Das Haus in dem Rose und ihr Mann eine Wohnung mieten liegt nicht weit von der Bäckerei entfernt. Es versteckt sich in einer Seitengasse, dessen linke Hälfte Häuser im selben Stil, nur mit anderen Farben, einnehmen. Durch die Abgase in der Stadt hat das helle rosa der Fassade graue Flecken bekommen. Rose wühlt in ihrer Tasche nach dem Schlüssel, als wir vor dem Gebäude stehen. Ich bemerke Mitchs Blick seitlich von mir. «Nicht ganz das, was man in Deutschland zu sehen bekommt, oder?», fragt er mit gehobenem Mundwinkel. Ich schüttele den Kopf. «Nicht ganz». Als er den Blick immer noch nicht von mir wendet, füge ich hinzu: «Viel schöner». Nun breitet sich ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht aus, als würde ihn meine Antwort zufrieden machen. Der Schlüssel klickt schließlich im Schloss und wir treten in das Treppenhaus ein, das in kühlen Farben gestrichen und ohne Dekoration belassen wurde. «Zweiter Stock», lächelt Rose mir zu und nickt in Richtung der weißen Treppe.
«Sie kommen also aus Deutschland?», fragt Mitchs Schwester beiläufig, als sie gerade Teller vor uns auf dem Tisch platziert. «Ich habe schon viel davon gehört, aber leider habe ich es noch nie dorthin geschafft». Sie presst ihre Lippen bedauernd aufeinander. Mich durchfährt ein kurzer Schauer, als ich an Zuhause denke. An das Gelächter, das das Haus durchfuhr, als ich Meggie beim Versteckenspielen im Wäschekorb gefunden habe, bevor es geschah. Und an die kühle Atmosphäre, die es mir seitdem unmöglich macht, mich dort aufzuhalten. Als ich bemerke, dass sich Stille ausgebreitet hat, räuspere ich mich und verwerfe die Gedanken, um nicht unhöflich zu wirken. «Es ist sehr schön dort. Allerdings das komplette Gegenteil zu Amerika», berichte ich ihr und bete im Inneren, dass es ihr reicht. Ich habe keine besonders große Lust, über meine Vergangenheit zu sprechen. Noch nicht. Sie nickt lächelnd, bevor sie hinter sich in die Schublade greift und das Besteck neben den Tellern verteilt. «Ich hoffe sie mögen die amerikanische Küche», lacht sie. Mitch atmet tief ein und seufzt verträumt. «Rose macht nämlich die besten Mac'n'Cheese in San Francisco», grinst er mich an. Plötzlich entspannt sich etwas in mir. Nach langer Zeit habe ich das Gefühl, mich nicht erklären zu müssen. Es fühlt sich nicht mehr so seltsam an, unüberlegt nach Amerika gereist zu sein, um ein paar Fotos zu schießen. Es tut gut, über belanglose Dinge wie Essen zu sprechen. «Das will ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen», lächle ich beide an, als Rose den Topf in die Mitte des Tisches stellt und sich uns gegenüber auf den Stuhl fallen lässt. «Schade, dass Robert arbeiten muss. Er hätte sich sicher gerne bei Ihnen bedankt». Ich greife nach dem Löffel und lasse eine Portion der Nudeln auf meinen Teller fallen. Es riecht wirklicht fantastisch. «Ich bin sicher, sie hätten das auch für mich getan», sage ich kopfschüttelnd. Sie sieht mich nicht an, als sie auf ihrer Unterlippe kaut. Habe ich etwas Falsches gesagt? «Roberts Mutter ist kürzlich verstorben», sagt sie kleinlaut. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. «Oh», entfährt es mir. «Das tut mir leid für sie». Nun schüttelt sie den Kopf. «Ich habe heute Erbstücke abgeholt, die meinem Mann sehr wichtig sind. Sie lagen unverpackt in meiner Tasche. Wären Sie nicht gewesen-», beginnt sie, als die Tür plötzlich geöffnet wird und ein großer Mann in einem dunkelblauen Anzug im Flur, der direkt in die offene Küche führt, steht. Er legt die schwarze Umhängetasche auf die Kommode bevor er ein «Hallo» in den Raum wirft.
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Tagebuch einer Abenteurerin
AdventureDie 21-jährige Anna nimmt kurzerhand Reißaus, als ihre kleine Schwester an einem Herzfehler stirbt. Ihre Mission ist nicht einfach, und doch findet sie somit einen Weg loszulassen. Auf ihrer Reise durch Amerika begegnen ihr tausende neuer Dinge, die...