Nachts Weinen Die Soldaten

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Das Krähen eines Hahnes in den Morgenstunden ließ Alea aus seinem Schlaf hochfahren. Verwirrt blickte er sich um. Er befand sich in einem spärlich, jedoch gemütlich, eingerichtetem Zimmer. Am Fußende seines Bettes stand eine einzelne Truhe auf welcher seine wenigen Habseligkeiten lagen. Eine hölzerne Tür an der gegenüberliegenden Wand trennte den Raum vom Rest des Hauses. In einem weiteren Bett links von Alea schlummerte noch zufrieden sein Reisebegleiter El Silbador. Alea schlug seine Decke zurück. Just im selben Augenblick bereute er diesen Zug. Im Zimmer herrschte eine eisige Kälte. Zwar besaß das kleine Zimmer einen Kamin, doch war dieser weder in Betrieb noch mit Feuerholz bestückt. Zitternd ließ Alea sich zurück in die Kissen sinken und kuschelte sich wieder in die wohlig warme Decke.

Schlafen konnte er nicht mehr und so zog er sich seine Kleidung von der Kiste unter seine Decke um sie auf Körpertemperatur zu bringen und das Risiko zu mindern sich etwas abzufrieren.

Eingehüllt in seine wärmende Kleidung schälte sich der Rothaarige aus seiner Decke. Es konnte doch nicht nur allein durch den Regen über Nacht so kalt geworden sein? Oder etwa doch?

Die Sonne schickte bereits ihre ersten Strahlen über die Dächer der Stadt. Es hatte aufgehört zu regnen, doch hatte der Sturm des gestrigen Tages seine Spuren hinterlassen. Nicht nur die Kälte war geblieben auch der Boden war noch vom Regenwasser getränkt und erschwerte den einzelnen Karren, welche um diese Uhrzeit schon unterwegs waren, das Vorankommen.

Mit eisigen Händen öffnete Alea vorsichtig die Tür des Zimmers. Ein letzter Blick auf El Silbador verriet ihm, dass dieser sich, weder vom Krähen des Hahnes noch seinen Schritten, wenig beeindruckt zeigte und seinem wohlverdienten Schlaf nachkam. Auf Zehenspitzen schlich sich der Sänger den langen Flur entlang bis er die Treppe, welche nach unten in die Schenke führte, erreichte.

Unten angekommen fiel sein erster Blick auf die bekannte Gestalt Lasterbalk's, welche hinter der Theke schon mit einigen Krügen jonglierte, um der frühen Kundschaft das gewünschte zu bringen.

„Morgen Lasterbalk." „Morgen Rotschopf!" begrüßte der Schankwirt den Neuankömmling gutgelaunt. Alea setzte sich auf einen der Hocker am Schankthresen und bekam sogleich einen Teller mit Brot und einem Stück Fleisch vorgesetzt. „Lass es dir schmecken." Während Alea sich sein Frühstück schmecken ließ rollte Lasterbalk eines der Fässer vom Vorabend in Richtung Keller, um kurz darauf mit einem identischen, jedoch gefülltem Fass wiederzukommen. „Gestern ist echt was weggegangen!" stellte er fest und widmete sich dem Spielmann an der Theke. „Wenn du auf El Silbador wartest, kann das noch ein Stück dauern. Der Gute steht nie vor Mittag auf!"

„Wer steht nie vor Mittag auf, Lasterbalk?" fragte eine Stimme aus Richtung Treppe. Auf der untersten Stufe stand ein noch leicht verschlafener, jedoch vollständig angezogener, El Silbador. „OK. Ich berichtige mich, Alea. Eigentlich....eigentlich steht er nie vor Mittag auf!" Lasterbalk räumte den leeren Teller Alea's in den gefüllten Wasserbottich und wand sich wieder dem verschlafenen Spielmann am Treppenabsatz zu. „Alles in Ordnung bei dir?" Der langhaarige Schankwirt setzte eine gespielt besorgte Miene auf und blickte seinem Gegenüber an der Treppe tief in die Augen. „Was? Wieso? Sollte ich etwas wissen?" Geschockt und gleichzeitig verwirrt sprangen Elsi's Augen zwischen Alea und Lasterbalk hin und her. Alea verstand des Wirtes Spiel und schenkte seinem Reisebegleiter ebenfalls einen mitleidigen Blick. „Ist wer gestorben?" Mittlerweile putzmunter und sichtlich verunsichert schritt El Silbador auf die Beiden an der Theke zu. „Elsi...setz dich bitte! Alea und ich müssen dir was erzählen..." Mit einer einladenden Geste deutete Lasterbalk auf einen der Hocker. „Alea?......Was ist los?" fragte Elsi den rothaarigen Sänger, da er diesem mehr zu trauen schien, als dem hünenhaften Schankwirt. „Elsi..es..es tut mir so leid!" Alea setzte die Miene eines Trauernden auf und blickte herab auf seine Hände. Lasterbalk schob währenddessen einen Teller mit Brot und Schinken zu El Silbador. „Für dein Frühstück musste ein Schwein sein Leben lassen...." Die Verwirrtheit stand dem braunhaarigen Spielmann förmlich ins Gesicht gemeißelt, als dieser von seinem Teller aufblickte. Nach nur wenigen Augenblicken realisiert er jedoch, welch albernen Scherz seine Freunde mit ihm am frühen Morgen getrieben hatten. Der Lästerliche wie auch der Rothaarige konnten sich nicht mehr halten und so fiel alle Ernsthaftigkeit von ihnen ab und sie brachen in schallendes Gelächter aus.

El Silbador währenddessen blieb ruhig, blickte zwischen den beiden Scherzbolden und seinem Teller hin und her und plante seinen nächsten Zug. Seine Rache würde grausam sein und über sie hereinbrechen, wenn sie es am wenigsten erwarten.

Mit einem minimalem Lächeln auf den Lippen schenkte er seinem Frühstück seine volle Aufmerksamkeit. Dies sehr zur Verwunderung der Schankwirt's und des Sänger's, welche mit einer prompten Racheaktion des reisenden Händlers gerechnet hatten. Doch dieser saß, wie die Ruhe selbst, am Thresen und verspeiste sein Frühstück ohne die Beiden auch nur eines Blickes zu würdigen.

Die Sonne hatte in den folgenden Stunden den Schlamm des Sturmes eingetrocknet und ermöglichte den beiden Spielmännern die Weiterreise. Alea war wieder verblüfft über die unberechenbaren Launen des Wetters in diesen Landen und blickte zum strahlend blauen Himmel empor. Einzelne kleinere weiße Wolken durchzogen diesen und erinnerten den Sänger an leichte Federn, welche vom Wind bis ans Ende aller Zeit getragen wurden. Alea schloss die Augen und genoss die angenehme Wärme der Sonne.Schon nach kürzester Zeit würden seine Lieder zu Steinen und er glitt über in das Land der Träume.

Ein kräftiger Ruck durchzog den Wagen, als El Silbador sein Pferd zum stehen brachte. Aus seinem Schlaf gerissen öffnete Alea blinzelnd die Augen. Die Wärme der Sonne war verschwunden. Wie eine undurchdringbare Mauer versperrten die hellgrauen Wolken der Sonne die Sicht auf die Erde und brachten Alea zum frösteln. Sein Begleiter blickte währenddessen gebannt auf die trockenen Felder vor ihnen. Ein einzelner Schotterweg durchschnitt die verdorrte Ebene. Einzelne tote Bäume zierten den Wegesrand und die Weiten der Trockenheit. „Das Meer der Toten...." Verwirrt blickte Alea zu seinem Begleiter. „Das Meer der Toten." bestätigte El Silbador und setzte seinen Wagen in gang.

„Vor über 100 Jahren gab kam es zu einem schrecklichen Krieg in diesen Ebenen. Es ging um fremde Rechnungen, wie man sich erzählt, die mit dem Blut der Soldaten getilgt wurden. Dieser Krieg war sinnlos und forderte tausende von Tode. Mit der Zeit gerieten die Namen, die Gesichter der gefallenen Soldaten jedoch in Vergessenheit. Heute sind sie nicht mehr als Nummern . Nummern ohne ein Gewicht. Man erzählt sich, dass man des Nachts die Schreie und das Schluchzen der Gefallenen hören kann und das ihre Seelen auf ewig hier gefangen seien..." Nachdem sie die erste Hügelkuppe überquert hatten verstand Alea was mit dem „Meer der Toten" gemeint war.

Unzählige weiße Kreuze zierten das vertrocknete Gras. Hier und da fand sich ein alter verbeulter Helm. Ausgetretene Schuhe. Gebeine. Ein Meer des Todes. Ein Meer des Grauens. Es war schrecklich mit dem Tod von so vielen Leben konfrontiert zu werden.

Alea lief ein kalter Schauer den Rücken herunter als sie das Meer aus Kreuzen durchquerten. Keines dieser Gräber trug den Namen des Soldaten. Sie waren alle, wie El Silbador gesagt hatte, in Vergessenheit geraten. Jedoch zierte jedes einzelne von ihnen die Zahl 1916.

Eine Schar von Raben zog über die Köpfe der beiden Spielmänner hinweg und verschwand hinter einem naheliegendem Hügel. Alea folgte ihnen mit den Augen. Sein Atem stockte. Auf der Kuppe des Hügels standen zwei Reiter auf pechschwarzen Pferden und blickten auf das Tal hinab. Die Umhänge der beiden Gestalten wehten im Wind. Einer in schwarz, der andere in rot.



Saltatio Mortis-Ich zeig dir deine LiederWo Geschichten leben. Entdecke jetzt