Nichts Bleibt Mehr

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Eine Schar von Raben zog über die Köpfe der beiden Spielmänner hinweg und verschwand hinter einem naheliegendem Hügel. Alea folgte ihnen mit den Augen. Sein Atem stockte. Auf der Kuppe des Hügels standen zwei Reiter auf pechschwarzen Pferden und blickten auf das Tal hinab. Die Umhänge der beiden Gestalten wehten im Wind. Einer in schwarz, der andere in rot.

Gebannt starrte der Rothaarige auf die Gestalten. Sie standen einfach da. Regungslos. Ohne einen einzigen Funke von Leben in sich. Nur ihre Umhänge bewegten sich im Spiel des Windes. Aus den Nüstern ihrer Pferde stieg der Nebel warmen Atems empor. „Elsi? Elsi!" Alea wand sich seinem Reisegefährten zu, welcher die Zügel des Pferdes fest im Griff hielt. „Was ist?" „Ich glaub uns beobachtet jemand..." flüsterte der Sänger seinem Gegenüber zu, auch wenn die beiden Reiter auf den schwarzen Pferden sie unmöglich aus dieser Entfernung hätten hören können. „Was? Bist du dir ganz sicher? Wer soll uns denn hier her folgen?" El Silbador blickte sich um. Noch immer befanden

sie sich in dem Meer aus weißen Kreuzen. Eine unheimliche Stätte in welche sich nur wenige soweit vorwagten, wie sie es gerade taten. „Doch ganz sicher!" versuchte Alea ihn zu überzeugen und deutete mit seiner rechten Hand auf den nicht weit entfernten Hügel, auf welchem er die beiden Unbekannten gesichtet hatte. „Da ist niemand Alea." Elsi war mit seinen Augen Alea's Finger gefolgt. Er deutete auf einen der Hügel. Einen einsamen Hügel ohne jegliches Anzeichen auf weitere Reisende in diesen Gegenden. Alea wand seinen Blick wieder der Hügelkuppe zu. Nichts. Keine Reiter und keine schwarzen Pferde. „Unmöglich....aber da waren doch soeben noch zwei Reiter gewesen...." War dies alles nur ein Tagtraum gewesen. War er kurz weg genickt und hatte sich dies alles nur eingebildet? War dies alles nur ein Traum oder blanke Realität? Diese Frage hatte er sich in den vergangenen Tagen schon des öfteren gestellt und war bisher zu keiner plausiblen Lösung gekommen.

Alea begann zu frösteln. Trotz des geliehenen Mantels von El Silbador zog die Kälte in seinen Körper. Die Sonne war noch immer von grauen Wolken verdeckt. Sank jedoch gen Horizont um der herannahenden Nacht ihren rechtmäßigen Platz zu gewähren. Totenstille lag über dem Tal mit den tausenden weißen Kreuzen. Über dem Meer der Toten. Kein einziger Vogel war zu sehen, geschweige denn zu hören. Nur das Rauschen des Windes durch die kahlen Äste der Bäume hallte zwischen den Hügeln aus Gras wieder.

„Wir brauchen ein Platz für die Nacht!" durchbrach El Silbador die bedrückende Stille. Alea blickte von seinen Händen auf, welche er unaufhörlich aneinander rieb um sie warm zu halten. „Und wo sollen wir in dieser verlassenen Gegend einen Schlafplatz finden?" „Nur Vertrauen mein Freund! Hier ist von Nutzen, dass ich schon oft durch dieses Tal unterwegs war. Nicht weit von hier gibt es einen verlassenen Hof. Er wird von den Reisenden als Nachtquartier genutzt und ist für eine einzige Nacht völlig ausreichend." Skeptisch blickte Alea zu dem reisenden Händler neben ihm auf den Kutschbock hinüber. Ihm wahr unwohl bei dem Gedanken in einem Meer aus Gräber zu übernachten. Das eigene Wohl einer alten Scheune anvertraut. Er wollte diesen Ort nur so schnell wie möglich wieder verlassen.

Die Nebelschwaden hüllten die beiden Reisenden und Planwagen beinahe gänzlich ein, als sie das verlassene Gehöft erreichten. Das ehemalige Wohnhaus wie auch ein großer Schuppen schienen unbewohnbar. Die Dächer waren fast vollständig abgedeckt, nur wenige Dachziegel hingen an ihrem Platz. Das Mauerwerk war ausgebrochen. Türen und Fenster fehlten. Auch die große Scheune machte nicht gerade einen gemütlichen Eindruck auf den jungen Sänge, jedoch schien das Dach intakt zu sein.

„Dann kann die Nacht ja kommen." Ein Funke Besorgnis schwankte in Alea Stimme mit. „Glaub mir Spielmann. Das wird sie schneller als du denkst. Vor allem hier!" Alea war vom Kutschbock gestiegen und betrachtete ihr heutiges Nachtlager. El Silbador tat es ihm gleich, griff nach den Zügeln des Pferdes und führte es auf das große hölzerne Tor der Scheune zu. Des Sänger folgte ihm. Seinen Mantel eng um sich gezogen. Egal wie fest er ihn um sich wickelte, die Kälte fand jeden noch so kleinen Weg an seinen Körper.

Eine einzige Kerze spendete den Reisenden etwas Licht in der Dunkelheit der Scheune. Von draußen drangen gequälte Schreie gedämpft zu den beiden Spielmännern herein und ließen den Reisenden das Blut in den Adern gefrieren. Das Pferd stand unweit des Tores, abgespannt, bei einem Haufen aus Stroh. Die beiden Spielmänner saßen auf dem mit Heu bedeckten Boden. Zwischen ihnen eine alte Holzkiste, auf welcher sich die kleine Kerze befand. „Es ist also war. Man hört die Schrei der Gefallenen. Ich hoffe die Nacht schwindet auch so schnell wie sie gekommen ist..." Alea, immer noch fest in den Mantel gehüllt, hatte sich einen großen Haufen Stroh zusammengeschoben und sich mit einer Decke aus Elsis Wagen darauf platziert. Das getrocknete Gras hielt wenigstens etwas seine Körperwärme und ermöglichte ihm so, wenigstens etwas, sich aufzuwärmen, da die Kerze unmöglich als Wärmequelle herhalten könnte. „Oh ja. Das kann ich dir leider nicht sagen, die Nacht ist unberechenbar." El Silbador gähnte herzhaft auf und zog seine Decke etwas enger um sich. „Ich glaub ich leg mich jetzt mal schlafen. Hier wird sicherlich keiner herkommen. Du kannst also auch beruhigt hinlegen!" sicherte der braunhaarige Spielmann seinem Reisebegleiter zu. „Wenn du meinst..." Sein letzter Blick galt dem Pferd, wenige Meter von ihm entfernt, welches friedlich graste. Mit einem einzigen Atemzug pustete er die Kerze aus und hüllte die Scheune nun in gänzliche Dunkelheit.

Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages schienen durch das geöffnete Tor der Scheune. Missmutig drehte Alea sich in seinem Heuhaufen in Richtung Tür. In Armweite entfernt lag El Silbador und schlummerte friedlich vor sich hin. Das leise Schnauben des Pferdes lenkte Alea's Aufmerksamkeit auf sich. Vor El Silbador's Pferd stand eine kleine, in einen schwarzen Mantel gehüllte Person und strich dem Tier behutsam über die Nüstern. Noch schlaftrunken rappelte Alea sich aus seinem Heuhaufen auf. „Hey! Was machen Sie da mit dem Pferd?" Erschrocken fuhr die kleinere Person zu Alea herum, welcher mit großen Schritten auf ihn zu kam. Just im selben Augenblick sprang die vermummte Person gekonnt auf den Rücken des abgesattelten Pferdes und griff nach dessen Mähne. Im Galopp trieb der Unbekannte das Pferd aus der Sicherheit der Scheune auf den offenen Hof. Alea rannte so schnell er konnte dem Dieb hinterher. Im Schein der frühen Sonne sah er den Unbekannten auf dem Rücken des Pferdes sitzen. Beide standen still in mitten des Hofes. Alea's braune Augen trafen die eisblauen des Pferdediebes, welcher selbstsicher einzelne Strähnen der Mähne in der Hand hielt. „Wer seid ihr? Und was wollt ihr?" rief Alea ihm mit fester Stimme zu. „Das wüsstet ihr nur zu gern. Ist dem so? Nun....ich hoffe ihr seid gut zu Fuß!" Mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht gab er dem Pferd die Sporen und verschwand hinter dem nächsten Hügel aus Alea's Sichtfeld. Dieser musste zusehen wie ihr einziges Transportmittel im Nirgendwo verschwand.


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