Ich habe die Hände tief in den Taschen vergraben und den Kopf zum Boden gesenkt. Das Gefühl, dass nicht nur ich, sondern auch jeder andere hier, mich für bescheuert hält, lässt mir keine Ruhe. Durch einen kurzen Spaziergang durch einen Park versuche ich mich zu beruhigen, um danach weiterzureisen. Ich habe genug von Portland. Meine Atemzüge werden tiefer und länger, und mit jedem Mal ausatmen verschwindet ein Bild aus meinem Kopf. Immer wieder kommen mir Jogger und Frauen mit Kinderwägen entgegen. Ich mache gerade Platz für einen hastenden Mann, den ich hinter mir vernehme, doch er gleicht sein Tempo an meines an.
«Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht verschrecken», stammelt er außer Atem. Ich hatte gehofft, ihn losgeworden zu sein. Wenn sich jemand entschuldigen sollte, wäre ich das, doch ich nicke nur. Ein kurzes Schweigen tritt ein. «Stört es Sie, wenn ich Sie ein Stück begleite?», fragt er plötzlich. Nachdem ich ihm nun schon zweimal vor den Kopf gestoßen habe, antworte ich mich einem knappen «Nein».
Ein kleines Lächeln schleicht sich auf seine Lippen und er dankt mir mit einem Kopfnicken.
«Was haben sie noch vor in Portland?» Ich frage mich, was er von mir halten muss, als ich «Ich habe genug gesehen», antworte. Gestern erst hat er mich nach Sehenswürdigkeiten suchend erwischt und heute ist mein einziger Wunsch nur noch, von hier abzuhauen. Er zieht verständnislos eine Braue nach oben. «Sie waren also schon länger hier?» «Nein», schmunzle ich. Auch er lacht kurz auf. «Ich verstehe Sie nicht». Er kratzt sich am Kopf. «Ich habe noch eine lange Reise vor mir», ist alles, was ich ihm offenbare. Ich habe keine Kraft über Meggie zu reden oder ihm von meiner spontanen Idee, Amerika zu durchqueren zu erzählen. «Wo geht es denn als Nächstes hin?» Bei dem Gedanken an mein nächstes Ziel lächele ich. «San Francisco».
«Zugegebermaßen würde ich Portland auch jederzeit für San Francisco verlassen», lacht er, und ich stimme ein. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Auch wenn er sehr nett ist, werde ich mich in wenigen Metern von diesem Mann verabschieden müssen. Ihm jetzt noch etwas über mich zu erzählen, würde mir nur schaden, und ihm im Nachhinein nichts bringen. «Möchten Sie sich denn gar nicht vorstellen? Meine Schwester wird wissen wollen, wer mir diesen wunderschönen Garten empfohlen hat». «Oh», entfährt es ihm. «Entschuldigen Sie, ich bin Daniel», stellt er sich vor, während er sich mit der Hand durch die Haare fährt. «Anna», stelle ich mich ebenso vor. Er nickt. «Was ist das für ein Akzent, den sie sprechen?» schon bevor ich in Amerika ankam war mir bewusst, dass ich diese Frage gestellt bekommen würde. «Ich komme aus Deutschland. Eigentlich versuche ich so gut wie möglich meine Aussprache an die amerikanische anzugleichen, aber anscheinend ist mir das noch nicht wirklich gelungen», lache ich ertappt. «Ich mag Ihren Akzent. Er macht Sie irgendwie sympathisch», erwidert er schulterzuckend. «Sein Sie ehrlich, was treibt Sie wirklich hier her, nach Amerika?» Ich atme schwer aus. «Ich nehme mir ein wenig Auszeit, denke ich». So sehr ich auch hoffe, dass er nicht weiter darauf eingeht, werde ich mit seiner nächsten Frage leider enttäuscht. «Vom Stress? Oder von einer bestimmten Person? Ihrer großen Liebe vielleicht?» Mir bleibt die Luft für einen Moment weg. Ein rascher Blick auf die Uhr versichert mir, dass es Zeit ist, zu gehen, was mir ziemlich genehm ist, um dieser Frage auszuweichen. «Wissen Sie, ich habe es etwas eilig. Es tut mir leid, mich nicht weiter mit Ihnen unterhalten zu können, aber ich sollte jetzt gehen». Wir bleiben stehen und blicken uns an. Seine Augen sehen fragend aus. Hätte ich jetzt keinen Schlussstrich gezogen, hätte er mir noch stundenlang Fragen gestellt. «Dann halte ich Sie nicht weiter auf. Gute Reise, Anna». Ich nicke und beschleunige, um schnell Abstand zwischen uns zu bringen. Es macht mich fertig. Es macht mich fertig, dass ich bei derartigen Fragen immer mit mir kämpfen muss. Ich muss lernen, damit umzugehen. Dringend.
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Tagebuch einer Abenteurerin
AdventureDie 21-jährige Anna nimmt kurzerhand Reißaus, als ihre kleine Schwester an einem Herzfehler stirbt. Ihre Mission ist nicht einfach, und doch findet sie somit einen Weg loszulassen. Auf ihrer Reise durch Amerika begegnen ihr tausende neuer Dinge, die...