürchten. Und Angst lässt Menschen schlimme Dinge tun. Sie flohen von der Insel und verbreiteten Misstrauen und Hass. Brachon war nun bekannt als - die schwarze Insel, denn nichts war von ihr übrig geblieben als verkohlte Mauern und Asche. Die Menschen begannen Jagt zu machen auf jene die Anders waren. Die sie fürchteten. Mein Vater versuchte den Rat der Könige zu überzeugen, dass sie falsch lagen. Doch er war nur ein König gegen Fünf andere. Der Krieg forderte viele Leben, auf beiden Seiten. Als die Begabten dies sahen zogen sie sich zurück, denn sie wollten nicht noch mehr Tote. Sie zeigten den Menschen, dass sie ihre Kräfte nicht weiter benutzen würden und sie nichts zu befürchten hatten. Als sie sich jedoch zum Gehen wandten und den Menschen den Rücken zu kehrten, sahen diese ihre Chance und griffen erneut an. Es war ein Massaker. Die Begabten wehrten sich nicht, hatten sie doch geschworen ihre Fähigkeiten nicht gegen sie einzusetzen. Und so starben sie. Die, die überlebt hatten flohen in die entferntesten Winkel der Königreiche, wo sie zu Geschichten wurden, die man seinen Kindern abends vor dem Schlafen gehen erzählte. Linneya war inzwischen aufgestanden und hielt das Buch an die Brust gedrückt. "Aber genug davon. Jetzt müssen wir Lucy helfen!" Ich nickte und stand ebenfalls auf. "Wie werden wir das anstellen?", fragte ich. Linneya bedeutete mir ihr zu folgen und erklärte: Allyson braut eine Art Trank zusammen. Dann kommt der schwierige Teil. Wir müssen einen alten Zauber sprechen, der irgendwo in diesem Buch steht. Dann trinkt Lucy den Trank und wird wieder gesund.... Wenn es funktioniert." Ich blieb ruckartig stehen. "Was?! Ihr seid nicht sicher ob es funktioniert?" Sie drehte sich zu mir um. Ein bekümmertes Lächeln umspielte ihre Lippen, doch ihre Augen waren ernst. "Bis vor wenigen Augenblicken dachen wir noch, sie sei schon tot. Wir tuen was wir können." Ich schluckte. Sie hatte Recht. "Dann lass uns anfangen!"

Allyson war schon dabei einige Kräuter und Mixturen in einem kleinen Kessel zusammen zu mischen. Es erinnerte mich ein bisschen an die alten Geschichten von Hexen, die Kinder fraßen und für alles Mögliche einen Trank brauen konnten. Aber natürlich waren diese nur erfunden. Es gab keine Hexen. Nur Begabte. In den Augen der Meiste schon schlimm genug, wenn nicht sogar genauso schlimm. Als wir hereinkamen drehte sich das Mädchen zu uns um. Ihre Haare warn zerzaust, aber ihre Augen leuchteten vor Tatendrang. Oder sie leuchteten tatsächlich. In dem Dämmerlicht, das in diesem Zimmer herrschte war das schwer zu erkennen. "Ich habe keine Ahnung ob das hier irgendetwas bringt.", gab sie zu und stemmte die Hände in die Hüften. "Ich weiß Allyson. Mach weiter!", antwortete Linneya und legte ihr eine Hand auf die Schulter, bevor sie das Buch aufschlug und begann darin zu blättern. "Ach und lass dir von Serafina helfen. Ich habe keine Ahnung wie viel Zeit uns noch bleibt." Die "Hexe" schnaubte verächtlich, rückte jedoch unter Linneyas Blick ein Stück zur Seite und machte mir Platz. "Ich tue das nur für Lucy!", zischte sie mir zu und konzentrierte sich dann wieder auf ihre Arbeit. "Gibt mir das!", befahl sie dann und deutete mit einer Hand und ohne hinzusehen auf ein Glas neben mir. Ich folgte ihrem Befehl und reichte es ihr rüber. "Woher weißt du was du zusammenmischen musst?", fragte ich unbeteiligt und wich ihrem Blick aus, als sie genervt antwortete: "Das weiß ich nicht!" Ich sog scharf die Luft ein. "Aber..." "Kein Aber! Ich kenne jede Pflanze und ihre Wirkung. Ich lasse sie wachsen, ich kann Bäume ihre Form verändern lassen, ich weiß was man zusammen tuen darf und was nicht. Ich mische alles zusammen, was die Macht hat zu heilen und als Gegengift verwendet wird, ohne dass die Kombination irgendwelche Schäden hervorrufen könnte, also: Ich werde Lucy nicht vergiften, zumal sie ja schon im Sterben liegt. Sie ist meine Freundin, meine einzige Familie und ich werde alles tun um sie zu retten klar? Keine weiteren Fragen! ... Und jetzt zerschneide die Knolle da!" Ich senkte den Kopf. Ich hatte Allyson als verbittertes Mädchen kennengelernt, als jemand der mich von der ersten Begegnung an nicht leiden konnte und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Aber nie war mir in den Sinn gekommen, dass diese Beiden die einzigen waren, die sie noch hatte. Dass sie auch eine andere Seite hatte, die sie niemandem zeigte. Eine verletzliche Seite. "Tut mir leid", murmelte ich. Sie ignorierte es, doch das war mir egal. Ich wusste sie hatte mich gehört. Eine Träne lief ihr über die Wange. "Für Lucy", flüsterte sie.



Die Suchenden   ~Daughter of Death~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt