So bequem man sich ein Auto auch machen kann, ist man den frühen Sonnenstrahlen nichts desto trotz hilflos ausgeliefert. Es sei denn, man parkt sich so dich an eines der großen amerikanischen Häuser, dass sich der Schatten über den Wagen geworfen hätte. Allerding kann ich mir vorstellen, was der Bewohner davon gehalten hätte. Meine erste Anlaufstelle heute ist mein Hostel, von dem aus ich den weiteren Verlauf meines Tages planen werde. Ich klappe die Sitze wieder hoch, falte die Decken zusammen und hoffe, dass ich verhältnismäßig gut durch den morgendlichen Stau komme.
Wider meines Erwartens waren die Straßen nicht überfüllt und nun sitze ich in meinem kleinen Zimmer, die Karte vor mir ausgebreitet. Ich habe einen Zeitplan, doch keinen Plan, in was ich meine Zeit investieren möchte. Dieser Trip wird von mehr Spontanität geleitet werden, als ich es mir gewünscht habe. Meine Vorhaben hatten immer Hand und Fuß und Notfälle waren eingeplant, sodass sogar Plan B und C existierten. Nur bei dem größten meiner Vorhaben hatte ich den Drang zu fliehen über alles andere gestellt und mir damit selbst eine Falle gebaut. Spontan zu werden. Plötzlich höre ich die Stimme des Mannes in meinem Kopf, der mir den Lan Su Chinese Garden anzusehen. Da ich keine Zeit mehr verlieren möchte, packe ich meine Schlüssel und stürme aus dem Gebäude, die Kamera fest in der anderen Hand.
Architektur interessiert mich nicht wirklich, und doch fühle ich mich plötzlich ganz anders, als ich in dem Pavillon stehe und über das Wasser sehe, auf dem wunderschöne Blüten schwimmen. Es wirft mich für einen kurzen Moment aus der Bahn, weil ich eigentlich gerade erst realisiert habe, dass ich mich tatsächlich in Amerika befinde, und nun stehe ich in einem chinesischen Garten. Die Wolken, die sich auf der Wasseroberfläche widerspiegeln, Formen seltsame Gebilde. Ich kann meine Augen nicht von ihrem Spiel wenden, bis mir ein kleiner Lockenkopf ins Auge sticht, und ich erschrocken einige Schritte zurückweiche. Plötzlich spüre ich Arme, die sich auf meine Hüfte legen, woraufhin ich mich energisch umdrehe.
«Was machen Sie da?», fauche ich den Mann an, der mir seltsamerweise ziemlich bekannt vorkommt.
«Sie sind in mich reingelaufen», lacht er unbehaglich und kratzt sich nervös.
«Sie schon wieder», erkenne ich ihn.
«Wieso verfolgen Sie mich?» Er ist peinlich berührt, und ich bereue sofort meine harsche Wortwahl. Aber ich habe sie gesehen. Meggie ist hier. Sie ist genau hier, sie ist mit mir gekommen!
«Nachdem ich Ihnen den Tipp gegeben habe, hatte ich gehofft, sie hier anzutreffen», lächelt er verlegen. Tausend Stimmen ertönen in meinem Kopf. Ich muss loslassen.
«Es- Es tut mir leid», stottere ich, ehe ich mich an ihm vorbeidrücke.Meine Finger trommeln nervös auf dem Lenkrad herum. Ich kann jetzt nicht fahren, dafür bin ich viel zu energiegeladen. Der Schlafmangel ist wie weggeblasen. Ich sehe nur noch den Sarg, der in die Erde herabgelassen wird und vernehme die raue Stimme des Pfarrers, der die letzten Worte spricht. Sie würde mir jetzt einen Kuss auf die Wange drücken und sagen, dass alles wieder gut wird. «Ganz bestimmt», flüstere ich.
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Tagebuch einer Abenteurerin
AdventureDie 21-jährige Anna nimmt kurzerhand Reißaus, als ihre kleine Schwester an einem Herzfehler stirbt. Ihre Mission ist nicht einfach, und doch findet sie somit einen Weg loszulassen. Auf ihrer Reise durch Amerika begegnen ihr tausende neuer Dinge, die...